Pflegestufe Hartz IV

Wenn’s dem Gemeinwohl dient: Lang­zeit­arbeitslose sollen künftig als Pflege­kräfte für Demenzkranke eingesetzt werden.

Bislang mussten Menschen, die Pflegeberufe ausüben wollten, über gewisse Qualifikationen verfügen. Ehe sie auf pflegebedürftige Menschen losgelassen wurden, mussten sie sich etliche Befähigungen aneignen. Die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) legt nicht so strenge Maßstäbe an. Wer Pflegeassistent werden möchte, muss ab sofort nur noch über eine Voraussetzung verfügen: Er muss arbeitslos sein.
Schmidt hat Mitte August vorgeschlagen, Langzeitarbeitslose als Pflegehelfer für Demenzkranke einzusetzen. Die gesetzlichen Krankenkassen machten sich daran, einen Ausbildungsplan zu erarbeiten. Ihm zufolge müssten die zum Arbeitsdienst verdonnerten Hartz-IV-Empfänger statt der 900 von der Deutschen Alzheimergesellschaft empfohlenen Unterrichtsstunden nur 100 Theorie- und 60 Praxisstunden, einen Erste-Hilfe-Kurs und ein zweiwöchiges Praktikum absolvieren, und fertig wäre der Pflege­assistent. Da diese Ausbildungszeit den privaten Krankenkassen unnötig lang erscheint, hat man sich auf einen Kompromiss geeinigt: Bis Ende 2009 erhalten die Ein-Euro-Kräfte eine 30stündige Schulung.
So viel Zeit wendet ein durchschnittlicher Fahrschüler für den Führerschein auf. Aber wer sitzt schon mit einem wirklich guten Gefühl auf dem Beifahrersitz neben einem Fahranfänger? Dass Schmidt 30 Stunden für ausreichend hält, mag an ihrer Vorstellung von der Demenz liegen. Die Hartz-IV-Empfänger sollten nur mit den Kranken basteln, spazieren gehen und sie füttern, sagt die Ministerin. Demente haben also neben einem schlechten Gedächtnis Probleme mit der Handarbeit, dem Gehen und dem Essenfassen – nichts, wozu es zusätzlicher therapeutischer Maßnahmen und qualifizierter Altenpfleger oder Sozialpädagogen bedürfte. Außerdem ist es ja ungemein entlastend, wenn Hartz-IV-Empfänger sich nicht bei ihren Sachbearbeitern, sondern bei den Patienten über ihre Lebensumstände auslassen. Die Demenzkranken können sich am nächsten Tag eh an nichts erinnern.
Selbstverständlich hat die Gesundheitsministerin nur das Beste im Sinn: Die Maßnahme ermögliche den »Wiedereinstieg in den Beruf« für einen Teil der etwa 30 000 arbeitslosen Pflegekräfte, sagt sie. Diese werden sich freuen, dürfen sie doch einer Tätigkeit nachgehen, für die sie nicht einmal mehr den im Pflegebereich ohnehin schon miserablen Lohn erhalten, sondern die so genannte Mehraufwandsentschädigung von etwa einem Euro in der Stunde. Zudem üben sie keinen Beruf aus, stehen in keinem geregelten Arbeitsverhältnis, wie es für den so genannten freien Arbeitsmarkt üblich ist, sondern befinden sich nach wie vor in der unmittelbaren staatlichen Verfügungsgewalt.
Wie ehedem der Reichsarbeitsdienst »zur Durchführung gemeinnütziger Arbeit bestimmt« war, dient auch Schmidts Idee dem Gemeinnutz. Diesen nennt man heutzutage zwar lieber »öffentliches Interesse«, es wird aber dennoch ersichtlich, was es mit ihm auf sich hat: Arbeitslose werden für die staatliche Zwangsbürokratie in immer stärkeren Maß zur verfügbaren Masse, die je nach Bedarf von einem Arbeitsbereich zum nächsten abkommandiert wird, wenn es ein Ministerium wünscht. Und Hilfsbedürftige wie Demenzkranke haben, wenn vom Gemeinwohl oder öffentlichen Interesse die Rede ist, nicht unbedingt das Beste zu erwarten.