Interview mit Umeswaran Arunagirinathan über Minderheiten und Separatismus in Sri Lanka

»Es bekämpfen sich nicht nur zwei Parteien«

Die Uno hat angesichts der neuen Offensive des Militärs Sri Lankas vor einer neuen Flüchtlingskrise gewarnt. In den vergangenen zehn Wochen seien 75 000 Menschen vor den Kämpfen geflüchtet. Bereits als Zwölfjähriger hat Umeswaran Arunagirinathan Sri Lanka mit Unterstützung von Fluchthelfern in Richtung Europa verlassen. Seit 1991 lebt er in Deutschland. Vor zwei Jahren hat er einen Roman veröffentlicht, in dem er die Hintergründe des Bürgerkriegs, die Stationen seiner Flucht und die Situation von Kinderflüchtlingen in Deutschland beschreibt (»Allein auf der Flucht – Wie ein tamilischer Junge nach Deutschland kam«, Konkret-Literatur-Verlag). Der 30jährige Arunagirinathan ist Assistenzarzt in der Herzchirurgie am Universitätsklinikum Eppendorf und engagiert sich bei Amnesty International.

In den vergangenen Wochen und Monaten haben die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) starke Verluste hinnehmen müssen. Sie hatten zwischenzeitlich einen einseitigen, befristeten Waffenstillstand verkündet. Wie schätzen Sie die gegenwärtige Lage ein?

Ich hegte nicht die Hoffnung, dass dieser Waffenstillstand eingehalten wird. Es bekämpfen sich dort nicht nur zwei Parteien. Man spricht zwar von den LTTE oder von der Regierung, muss dabei aber bedenken, dass es noch andere Einheiten gibt, die zwischendurch Bomben legen oder Attentate verüben und diesen Waffenstillstand nicht einhalten.

Welche anderen Parteien sind das?

In erster Linie meine ich das Beispiel des Oberst Karuna, der sich mit seinen Leuten von den LTTE abgespalten hat. Dann gibt es natürlich Regierungseinheiten neben den offiziellen Soldaten, die als Geheimdienstagenten für die Regierung arbeiten und Journalisten und Juristen ermorden.

Welche Lösung ist Ihrer Meinung nach möglich?

In meiner Kindheit hat man als Ziel einen eigenen Staat eingeprägt bekommen, ob nun von den Eltern, der Schule oder den Tamil Tigers. Mit emotionaler Distanz sehe ich das Ganze sachlicher. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die singhalesische Regierung jemals einen eigenen Staat für die Tamilen anerkennt. Als Tamile wünsche ich mir: eine gemeinsame Regierung, jedoch in Bundesländer aufgeteilt, so dass man den Tamilen eine gewisse Autonomie gibt, die Gesamtverwaltung aber von der Regierung ausgeht. Dieser Kompromissvorschlag ist das Optimale und das Einzige, was zu einem Frieden führen kann.

Wenn man schon für einen Separatismus plädiert, besteht da nicht die Gefahr, dass wir jugoslawische Verhältnisse im südostasiatischen Raum erwarten dürfen?

Wir haben seit kurzem das unabhängige Kosovo, wo es eine kritische Situation gibt. Nun ist die Sachlage auf Sri Lanka anders, hier findet eine Unterdrückung statt, es gibt eindeutig Massenmorde, da ist es berechtigt, dass die Betroffenen nach Freiheit verlangen. Dass sie es mit Gewalt machen, werde ich im Leben nie unterstützen. Nun lautet die Frage, braucht man einen eigenen Staat, um die Freiheit zu haben? Viele Tamilen sehen das so, weil sie ihre Freiheit unter der Führung der singhalesischen Regierung bisher nicht bekommen haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass ein möglicher Tamilen-Staat dazu führen würde, dass viele andere unterdrückte Minderheiten auf der Welt das Geschehene als Vor­bild sehen und einen eigenen Staat anstreben. Das ist natürlich nicht schön. Schön ist es, wenn alle gemeinsam leben können.

Würde ein Tamilen-Staat nicht auch die bestehende Feindschaft zwischen Tamilen und Singhalesen aufrechterhalten und einen Dialog zwischen beiden Gruppen verhindern?

Ja, diese Feindschaft würde bleiben. Ein Konkurrenzkampf würde entbrennen, nach dem Motto: Was kann man dem anderen wegnehmen? Was man mit Gewalt erhält, kann man nur mit Gewalt behalten.

Können Sie die Lage der anderen Minderheiten in Sri Lanka, die der Malaien, der Burgher oder der Moors, beschreiben?

Schwierig, weil das für mich so lange her ist, aber in meiner Kindheit hatten wir in der Nachbarschaft indische Flüchtlinge. Es waren Tamilen, die aus Indien nach Sri Lanka gekommen sind. Die einheimischen Tamilen haben sie nicht gleichberechtigt behandelt. Ich glaube, diese Minderheiten bleiben auch dann Minderheiten, wenn die Tamilen ihre Autonomie erlangen. Es gibt auch noch die muslimische Minderheit unter den Tamilen und den Singhalesen. Meine Befürchtung ist, dass die muslimischen Minderheiten eines Tages Bestandteil eines Konfliktes sein könnten, denn die werden auch nicht gut behandelt. Man sieht: Den Tamilen einen »reinen« Staat zu geben und dann darauf zu hoffen, dass friedlich weitergelebt wird, ist fragwürdig.

Rund 190 000 Tamilen leben allein in der Hauptstadt Colombo. Gibt es eine gewisse soziale Vermischung?

Als mein Asylantrag in Hamburg abgelehnt wurde, kam dieses Argument: Du bist doch ein Sri Lankaner, in Colombo leben so viele Tamilen, du musst nicht ins Kriegsgebiet. Man sollte dabei bedenken, wie viele Busse vollgefüllt mit tamilischen Jugendlichen von der singhalesischen Regierung wieder ins Kriegsgebiet gefahren wurden. Außerdem werden täglich im Süden tamilische Jugendliche ermordet. Wer sind denn die Menschen, die im Süden leben? Meine Eltern zum Beispiel, beide über 60 Jahre alt. Sie leben neben einer singhalesischen Familie. Das läuft wunderbar. Die gehen abends nicht weg, bei denen passiert auch nichts.

Den LTTE werden an die 250 Selbstmordanschläge zugeschrieben, die Unicef kritisierte den Einsatz von Kindersoldaten. Zudem wurden interne Kritiker mundtot gemacht. Führen diese Methoden nicht zu einem Verlust der Sympathie für die unterdrückte tamilische Bevölkerung?

Die Behauptung, dass Kinder freiwillig zu den LTTE gehen, habe ich immer kritisiert. Ein zwölfjähriger Junge ist nicht in der Lage, eine Entscheidung zu treffen, also die Gefahren ­eines Krieges einzuschätzen. Deswegen bin ich überzeugt, dass seitens der Tamil Tigers Einfluss ausgeübt wird, um Kindersoldaten zu rekrutieren. Dadurch büßen die LTTE viele Sym­pathien ein. Wenn man im Namen der Freiheit kämpft, den einzelnen Menschen aber die Frei­heit oder ihre eigene Meinung nicht gönnt, ist es schwierig, diesen Einheiten das Vertrauen auszusprechen. Ich sehe das kritisch, obwohl ich dort als Kind groß geworden bin und einfach nur dankbar war, dass die Tamil Tigers da waren. Sie haben uns vor Übergriffen der singhalesischen Armee geschützt. Deswegen bin ich kein Gegner dieser Einheit, bin aber auch jemand, der niemals diese Einheit unterstützen wird, da sie etwas mit Gewalt erreichen möchte. Fakt ist, dass sie durch ihr Verhalten Anhänger verlieren.

Oberst Karuna und mit ihm 6 000 Kämpfer haben sich 2004 von den LTTE gelöst und die Organisation TEMVP gegründet. Ist diese Spaltung der Grund für die derzeitige militärische Schwäche der LTTE?

Die Abspaltung hat eindeutig zu einer militärischen Schwächung geführt. Die LTTE haben Mitglieder verloren und zusätzlich die Angehörigen der Mitglieder, die einen unterstützen. Diese Abspaltung hat ihrem guten Ruf geschadet, sofern sie den überhaupt hatten. Wie viele gibt es noch, die wie Karuna darauf warten, sich abzuspalten? Karuna hatte eine Führungsposition, er war einer der engsten Vertrauten des LTTE-Führers Velupillai Prabhakaran. Die Tamil Tigers haben auch Interesse daran, nicht mehr als Terroristen zu gelten, auf dem Papier. Dadurch, dass man die Tamil Tigers als Terroristen bezeichnet und nicht die singhalesische Regierung, unterstützt Europa diesen Krieg. Denn wie soll ein offizieller Staat ­einen Dialog mit einer terroristischen Einheit führen?

Werden nicht auch die Singhalesen von der Zentralregierung unterdrückt? Sind Ihnen die Positionen der singhalesischen Bevölkerung zu diesem Konflikt bekannt?

Es gibt singhalesische Gruppen, die sich für den Frieden einsetzen. Sie haben jedoch kaum Einfluss. Es gibt viele singhalesische Journalisten, die von der singhalesischen Regierung ermordet werden, weil sie versuchen, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Es gibt also unter den Singha­lesen auch Spaltungen. Es wird aber viel mit Emotionen gearbeitet, mit dem Stolz auf das Mutterland. Das Feindbild der Tamilen wird vielen von Kindheit anerzogen, viele Singhalesen kommen davon dann nicht weg. Ich habe neulich in Hamburg einen Singhalesen kennen ­gelernt, der für den Kampf für die singhalesische Militärregierung bereit war, jedoch vorher nach Deutschland kam. Der sieht in Tamilen immer die Feinde. Ich hatte als Kind auch keine Gelegenheit, Singhalesen kennen zu lernen, für mich waren sie auch immer die Feinde. So bin ich auf­gewachsen.

Wie beurteilen Sie die Lage der Tamilen und anderer Flüchtlinge in Deutschland?

Es ist eindeutig schwieriger geworden, nach Euro­pa zu flüchten. Die Situation für die Tamilen in Deutschland ist so, dass es in einigen Bundesländern zwar keine Abschiebstopps gibt, alles jedoch etwas humaner gehandhabt wird. Es gibt keine einheitliche Regelung für ganz Deutschland, in der ein Abschiebestopp aufgrund des fortdauernden Konfliktes formuliert wird.
Sri Lanka steht immer wieder auf der Liste der gefährlichsten Orte der Welt, und deutsche Touristen werden vor Reisen gewarnt. Das macht das Außenministerium. Gleichzeitig schiebt das Innenministerium Flüchtlinge nach Sri Lanka ab. Diese Flüchtlinge kommen nicht aus rein wirtschaftlichen Gründen hierher, sondern sie wollen sich schützen. Besser wäre es, Europa analysierte den Ursprung des Problems und fände eine Lösung, bevor diese festen Mauern entstehen, vor denen die Menschen ertrinken und sterben.