Kohlekraft – nein, danke!

25 neue Kohlekraftwerke sind für Deutschland in Planung. Das größte soll in Lubmin entstehen, im Wahlkreis der Bundeskanzlerin. Internationales Vorbild beim Klimaschutz wird man so nicht. Im Land des Investors, in Dänemark, wäre ein solcher Neubau verboten. von heiko balsmeyer

Dass Lubmin, ein beschaulicher Ort am Greifswalder Bodden, damit werben kann, ein echter »Geheimtipp« zu sein, dürfte mit seiner unmittelbaren Nachbarschaft zum einzigen ehemaligen Atomkraftwerk der DDR zusammenhängen. Auf dem Gelände des früheren AKW – es war von 1973 bis 1990 in Betrieb – will das dänische Staatsunternehmen Dong Energy in diesem Jahr mit dem Bau eines Steinkohlekraftwerks beginnen. 2012 soll der neue Meiler planmäßig ans Netz.

In mehrfacher Hinsicht handelt es sich um ein sensibles Gebiet. Schließlich befindet sich nicht nur das Seebad Lubmin in unmittelbarer Nähe, auch Rügen und Usedom sind nicht fern. Am Greifswalder Bodden grenzen ein so genanntes FFH-Gebiet (Geltungsbereich der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie), ein Vogel- und ein Naturschutzgebiet sowie ein Naturpark an. Weder aus der Sicht des Natur- und Artenschutzes noch aus der des Tourismus bietet es sich daher an, ausgerechnet an die Ostseeküste ein Kohlekraftwerk mit zwei Blöcken zu je 800 Megawatt zu bauen.

Für Dong Energy dürfte das Gelände besonders attraktiv sein, weil die Infrastruktur für ein Kraftwerk bereits vorhanden ist. Zwei Kanäle führen zur Ostsee. Sicher nicht ganz zufällig wurde direkt am Auslaufkanal ein Hafen gebaut, der seit dem vergangenen Jahr mit einer Betriebserlaubnis ausgestattet ist. Der Hafen liegt im Komplex der Energiewerke Nord, die für den Abbau des Atomkraftwerks sowie den Betrieb eines atomaren Zwischenlagers zuständig sind. Offenbar versucht der Betreiber, sein Grundstück mit politischer Unterstützung zu vermarkten. Der Bau des Hafens auf dem Privatgrundstück wurde nach dem Mittelstandsbericht der Landesregierung mit öffentlichen Mitteln gefördert.

Mit dem quasi werkseigenen Hafen kann die Kohle vom Weltmarkt über die Meere direkt zum Kraftwerk geschippert werden. Eine schnelle Verbindung zum Hochspannungsnetz ist noch aus den Zeiten des AKW vorhanden. Die für 380 Kilovolt ausgelegte Leitung führt zum Umspannwerk Wolmirstedt und soll zukünftig auch zum Einspeisen von Windenergie aus Offshore-Anlagen genutzt werden.

Beim Betrieb des geplanten Kraftwerks ist Umweltdumping im Wortsinne, d.h. die massenhafte Versenkung einer Vielzahl giftiger Stoffe in der Ostsee, bereits eingeplant. Ein vom WWF in Auftrag gegebenes Gutachten zeigt auf, dass künftig Quecksilber, Dioxine/Furane, Schwefel und Staub in nicht geringen Mengen in die Natur geblasen werden dürften. Was den Stickstoff angeht, sind im Kraftwerk weder Maßnahmen zur Reduzierung der ausgestoßenen Menge noch ihre Überwachung vorgesehen. Auch bei Quecksilber und Dioxinen/Furanen soll auf eine mögliche Abscheidung verzichtet werden.

Das Gutachten des Hamburger Instituts Ökopol kommt zu dem vernichtenden Urteil: »Das Kraftwerk entspricht in vielen Punkten nicht dem Stand der Technik.« Der Betrieb würde voraussetzen, dass die Bundesrepublik internationale Konventionen verletzt. So hat sie sich beispielsweise in der so genannten Helsinki-Konvention dazu verpflichtet, die Emissionen von Quecksilber in die Ostsee zu senken. Mit dem neuen Kraftwerk käme eine Tonne Quecksilber jährlich hinzu.

Für das Klima sind Kohlekraftwerke bekanntlich besonders schädlich. Ein Neubau, wie ihn Dong Energy in Lubmin plant, wäre in Dänemark schlicht verboten. Die örtliche Bürger­ini­tia­tive erwartet Emissionen von jährlich zehn bis 16 Millionen Tonnen des schädlichen Kohlen­di­oxids. Dong setzte seine eigenen Angaben hinsichtlich des Kohlendioxids vor der ersten Anhörung bereits von sieben auf zehn Millionen Tonnen herauf. Da an der Ostseeküste vor allem der Tourismus und weniger die Industrie blüht, würde allein durch das Kraftwerk in Lubmin die Emission von CO2 in Mecklenburg-Vorpommern in etwa verdoppelt. Derzeit werden im Nordosten der Republik jährlich 13 Millionen Tonnen CO2 aus den Schornsteinen gejagt.

Überhaupt scheint das Kraftwerk erheblich überdimensioniert. Weit und breit sind keine industriellen Abnehmer für den Strom vorhanden. Auch die Abwärme kann dementsprechend nicht genutzt werden und dürfte stattdessen den Greifs­walder Bodden mit unbekannten Folgen erwärmen.

Am 18. Dezember fand ein erster Erörterungstermin zu dem geplanten Kohlemeiler statt. Nach einer von den örtlichen Bürgerinitiativen organisierten Demonstration kam es bei der Anhörung zum Eklat. Der Berliner Rechtsanwalt Peter Kremer, beauftragt von den Umweltverbänden WWF, BUND und Nabu, von zwei Bürger­ini­tia­tiven und etwa 1 300 Einzelpersonen, beantragte die Absetzung des Termins. Er begründete seinen Antrag mit der Befangenheit der Mitarbeiter des Staatlichen Amtes für Umwelt und Natur. Jenes Amt ist für das Genehmigungsverfahren zuständig und unterliegt der Aufsicht des Wirtschaftsministeriums. In einem Dossier soll das Wirtschaftsministerium, geführt vom Landesvorsitzenden der CDU, Jürgen Seidel, zuvor dem Investor Dong Energy dargelegt haben, warum »zwingende Gründe des überwiegend öffentlichen Interesses« für den Bau des Kraftwerks vorlägen. Anwalt Peter Kremer erläuterte, es sei allein die Aufgabe des Investors, dergleichen zu erklären. Das Schreiben mit dem Briefkopf des Ministeriums fügte Dong nach Kremers Informationen dem Genehmigungsantrag bei.

Über eine Stunde lang mussten die Beteiligten auf die Reaktion der Landesregierung warten. Sie ließ schließlich die Ablehnung der Anträge von den Mitarbeitern des Staatlichen Amts für Umwelt und Natur mitteilen. Daraufhin verließen die Gegnerinnen und Gegner des Kohlekraftwerks den Raum und erklärten, unter diesen Vor­aus­setzungen sei eine sachliche Auseinandersetzung mit den Behörden sinnlos.

In der vergangenen Woche erließ das Staatliche Amt für Umwelt und Natur erwartungsgemäß den »ersten Vorbescheid für die bauplanungsrechtliche Zulässigk eit« des Meilers. Auch ist die Einwendungsfrist für immissions- und naturschutzrechtliche Aspekte bereits ausgelaufen. Der vorgesehene Erörterungstermin für diese Fragen ist der 29. April. Die nächsten Bescheide sollen dann im Mai oder Juni verschickt werden.

Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Mecklen­burg-Vorpommern kann trotz 15,1 Prozent Arbeitslosigkeit auch die Aussicht auf 140 neue Arbeitsplätze nicht von der Sinnhaftigkeit des Reaktors überzeugen. Zumindest, wenn man den Ergebnissen einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Rostocker Ostsee-Zeitung glaubt. Danach sprachen sich im Dezember 55 Prozent der Befragten gegen den Bau aus, lediglich 35 Prozent waren dafür. Während sich bei den Anhängern der SPD Zustimmung und Ablehnung mit jeweils 47 Prozent die Waage hielten, war die Ablehnung in der CDU-Anhängerschaft mit 59 Prozent besonders groß. Lediglich 33 Prozent der Konservativen können sich für die geplante Dreckschleuder ausreichend begeistern.

Geht es nach den Menschen in Lubmin, wäre die Sache schon längst vom Tisch. Im April vergangenen Jahres hatten sich bei einer Bürgerbefragung 80 Prozent gegen das Kraftwerk ausgesprochen. Angesichts dieser Stimmung hält es der Fraktionschef der Linken im Schweriner Landtag, Wolfgang Methling, für durchaus bedenkenswert, als »ein Zeichen direkter Demokratie« eine Volksbefragung zu starten. Denn diese hätte offensichtlich auch gute Aussichten auf Erfolg.

Wie es gehen kann, zeigte das saarländische Ensdorf. Ende November wurde dort der Bau eines Kohlekraftwerks mit einer Bürgerbefragung gestoppt. Der Stromkonzern RWE zog seinen Genehmigungsantrag zurück.