Eine Welt ohne ­Gemeinschaften

Jenseits von Multikulti und Internationalismus bietet der Begriff des Kosmopolitismus eine emanzipatorische Perspektive – unter gewissen Voraussetzungen. kommentar von gaston kirsche

Vom proletarischem Internationalismus bis zu Multikulti sind linke Konzepte daran gescheitert, sich nicht radikal von bürgerlichen oder von volkstümelnden Konzepten zu emanzipieren, die der Ideologiebildung in einer von Warentausch und Entfremdung geprägten kapitalistischen Gesellschaft zugrunde liegen. Internationalismus setzt bereits in seiner ursprünglichen Bedeutung ein Agieren zwischen Nationen als Subjekten voraus. Links wäre es, Nationen als zur Legitimation von Herrschaft erfundene willkürliche Einteilungen von Menschen abzulehnen. Links wäre es, Proletarität nicht als positives Identitätsangebot falsch zu verstehen, sondern als Konsequenz kapitalistischer Vergesellschaftung zu begreifen. Als gesellschaftliches Ziel gälte es, nicht die Proletarisierung der Gesellschaft anzustreben, sondern die Aufhebung der Ge­schäfts­grundlagen der Marktwirtschaft, welche die hierarchische Einteilung in Proletarier und Bürger erst schafft.

Multikulturalismus setzt als Subjekte vermeintlich klar abgrenzbare Kulturen voraus, essentialisiert eingebildete Gemeinschaften, und lässt soziale Kämpfe als Folklore enden. Dies ist, wie die Nation oder die Klasse, ein Identitätsangebot, wel­ches auf Entfremdung und Konkurrenz beruht. Deren Beliebigkeit zeigt sich auch darin, dass der Begriff Multikulti, weil mittlerweile uncool, einfach durch »interkulturell« ersetzt wird – und identitär und essentialistisch bleibt. Identitäre Gemeinschaften lassen sich nur durch die Ausgrenzung von vermeintlich Anderen schaffen, sind daher strukturell rassistisch oder/und antisemitisch: Deutsche Wertarbeit gegen angeblich arbeitsscheue Roma, Arbeiterstolz gegen angeblich heuschreckendes Finanzkapital.

Eine emanzipatorische Bewegung zum Kommunismus wäre hingegen der Versuch, mit den Kategorien von Herrschaft zu brechen – etwas Besseres als Deutschland, Kapital, Patriarchat und Nation finden wir allemal. Aber welchen Begriff nehmen für grenzüberschreitende, antiherrschaftliche, nichtidentitätspolitische Solidarität gegen den Kapitalismus als Weltsystem des Warenfetischs? Kosmopolitismus, zu Deutsch: Weltbürgertum, beschränkt sich auf eine Ablehnung der hässlichen Seite des kapitalistischen Weltmarktes, um die zivilgesellschaftlich allein wahrgenommene schöne Seite zu befördern. Deshalb macht der Begriff des Kosmopolitismus nur Sinn, wenn die Aufhebung von Herrschaft und Warentausch mitgedacht wird. So ergibt sich vielleicht eine Grundlage für antiherrschaftliche Subversion – für die kosmopolitische Anarchie, für den kosmopolitischen Kommunismus.