Behörden in Bewegung

Die Entscheidung darüber, ob es sich bei der »Militanten Gruppe« um eine »terroristische Vereinigung« handelt, steht unmittelbar bevor. von martin kröger und jörg meyer

Besonders auskunftsfreudig ist man in der Pressestelle des Bundesgerichthofs (BGH) nicht. »Es gibt keinen Termin für eine Entscheidung über die Haftüberprüfung der drei Beschuldigten Florian L., Axel H. und Oliver R.«, sagt die Mitarbeiterin der Öffentlichkeitsarbeit lapidar. Die Männer sollen in der Nacht zum 31. Juli in Brandenburg versucht haben, mehrere LKW der Bundeswehr anzuzünden. Sachschaden war damals nicht entstanden. Seitdem sitzen die drei in Untersuchungshaft, weil nach Paragraf 129a gegen sie ermittelt wird. Ob jedoch die »Militante Gruppe« (MG), der sie angehören sollen, überhaupt als eine »terroristische Vereinigung« einzustufen ist, die die Ordnung der Bundesrepublik gefährden will, gilt als fraglich.

Nach verschiedenen Medienberichten will der BGH den Vorwurf des Terrorismus offenbar fallenlassen. Dann müsste geklärt werden, ob nach Paragraf 129, also wegen der Bildung einer »kriminellen Vereinigung«, ermittelt werden kann. Auch was diesen Vorwurf angeht, gibt es offenbar Bedenken der Richter. Als umso blamabler könnten sich die Maßnahmen der Bundesanwaltschaft (BAW) im Nachhinein erweisen. Selbst die konservativen Medien hatte Generalbundesanwältin Monika Harms mit dem Abhören von Reportern und der Postkontrolle bei vier Berliner Tageszeitungen gegen sich aufgebracht. In der vorletzten Woche behauptete zudem der Telegraph, die Behörden werte Stasi-Akten für ihre Ermittlungen aus.

Wie sehr die Bundesanwaltschaft dennoch versucht, die Beschuldigungen aufrechtzuerhalten, will die Frankfurter Rundschau erfahren haben. In einem neunseitigen Schreiben habe sich Harms an den BGH gewandt, um den Zusammenhang der insgesamt vier Verfahren nach Paragraf 129a darzulegen. »Nach meinem Wissen steht darin nichts Neues«, sagt Christina Clemm, die Anwältin des bereits aus der Untersuchungshaft Entlassenen Andrej Holm. Sie geht davon aus, dass der BGH zu dem Schluss kommen werde, selbst der Vorwurf nach Paragraf 129 sei nicht hinreichend belegt. Dann müsste das Verfahren an das zuständige Gericht in Brandenburg abgegeben werden. Die Ermittlungen seien insgesamt sehr umfangreich, sagt Clemm. Wenn man sich allein ansehe, wer als Zeuge oder Zeugin vor­geladen werde, könne es anscheinend jeden treffen, der einmal etwas mit den Beschuldigten zu tun gehabt habe. »Die BAW wollte wohl gerne mal wieder einen Ermittlungserfolg präsentieren.« Dennoch hält die Anwältin den Ermittlungs­eifer der BAW nicht für ungewöhnlich: »Das ist das normale Instrumentarium beim Paragrafen 129a.« Bloß sei sonst die Öffentlichkeit nicht so groß. Dass es allein um die MG gehe, glaubt sie nicht.

Mittlerweile hat nicht nur das BKA, sondern auch die BAW fleißig vorgeladen. Hier besteht die Pflicht zu erscheinen. »Von den über 20 vorgeladenen Personen haben zwei Drittel die Aussage verweigert«, erzählt Beate Beckmann, Sprecherin der Gruppe der Berliner Zeuginnen und Zeugen. Allen sei mit einem Ordnungsgeld und einer Vorladung nach Karlsruhe gedroht worden. Wer dort weiter schweigt, gegen den könnte eine so genannte Beugehaft verhängt werden. Bislang seien aber noch keine weiteren Schreiben gekommen. »Wir vermuten, dass die BAW jetzt die Entscheidung vom BGH abwartet, da sie ja schon zwei Schlappen vom BGH einstecken mussten«, sagt Beckmann.« In einem anderen Verfahren nach Paragraf 129a habe es in Kiel bzw. Hamburg auch Vorladungen gegeben, genaueres wisse sie dazu aber nicht.

Tatsächlich kann man leicht den Überblick verlieren. Neben dem derzeitigen MG-Verfahren gibt es zwei weitere Ermittlungsverfahren nach Paragraf 129a gegen die »Militante Gruppe«, wobei eines bereits seit fünf Jahren läuft. Im bislang umfangreichsten Verfahren durchsuchten das BKA und die BAW am 9. Mai dieses Jahres gut 40 Wohnungen, Büros und Vereinsräume in verschiedenen Bundesländern. Hier geht es im Kern um das Autorenkollektiv »AG Grauwacke«, welches das Buch »Autonome in Bewegung – die ersten 23 Jahre« verfasst hat. Den 18 Beschuldigten wird vorgeworfen, eine »ter­roristische Vereinigung« zur militanten Verhinderung des G8-Gipfels in Heiligendamm gebildet zu haben. Die groß angelegten Durchsuchungen wurden damit begründet, dass es »nicht zuletzt aufgrund des fortgeschrittenen Lebensalters der Beschuldigten deren Konzeption« entspreche, »erheblich jüngere Personen aus der militanten linken Szene zum Zwecke der operativen Durchführung der Anschläge zu rekrutieren«.

Rund 2 000 Namen von Linken finden sich in 33 Aktenordnern mit 10 000 Seiten. »Aufs Gleis gesetzt wurde der ganze Schlamassel vom Bundesamt für Verfassungsschutz, das seit vielen Jahren einige der später Beschuldigten überwacht«, heißt es in einer ersten Auswertung der Akten seitens der Betroffenen. Ein weiteres Verfahren richtet sich gegen Personen aus Bad Oldesloe (Schleswig Holstein), Hamburg und Berlin. Hier durchsuchten die Behörden am 13. und 19. Juni zahlreiche Privat- und Arbeitsräume. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, Bundeswehreinrichtungen beschädigen zu wollen.

Für den Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele (Grüne) sind der »Umfang und die Konzentration der Ermittlungen dieses Jahres noch nicht da gewesen«. Dabei hat der Anwalt bereits in den siebziger Jahren etliche Personen verteidigt, denen terroristische Aktivitäten vorgeworfen wurden. Die derzeitige Ausspähung der linken Szene erfolge »auf mehr Ebenen« als damals. Zu den Razzien komme etwa die Überwachung der Telefon- und Onlinekommunikation. »Es werden alle Register gezogen«, sagte Ströbele der Jungle World. Und das, obwohl seit Rot-Grün nur als terroristische Gruppe gilt, wer den Staat als solchen schädigen will. »In den gegenwärtigen Fällen ist es ja aber noch nicht einmal klar, ob es sich überhaupt um eine Gruppe handelt«, sagt Ströbele.

Dass wie im Fall Andrej Holms die Szene kritischer Intellektueller im Fokus der Untersuchungen steht, wundert Ströbele indes nicht. Schließlich verteidigte er vor rund 30 Jahren mehrere der Professoren, die den Nachruf des »Göttinger Mescalero« auf den von der RAF erschossenen Generalbundesanwalt Siegfried Buback verbreitet hatten. Dennoch: »Die heutigen Ermittlungen sind umfangreicher und stellen wesentlich größere Einschnitte in die Grundrechte dar.«

Beim Bündnis für die Einstellung des Verfahrens nach Paragraf 129a »ist man sehr vorsichtig, was die Entscheidung des BGH in dieser Woche angeht«, sagt die Sprecherin Claudia Grothe. Den drei noch Inhaftierten gehe es den Umständen entsprechend gut, mit ihren Anwälten dürften sie jedoch weiterhin nur durch Trennscheiben kommunizieren.