Mehr als ein Sack Reis, der umfällt

Sollen die deutsch-chinesischen Wirtschafts­beziehungen wegen des Dalai Lama aufs Spiel gesetzt werden? Die Vertreter der deut­schen Wirtschaft meinen: Nein! Von Michael R. Krätke

Nun ist den Chinesen der Kragen geplatzt. Die salbungsvollen Reden von Angela Merkel über die Menschenrechte haben sich ihre Gastgeber noch geduldig angehört, beim offiziellen Empfang für den Dalai Lama im Kanzleramt vor vier Wochen hörte der Spaß auf. Tibet und Taiwan sind die zwei wunden Punkte der chinesischen Politik, da regiert die chinesische Regierung empfind­lich auf jede Einmischung aus dem Ausland. Eini­ge diplomatische Termine ließ man platzen, zum ersten Mal wurde auch das jährliche Treffen im Rahmen des Menschenrechtsdialogs abgesagt.

Aber nicht nur die chinesische Regierung war ver­stimmt, auch die Granden der deutschen Wirtschaft reagierten mit deutlicher Kritik am Fauxpas der Kanzlerin. Verschiedene Wirtschaftsführer beklagten in aller Öffentlichkeit die in ihren Augen fatale Neigung, China zu verteufeln und als Missetäter in der Welt hinzustellen. Der Asien-Pazifik Ausschuss (APA) der deutschen Wirtschaft (getragen unter anderem vom Bundesverband der Deutschen Industrie, vom Deutschen Industrie- und Handelstag und dem Bankenverband), vertre­ten durch seinen Vorsitzenden, den Vorstandsvorsitzenden der BASF Jürgen Hambrecht, äußer­te Besorgnis über das ungeschickte Vorgehen der Bundesregierung. Die Vertreter der Wirtschaft warnten davor, Ängste vor China zu schüren und Panik zu verbreiten. Denn »der deutschen Wirtschaft geht es sehr gut in China«, meinte Friedolin Strack, Sprecher des Asien-Pazifik-Ausschusses. Unverkennbar ist die Sorge, die tölpelhafte Symbolpolitik der Bundesregierung könne Wirtschafts­interessen in China beeinträchtigen.

Gut ein Zehntel der deutschen Exporte geht nach Asien, die meisten davon inzwischen nach China. Zahlreiche deutsche Unternehmen, Großkonzerne ebenso wie mittelständische Unternehmen, sind in China fest etabliert, rund 800 deutsche Unternehmen haben im vergangenen Jahr über 2,5 Milliarden in der Volksrepublik in­ves­tiert. China ist mit Wachstumsraten von durch­schnittlich zehn Prozent in den vergangenen Jah­ren und einem Außenhandelswachstum von über 20 Prozent zu einem der wichtigsten Wachstums­motoren der Weltwirtschaft geworden. Das Land hat Japan als industrielle und kommerzielle Hege­monialmacht Ostasiens verdrängt; die Volksrepu­blik hatte bereits im Jahr 2006 einen Anteil von 27 Prozent am gesamten Export in Asien und einen Anteil von 25 Prozent an den gesamten Importen, während Japans Anteile auf unter 21 bzw. unter 20 Prozent abgesunken sind.

Für China ist Deutschland in der EU der bei weitem wichtigste Handelspartner. Für die deutsche Wirtschaft ist China der wichtigste Absatzmarkt in Asien. Mehr noch: Die deutschen Exporte nach China haben sich in den vergangenen 15 Jahren ver­sechsfacht, die Volksrepublik war bereits im Jahr 2006 der zweitwichtigste außereuropäische Abnehmer deutscher Waren. Deutsche Unternehmen sind seit 1999 die wichtigsten europäischen Direktinvestoren (bezogen auf Neuanlagen). Die deutschen Direktinvestitionen gingen in erster Li­nie in den Automobilbau, in den Maschinen- und Anlagenbau und in die chemische Industrie. Trans­nationale Konzerne aus Deutschland spielen die Hauptrolle bei den deutschen Direktinves­titio­nen in China, aber auch viele mittelständische deutsche Unternehmen haben sich mittlerweile mit ei­genen Produktionsstätten in China engagiert. Rund 2 000 deutsche Unternehmen haben mehr als zehn Millarden Euro in China direkt investiert.

Nach der jüngsten Umfrage des Bundesverbandes des deutschen Groß- und Außenhandels setzen die deutschen Unternehmer auf den chinesi­schen Boom: 71 Prozent der Befragen betrachten den chinesischen Markt als den Markt mit den größten Wachstumspotenzialen. Auf der Konferenz des Asien-Pazifik-Ausschusses in Seoul vor drei Wochen, an der 600 Unternehmer und Spitzenmanager teilnahmen, wurde diese Sicht der Dinge bekräftigt.

Deutsche Unternehmen wollen weiterhin in großem Stil in China investieren, sie wollen weitere Joint Ventures mit chinesischen Konzernen eingehen, und sie wollen mehr als bisher in China produzieren, nicht nur für die Weltmärkte, sondern auch für den rasch wachsenden chinesischen Binnenmarkt. Alle Erwartungen sind hoffnungsfroh auf die Olympischen Spiele in Peking im kommenden Jahr gerichtet – das Ereignis soll den chinesischen Boom weiter beflügeln. Vor allem die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer und die deutsche Automobilindustrie setzen auf China als Zukunftsmarkt. Da können Vorstöße der Bundesregierung in Sachen Menschenrechte bzw. tibetische Autonomie nur stören. Von den deutschen Wirtschaftsvertretern wird zwar keine offene Kritik an der offiziellen Menschenrechtspolitik geäußert, aber sie betrachten sie als »wenig hilfreich«, wie es in der Diplomatensprache so schön heißt.

Dagegen braucht die deutsche Wirtschaft die Hilfe der Bundesregierung, um ihren zahlreichen Anliegen beim chinesischen Gegenüber ein of­fenes Ohr zu verschaffen. Der Asien-Pazifik-Ausschuss hat im Juni dieses Jahres einen Katalog solcher Anliegen veröffentlicht. Er wünscht sich etwa Zugeständnisse beim Technologietransfer, den die Chinesen bisher sehr geschickt zum eigenen Vorteil nutzen. Fast 70 der in China tätigen deutschen Unternehmen klagen über »erzwun­ge­nen« Technologietransfer oder schlichtweg über »Diebstahl«. Sie wollen ihren technologischen Vor­sprung bewahren, ihre Betriebsgeheimnisse gehütet und ihr »geistiges Eigentum« geschützt sehen und fordern den Abbau bzw. die Aufhebung von nicht-tarifförmigen, technischen Marktzugangsschranken (also technische Normen, Zulassungsverfahren etc.). China solle sich doch bitte schön in seiner Umweltschutzpolitik am Vorbild der europäischen Regelungen orientieren, die von zahllosen Sonderregeln und Ausnahmen für einzelne Branchen durchlöchert sind.

Außerdem verlangen die deutschen Investoren von der chinesischen Regierung mehr Spielraum. Sie solle etwa die Vorschrift, wonach bei kleineren Investitionsprojekten (mit einem Vo­lumen von bis zu drei Millionen US-Dollar) 70 Pro­zent der Investitionssumme mit Eigenkapital zu decken sind, also nicht per Kredit finanziert werden dürfen, revidieren. Wenn es nach den Wünschen der deutschen Exportwirtschaft ginge, würde die chinesische Regierung auch darauf verzichten, die Fremdfinanzierung von ausländischen Direktinvestitionen im Lande mit Auslandskrediten zu beschränken.

Eigentlich wäre all dies eine Sache für die Welthandelsorganisation. Aber die laufende Welthandelsrunde stagniert, also setzen die deutschen Unternehmen alles daran, dass die EU mit China bilaterale Freihandelsabkommen abschließt, in denen ihre zahlreichen Wünsche berücksichtigt werden.

Einige der Wünsche der deutschen Exportwirtschaft kann die EU kaum erfüllen, da soll die Bundesregierung tätig werden. Zum Beispiel das Ansinnen der deutschen Unternehmen, die Chinesen mögen ihnen Außenhandelskammern in allen größeren Städten erlauben, nicht nur eine Niederlassung wie bisher, und sie mögen die Aufnahme chinesischer Unternehmen und Privatpersonen als Vollmitglieder in diese deutschen Industrie- und Handelskammern in China zulassen. Angesichts all dieser Wünsche können die Vertreter der deutschen Wirtschaft nun wirklich keinen Ärger mit der chinesischen Regierung brauchen.