Fromm und umstritten

Die erste Runde der türkischen Präsidentschaftswahl begann am Montag mit dem Scheitern von Außenminister Abdullah Gül, der jedoch weiterhin als Favorit für das Amt gilt. Seine Figur spaltet derzeit mehr das Parlament als die türkische Gesellschaft. von sabine küper-büsch, istanbul

Niemand hatte erwartet, dass Abdullah Gül es in der ersten Runde schaffen würde, seine Kandidatur für das Amt des türkischen Staatspräsidenten durchzusetzen. Dennoch gilt es als so gut wie sicher, dass er spätestens in der dritten Runde am 28. August mit der dann ausreichenden einfachen Mehrheit gewählt wird.

In der Türkei wird derzeit über die politische Bedeutung dieser Wahl diskutiert. Die Regierungspartei von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan pocht auf ihren Wahlerfolg. Bei den Parlamentswahlen am 22. Juli hatte die AKP mit 46,6 Prozent die absolute Mehrheit und einen klaren Wahlsieg errungen. Erstmals in der politischen Geschichte der Türkei konnte eine amtierende Regierungspartei ihren Stimmenanteil um 12 Prozent erhöhen. Dies lag an der stabilen Wirtschaftspolitik, der von der AKP immer wieder betonten »Europa-Perspektive« sowie daran, dass ein Großteil der türkischen Wähler die Einmischung des Militärs in die Innenpolitik ablehnte.

Nachdem Ende April die Kandidatur Güls bekannt geworden war, drohte der Generalstab »im Falle der Überhandnahme antilaizistischer Tendenzen« ein Eingreifen des Militärs an. Das war eine Warnung an die Parteispitze der AKP, deren führende Politiker Erdogan und Gül aus der islamistischen Bewegung des Fundamentalistenführers Necmettin Erbakan kommen. Allerdings waren es ebenfalls Gül und Erdogan, die eine Demokratisierung des islamisch-konservativen Lagers geleitet haben und dementsprechend dafür sorgten, dass radikal-islamistische Positionen in der Türkei heute keine relevante Bedeutung mehr haben. Die Mehrheit der Türken fand deshalb die Anti-AKP-Politik des Militärs und der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) ‘die als eine Art verlängerter Arm des Generalstabs gesehen wird’ überzogen.

Bei der Abstimmung am Montag hatte Gül mit Widerstand im Parlament zu kämpfen. Diesmal nahmen jedoch alle Oppositionsparteien bis auf die CHP an der Sitzung teil. Die Nationalistische Bewegungspartei (MHP) und die Demokratische Linkspartei (DSP) stellten jeweils Gegenkandidaten auf. Da die Kandidaten wegen der Mehrheitsverhältnisse keine Chance auf einen Wahlsieg haben, können die Kandidaturen als Andeutung der beiden Parteien gewertet werden, sich an den Wahlgängen aktiv zu beteiligen. Die CHP hatte die erste Kandidatur Güls boykottiert, indem sie der Abstimmung ferngeblieben war. Die notwendigen 367 Abgeordneten standen nicht zur Verfügung, und die Wahl wurde durch eine Entscheidung des Verfassungsgerichts annulliert. Dieses umstrittene Verfahren unterstützten die MHP und die DSP diesmal nicht. Als Parteien, die in dieser Legislaturperiode aus der außerparlamentarischen Opposition in die Nationalversammlung gewählt wurden, zeigen sie damit den Wunsch nach pragmatischer Politik.

Doch der Europa-Kurs der AKP wird von beiden Parteien nach wie vor heftig kritisiert.Vor allem die MHP ist für ihren kompromisslosen Nationalismus in der Zypern-Frage bekannt und forderte im Wahlkampf mehr Sicherheitspolitik statt der Fortführung eines auf Gedankenfreiheit und Verbesserung der Menschenrechte orientierten Kurses. Genau in die andere Richtung werden einige der linken unabhängigen Kandidaten und die pro-kurdische Fraktion der Partei für eine demokratische Gesellschaft (DTP) Oppositionspolitik betreiben. Diese Fraktionen stimmten am Montag gegen Gül, weil sie die Reformen der AKP bislang für zu wenig durchgesetzt halten. Vor allem die DTP möchte, dass zentrale Forderungen aus den kurdischen Provinzen wie die nach einem weniger restriktiven Umgang mit der kurdischen Sprache endlich erfüllt werden. Die kurdische Sprache ist mittlerweile nicht mehr offiziell verboten, aber in der Öffentlichkeit weitgehend auf die Umgangssprache und Unterhaltungsindustrie beschränkt. Politische Nachrichtensendungen müssen unzumutbare Auflagen erfüllen, und kurdische Politiker werden der Volksverhetzung bezichtigt, wenn sie politische Reden auf Kurdisch halten. Meinungsfreiheit gibt es derzeit nicht im türkischen politischen System. Unter den berüchtigten Paragraphen »Verunglimpfung des Türkentums«, »Beleidigung des Staatsgründers Atatürk«, »Beleidigung der Streitkräfte« wird die bloße Thematisierung politischer Tabus juristisch verfolgt und oftmals sogar mit Haftstrafen geahndet.

Durch die zu erwartende Wahl Abdullah Güls zum türkischen Staatspräsidenten am 28. August wird die Pattsituation vom Frühjahr überwunden. Durch den Einzug von mehr Parteien in die Nationalversammlung ist das Parlament repräsentativer geworden. Die Regierungspartei wird sich einer ernsthaften Opposition stellen müssen, hat aber auch die Chance, neue Allianzen zu knüpfen, wenn sie kompromissbereit handelt.