Der wirkliche Skandal

An dem 129a-Verfahren gegen den Stadtsoziologen Andrej H. und andere üben prominente Wissenschaftler aus aller Welt scharfe Kritik. Kommentar von Carlos Kunze

Verfolgt die Bundesanwältin Monika Harms eine besonders subversive Strategie, für Deutschland international die wohlverdiente Werbung zu machen? Zumindest verhält sie sich so. Sie ist verantwortlich für die Inhaftierung von Andrej H., einem Stadtsoziologen, wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der ominösen »Militanten Gruppe«. Daneben ist mit Matthias B. ein weiterer Wissenschaftler der Mitgliedschaft beschuldigt, aber nicht in Haft. Die originellen Begründungsschnipsel der Bundesanwältin, die von einer »intellektuellen Täterschaft« der beiden spricht, wie Anwälte der Beschuldigten zitierten (Jungle World 33/07), haben in der vorigen Woche zu ausgedehnten Protesten geführt, in Deutschland wie auch international.

Zwei Professoren und eine Privatdozentin erklärten für die Sektion Stadt- und Regionalsoziologie in der altehrwürdigen, 1909 gegründeten Deutschen Gesellschaft für Soziologie, der Haftbefehl stehe »für eine Ausweitung der Terrorismus-Ausnahmegesetzgebung auf wissenschaftliche Stadtforschung«, und ergänzten: »Die bekannt gewordenen Begründungen aus dem Haftbefehl sind eine Beleidigung für wissenschaftlich Tätige, und wenn sie als Indizien für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gelten, wird ›normale Stadtforschung‹ unter Generalverdacht gestellt.«

In einem »Open letter to the Generalbundesanwaltschaft against the criminalization of critical academic research and political engagement« fordern Dutzende prominente Akademiker und Intellektuelle aus den USA, den Niederlanden, Großbritannien und anderswo, unter ihnen etwa Richard Sennett und Saskia Sassen, die Einstellung der 129a-Verfahren gegen alle Beteiligten und erklären: »Die Bundesanwaltschaft bedroht durch die Anwendung des § 129 die Freiheit der Forschung und Lehre ebenso wie gesellschaftspolitisches Engagement.«

Skandalisiert man nur das Offensichtliche, bleibt der wirkliche Skandal im Dunkeln. Was ist passiert? Nach Angaben der Polizei wurde versucht, drei LKW der Bundeswehr zu verbrennen. Ermittelt wird jedoch wegen Terrorismus. Dass man für Brandstiftung an Autos, und seien es solche der Polizei oder der Armee, als »Terrorist« verfolgt wird, ist etwas, was nicht einmal in den autoritären Fantasien von Nicolas Sarkozy eine Rolle spielt, der in seiner Amtszeit als Innenminister innerhalb von sechs Wochen den Verlust von knapp 10 000 ausgebrannten Wagen zu beklagen hatte. Hierzulande ist es Leitlinie der Justiz.

Weil objektiv nichts auch nur annähernd Terror­ähnliches geschehen ist, muss der Terrorismusverdacht mit der vermeintlichen Gesinnung der Verdächtigten begründet werden. Das ist eine Folge der Anwendung des Gesinnungsstrafrechts, das der deutschen antiliberalen Tradition entstammt.

Am Freitag dieser Woche hat Andrej H. seinen Haftprüfungstermin. Wenn er danach frei gelassen wird, ist das ein Eingeständnis, dass die Bundesanwaltschaft den Vorwurf des Linksterrorismus überstrapaziert hat. Wird er nicht frei gelassen, kann der Skandal ungehindert weitere Kreise ziehen, was er zweifellos tun wird.