Selbstbestimmt und sich selbst überlassen

Die Partei »Die Linke« und die Friedens­bewegung rufen im Herbst zu einer Demonstration gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan auf. In der SPD und bei den Grünen wird kontrovers über die Beteiligung an der »Operation Enduring Freedom« diskutiert. Von Jesko Bender

Die von Linken hochgehaltene internationale Solidarität ist manchmal ein wenig bizarr. Während in Afghanistan die Taliban und andere Guerillakrieger fast täglich Entwicklungshelfer und Regierungsvertreter entführen oder ermorden, bereiten die Friedensbewegung und die Partei »Die Linke« ihre hiesige Herbstoffensive vor. Ihr Ziel besteht darin, den vollständigen Rückzug der internationalen Truppen aus Afghanistan, also auch der Bundeswehr, zu erreichen.

In den kommenden Wochen soll zu diesem Zweck eine Kampagne lanciert werden, deren Höhepunkt eine Demonstration am 15. September in Berlin sein soll. Anlass sind die im September und Oktober bevorstehenden Bundes­tags­entscheidungen über eine Verlängerung der drei Mandate für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan: die Beteiligung an der Isaf-Schutztruppe, das Engagement im Rahmen der »Operation Enduring Freedom« (OEF) und der weitere Einsatz der Bundeswehr-Tornados. Bisher wird die Kampagne vom Bundesausschuss Friedensratschlag, einem Zusammenschluss von verschiedenen Friedensinitiativen und Einzelper­sonen, von Attac und von der Partei »Die Linke« unterstützt.

Den Rückzug aller internationalen Truppen aus Afghanistan fordern die genannten Organisationen aus Prinzip und grundsätzlich. Der Friedensratschlag begründet seine ablehnende Haltung überdies mit den jüngsten Geiselnahmen in Afghanistan, die gezeigt hätten, »dass Krieg und Besatzung kein Mittel zur Lösung der Probleme des Landes und der Region sind, sondern die Gewaltkonflikte nur weiter verschärfen«. Dass es sich sowohl bei den entführten Südkoreanern als auch bei den beiden Deutschen um Zivilisten han­delt, wird mit keinem Wort erwähnt.

Die Logik, die aus den meisten Erklärungen spricht, ist verblüffend einfach. Man kann sie auf folgende Formel bringen: Bundeswehr raus aus Afghanistan, für das Selbstbestimmungsrecht der Völker! Gregor Gysi etwa meinte in der vorletzten Woche im Deutschlandfunk, die einzigen, die den Frieden in Afghanistan verhinderten und neue Probleme schü­fen, seien seiner Mei­nung nach die internationalen Truppen. »Wir sind natürlich nicht nur dafür, sich nicht an ›En­during Freedom‹ zu beteiligen, wir glauben auch, dass Isaf nicht mehr die Probleme löst, sondern im Gegenteil.« Und weiter sagte er: »Die Taliban sind gar nicht mehr in Afghanistan, die sind in Pakistan. Und die kommen nur rüber nach Afghanistan, um dort Kämpfe mit den USA zu führen. Verstehen Sie, das ist die Realität von heute.« Natürlich darf bei dieser Argumentation nicht das immer wieder aufs Neue heruntergebetete Man­tra der Friedensbewegung fehlen: »Die Selbst­befreiung der Völker ist immer Aufgabe der Völker«, sagte Gysi.

Die Friedensbewegung und »Die Linke« sind sich in dieser Frage der Unterstützung der Mehr­heit der deutschen Bevölkerung sicher. Denn diese wünscht auch nichts anderes, als dass Deutschland seine Soldaten besser heute als morgen aus der Krisenregion abziehe. Das Interesse an der Bekämpfung der Taliban, an der Demokratisierung und dem Wiederaufbau Afghanistans scheint hierzulande nicht sehr ausgeprägt zu sein. Das Ausmaß der Ignoranz, mit dem die Friedensbewegung diesen Fragen gegenübersteht, ist einigermaßen erstaunlich. Keine Zeile ist in den unzähligen Erklärungen darüber zu lesen, was ein Abzug der internationalen Truppen bedeuten würde.

Thomas Ruttig, der in Afghanistan lange Zeit für die Vereinten Nationen, die Europäische Union und die deutsche Botschaft arbeitete, wies vor kurzem in der Zeit darauf hin, dass »gerade auch die fortschrittlichen und demokratischen Kräfte des Landes sagen, wir brauchen die Unterstützung der Bundeswehr gegen die Fundamentalisten«. Gleichzeitig müssten durch politische Refor­men und verstärkte Entwicklungshilfe endlich rechtsstaatliche Strukturen geschaffen werden. Die Mehrheit der Bevölkerung nehme die Taliban als Bedrohung wahr. Eine ähnliche Meinung vertritt auch die Revolutionary Association of the Women of Afghanistan (Rawa). (Jungle World 38/2006)

Die derzeitige politische Situation in Afghanistan ist, zumindest aus linker Perspektive, von einer regelrechten Ausweglosigkeit gekennzeichnet. Selbstverständlich muss darauf hingewiesen werden, dass auch von Deutschland in Afghanistan ein korruptes Regime gefördert, mafiöse Warlords gestützt und demokratische Organisationen lange Zeit übergangen wurden. Trotz dieser widersprüchlichen Lage aber ist die Forderung nach einem völligen Rückzug der internationalen Truppen fragwürdig. Denn so nimmt man in Kauf, dass das Land kollabiert.

»Die Linke« ahnt ihre Chance aber auch auf einem anderen, innenpolitischen Feld. Ihr dürfte es beim Thema Afghanistan-Einsatz darum gehen, die SPD abermals vorzuführen und dafür zu sorgen, dass sie weiter zerstritten ist. Bereits bei der Abstimmung über die Entsendung der deutschen Tornados im März hatten 69 sozialdemokratische Abgeordnete gegen den Einsatz gestimmt. Was damals eher gelassen hingenommen wurde, könnte sich im Herbst zu einem ernsthaften Streit in der SPD entwickeln. Derzeit steht nämlich ein großer Teil der Fraktion der Beteiligung an der »Operation Enduring Freedom« ablehnend gegenüber. Hans-Peter Bartels, ein Mitglied im Verteidigungsausschuss, etwa fordert eine »Mandatsbereinigung« und meint damit einen Ausstieg aus dem Einsatz. Der »Linken« dürfte also klar sein, wie sie die SPD in Bedrängnis bringen kann.

Gysi zufolge will die Partei einen Antrag in den Bundestag einbringen, in dem der Ausstieg aus der »Operation Enduring Freedom« gefordert wird. »Mal sehen, wie sich die SPD dann dazu verhält«, stichelt er. Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Peter Struck, lehnt einen Ausstieg aus dem von den USA initiierten Bündnis jedenfalls kategorisch ab. Sollte es der »Linken« gelingen, die SPD an dieser Frage zu spalten, wäre die Mandatsverlängerung fraglich.

Während also auf die SPD eine anstrengende und immer wieder von der »Linken« initiierte Debatte zukommt, befinden sich die Grünen eigentlich in einer recht komfortablen Situation. Und das, obwohl es der Basis gelungen ist, gegen den Willen der Parteiführung einen Sonderparteitag einzuberufen, um über die Einsätze in Afghanistan zu debattieren. Mehr als die erforderlichen 44 Kreisverbände hatten einen entsprechenden Antrag unterstützt. Die Parteiführung gibt sich dennoch gelassen. Die Bundes­geschäfts­führerin, Steffi Lemke, sagte, die Grünen stünden vor keiner »Zerreißprobe«. Das Mandat für die »Operation Enduring Freedom« werde aller Voraussicht nach, wie bereits im vergangenen November von der Fraktion, abgelehnt, und der Isaf-Einsatz werde unterstützt.

Die Friedensbewegung richtet ihren Blick auf die Bundesregierung und dort vor allem auf die Sozialdemokraten. Ob die ehemals pazifistische und heute interventionistische Partei der Grünen überhaupt noch ein Adressat der Kriegsgegner ist, scheint angesichts der Äußerungen aus der Friedensbewegung unklar. Zwar findet die Demonstration in Berlin am gleichen Tag statt, an dem sich auch die Grünen zum Sonderparteitag treffen. In den Verlautbarungen der Friedensbewegung findet sich dazu allerdings kein einziges Wort. Vielleicht sind die Verfasser der Aufrufe nüchterne Strategen. Oder aber ihnen ist die Außenpolitik der Grünen schlichtweg zu kompliziert.