Ein Schutzschild für Reiche

Sarkozy hat Durcharbeiten angeordnet. Anstatt Sommerpause zu machen, verabschieden die Abgeordneten Gesetze mit weit reichenden Folgen. von bernhard schmid, paris

Ein Mann hält Wort: Der seit beinahe zwei Monaten amtierende französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy ist drauf und dran, einen Gutteil seiner im Wahlkampf verbreiteten Ankündigungen in die Tat umzusetzen. Die Abgeordneten der französischen Nationalversammlung werden deshalb den ganzen Monat Juli, in dem üblicherweise die parlamentarischen Sommerferien beginnen, zu einer Serie parlamentarischer Sondersitzungen zusammenkommen.

Seit Dienstag der vergangenen Woche beraten die Abgeordneten der Nationalversammlung, des parlamentarischen Unterhauses, das im Streitfall das letzte Wort gegenüber dem Senat oder Oberhaus behält, über die geplanten neuen Gesetze zu »Arbeit, Beschäftigung und Kaufkraft«, abgekürzt TEPA. Bereits Anfang Juli haben die Senatoren das Gesetz der neuen Justizministerin Rachida Dati zum Jugendstrafrecht und zur Behandlung von Mehrfachstraftätern gebilligt, das nun noch von der Nationalversammlung verabschiedet werden muss.

Hinter dem Kürzel »TEPA« verbergen sich in allererster Linie Steuergeschenke für Reiche . So wird nunmehr ein so genanntes steuerliches »Schutzschild« (bouclier fiscal) eingeführt, das es Vermögensbesitzern und Großverdienern erlauben soll, sich den Ansprüchen des Fiskus besser zu entziehen. Personen, die bereits Millionäre sind und daneben Einnahmen etwa für Managerposten oder aus Kapitaleinkünften beziehen, fielen bisher unter die Großvermögenssteuer (ISF). Da diese zur üblichen Einkommenssteuer hinzuaddiert wird, kann es vorkommen, dass ein beträchtlicher Teil der zusätzlichen Neueinnahmen – nicht des bereits angehäuften Vermögens – abgeführt werden muss. Dem möchte die Regierung nun ein Ende setzen.

Noch im Vorjahr hatte das konservative Vorgängerkabinett unter dem damaligen Premierminister Dominique de Villepin eine Begrenzung der Abgaben für diesen Personenkreis eingeführt: Nicht mehr als 60 Prozent der Neueinkünfte sollen, alle Steuerarten zusammengezählt, abgeführt werden. Ausgenommen blieben dabei aber ausdrücklich die beiden Sondersteuern CSG (Allgemeiner Sozialbeitrag) und CRDS (Beitrag zur Abzahlung der sozialen Schulden). Sie wurden 1990 bzw. 1995 eingeführt, um die Sozialversicherungskassen – bei gleichzeitiger fortschreitender Entlastung der Unternehmen – von den Steuerzahlern sanieren zu lassen.

Das Besondere dieser beiden Steuern liegt darin, dass sie unabhängig vom Lohn und Gehalt sind. Das bedeutet, dass sie sowohl auf Kapital- und Mieteinkünfte als auch auf die Einkommen von Rentnern und Arbeitslosen, sofern sie ein be­stimm­tes Minimum überschreiten, erhoben werden. Nun wollen Sarkozy und Premierminister François Fillon jedoch die Großverdiener ausdrücklich auch vor diesen beiden Sondersteuern schützen. Die neue Regel, die wesentlich radikaler ausfällt als die im Jahr 2006 verabschiedete Steuerreform, lautet: Nicht mehr als 50 Prozent (statt bisher 60 Prozent) der Neueinkünfte sollen abgeführt werden; und anders als bisher müssen die CSG und die CRDS dabei angerechnet werden. Das läuft darauf hinaus, dass zwar Arbeitslose und Rentner der Sondersteuer nicht entfliehen können, wohl aber Vermögensbesitzer. Wegen der Einbeziehung der beiden »Sozialsteuern« in das »steuerliche Schutzschild« bedeutet dies, dass die sonstige Steuerlast – ohne CSG und CRDS – beim Spitzensatz für die höchsten Einkommen nicht über 39 Prozent liegen wird.

Dies führt derzeit auch innerhalb des bürgerlichen Lagers zu Spannungen, da einige der konservativen Abgeordneten – wie auch die Euro­päische Union – dagegen die Imperative von Sparpolitik und Reduzierung des Haushaltsdefizits geltend machen. Doch davon ließen sich Sarkozy und Fillon nicht beirren, der neue Präsident plädierte vielmehr höchstpersönlich am Montag voriger Woche in Brüssel für eine Verschiebung der Defizit-Reduzierung auf »so bald wie möglich«.

Die Pariser Abendzeitung Le Monde hat berechnet, dass rund 250 000 Haushalte aus den obersten Einkommensbereichen von den Steuergeschenken profitieren und rund 800 Millionen Euro einstreichen werden. Davon werden die 13 000 am besten situierten Steuerhaushalte allein 583 Millionen kassieren.

Weniger mit Samthandschuhen angefasst werden unterdessen Straftäter und Ausländer. Für Erstgenannte führte die Gesetzesvorlage von Justizministerin Dati Mindeststrafen ein, falls sie mit derselben Straftat rückfällig werden. Bislang kennt das französische Strafrecht nur Höchststrafen, ansonsten entscheidet der Richter unter Einbeziehung der Gesamtumstände sowie eines Persönlichkeitsbilds über das Strafmaß. 16- und 17jährige Jugendliche sollen mit dem zweiten Rückfall automatisch dem strengeren Erwachsenenstrafrecht unterliegen.

In beiden Fällen, bei den Mindeststrafen und den jugendlichen Straftätern, soll der Richter aber in Ausnahmefällen und mit spezieller Begründung von den neuen Regeln abweichen können. Andernfalls, wenn den Gerichten also keinerlei minimaler Ermessensspielraum mehr eingeräumt worden wäre, wäre die Reform verfassungswidrig gewesen. Offenkundiges Ziel ist es, die Gefängnisse aufzufüllen, obwohl sie mit derzeit 61 000 Insassen für offiziell 50 000 Plätze bereits überfüllt sind.

Was Ausländer betrifft, so sollen sie künftig vor der Einreise stärker nach ihrem ökonomischem Nutzen für die Nation ausgesucht werden. Momentan sind die meisten der legal Einreisenden Familienangehörige und Ehegatten von Franzosen oder »legal« in Frankreich lebenden Ausländern. Nur fünf Prozent der neu erteilten Aufenthaltserlaubnisse hängen mit einer Arbeitsaufnahme zusammen. Präsident Sarkozy hat nun Anfang vergangener Woche die Priorität gesetzt, mindestens 50 Prozent der legalen Einreisen müssten an eine Arbeitsaufnahme gekoppelt sein, wobei ausschließlich für »Mangelberufe« und besonders gesuchte Qualifikationen ­Arbeitskräfte rekrutiert werden sollen.

Im Umkehrschluss soll sowohl die Aufnahme von Familienangehörigen als auch von Asyl­suchenden begrenzt und zu diesem Zweck kontingentiert, d.h. nach einer jährlich vorab festgelegten fixen Quote bemessen werden. Die Gesamtzahl der aufgenommenen Zuwanderer soll dabei nicht wachsen, sondern konstant bleiben. Nicht Menschen sollen künftig kommen, sondern vorzugsweise Träger rarer Qualifikationen.