Schneller fit als erwartet

Auch im Fußballsport fördert Epo die Ausdauer, helfen Anabolika bei der Regeneration und andere Mittelchen gegen Ermüdung. Gedopt sind aber immer nur einzelne Fußballer. von elke wittich

Dass dieser 15. Juni des Jahres 1974 kein guter Tag sein würde, ahnte der haitianische Na­tionalspieler Ernest Jean-Joseph ganz sicher schon beim Aufstehen. Im Gruppenspiel gegen Italien dürften er und seine Mannschaftskollegen sich keine ernsthaften Chancen ausgerechnet haben, entsprechend war man nach der 1:3-Niederlage nicht sehr enttäuscht.

Jean-Joseph hatte aber noch einen weiteren Grund, diesen 15. Juni für einen ausgesprochen miesen Tag zu halten, denn er war für die folgende Dopingprobe ausgelost worden. Und er sollte der erste Fußballer werden, der während einer Weltmeisterschaft positiv getestet wurde. In seinem Urin fand sich ein starkes Aufputschmittel, das der Spieler wohl eigenmächtig eingenommen hatte, der haitianische Mannschaftsarzt gab jedenfalls zu Protokoll, die Athleten vor dem Abflug mehr oder weniger eindringlich vor den wäh­rend der WM drohenden Dopingtests gewarnt zu haben.

Vorzeitig nach Hause geschickt zu werden, war nicht das Schlimmste, was Ernest Jean-Joseph in Fol­ge erlebt. Später erzählte er, dass wütende haitianische Funktionäre ihn verprügelt hätten, bevor er ins nächste Flugzeug nach Haiti gesetzt wurde.

Fußballfans sehen Fälle wie diesen allerdings damals wie heute als Ausnahme, die Kickerei gehört in der öffentlichen Wahrnehmung zu den ganz wenigen weitgehend dopingfreien Sportarten. Im Gegensatz zum Radfahren, Schwimmen, Gewichtheben habe die Einnahme leistungsfördernder Substanzen keinerlei Auswirkungen und lohne sich deswegen nicht, lautet ein gängiges Vorurteil. Packt ein Spieler dann doch einmal aus, wie der ehemalige Nationaltorhüter Harald »Toni« Schumacher, der in seinem 1987 erschienenen Buch »Anpfiff« berichtete, Doping sei in der Bundesliga ganz alltäglich, gilt er lediglich als Lügner oder Nestbeschmutzer.

Überprüft wurden und werden solche Vorwürfe selten, auch unter Verweis auf die Dopingkontrollen. Dass diese den Standards in anderen Sportarten lange nicht entsprachen und zum Beispiel Trainingskontrollen im Fußball erst viel später als anderswo eingeführt wurden und noch heute nicht den Standards entsprechen, spielt dabei kaum eine Rolle. Zusätzlich zu den mangelnden Kontrollen stiegen die körperlichen Anforderungen im Fußballsport immens an, wie der dänische Fußballexperte Jens Bangs­bo bereits Ende der neunziger Jahre nachwies. Mussten Fußballer früher lediglich zwischen sieben und acht Prozent der 90minütigen Spielzeit volles Tempo gehen, sind es nun 15 Prozent. Entsprechend erhöhte sich das Verletzungsrisiko. Dazu stieg die Anzahl der zu absolvierenden Spiele insbesondere für die Spitzen­spieler der Clubs durch Champions League, Uefa Cup und Pokal kontinuierlich an, während gleichzeitig der für Regeneration vorhandene Zeitraum immer kürzer wurde.

Diese Diskrepanz hat bereits 1999 der französische Nationalspieler Emmanuel Petit in der britischen Tageszeitung The Mirror bemängelt. Er warnte, die zunehmenden Belastungen könnten zu einer Zunahme von Doping unter den Fußballern führen: »Es wird noch so weit kommen, dass wir alle Doping brauchen, um zu überleben. Einige Fußballer tun es schon jetzt. Namen nenne ich nicht.«

Die Deutsche Ärztezeitung konstatierte im Juni 2000 in einem Artikel über Doping im Fußball, es sei »unstrittig, dass Anabolika nach längeren Verletzungs­zeiten in der Regenerationsphase zum rascheren Muskelaufbau beitragen. Epo könn­te die Ausdauer-Leistung verbessern, Stimulantien könnten die Ermüdungsphase hinauszögern.«

Und auch Michel D’Hooghe, Vorsitzender der medizinischen Kommission des Weltfußballverbandes Fifa, erklärte 2002 anlässlich der Einführung von Bluttests, er sei davon überzeugt, dass deutsche, englische, italienische und spanische Spieler das Dopingmittel Epo benutzten.

D’Hooghe hatte Erfahrungen mit dem Thema Doping, denn der Mediziner war es, der bei der WM 1994 Maradona des Ge­brauchs illegaler Substanzen überführt hat­. Außerdem, so sagte er, würden ihnen anabole Steroide und Wachstumshormone gespritzt, um vor allem im Hinblick auf die damals anstehende WM in Japan und Südkorea »schneller wieder fit zu werden«.

Dass seit Einführung der Bluttests nur vereinzelt Spieler des Dopings überführt wurden, gilt vielen Fans und Reportern als Beleg dafür, dass es kein Dopingpro­blem im Fußball gibt – so wie eben auch Rad­sport-Fans und Reporter jahrelang darauf verwiesen, dass ihre Sportart sauber sein müsse, da es kaum positive Testergebnisse gegeben habe.

»Ich würde als Fußballer jetzt nicht mit dem Fin­ger auf die Radlfahrer zeigen«, sagte Ex-Weltmeister Paul Breitner am vorletzten Freitag der Münchener Boulevardzeitung tz. »Der Fußballer, der glaubt, er könne mit Doping dafür sorgen, dass er seinen Stammplatz behält, dass er zu einem Sieg beiträgt oder mehr Kohle verdient – warum soll der nicht Doping nehmen?« Gleichzeitig erklärte Breitner jedoch, dass im deutschen Fußball sicher nicht überall gedopt werde. Warum es hierzulande anders sein sollte als in Italien, wo derzeit ein Prozess gegen den ehemaligen Manager und einen Club­arzt von Juventus Turin wegen in den Neunzigern erfolgten gezielten Doping-Machenschaften läuft, sagte er dagegen nicht.

Die Versuchung, durch verbotene Mittel rasch wieder verwendungsfähig zu sein oder trotz körperlicher Erschöpfung gerade gegen Ende der Saison im Kampf um Titel oder Klassenerhalt mit illegalen Substanzen nachzuhelfen, dürfte dabei nicht nur für den einzelnen Spieler groß sein. Für die Vereine sind Titel oder Abstieg gleich­bedeutend mit finanziellem Gewinn oder Einnahmeverlust. Entsprechend groß könnte die Versuchung sein, mit Doping nachzuhelfen, zumal das Risiko, erwischt zu werden, kalkulierbar ist.

Bereits 2004 hat Arsene Wenger, damals Trainer beim britischen Erstligisten Arsenal London, öffentlich den Verdacht geäußert, dass in einigen europäischen Clubs mit Epo gedopt werde.

Wenger berichtete: »Einige Spieler, die von ausländischen Vereinen zu uns gewechselt waren, wiesen eine abnorm hohe Anzahl von roten Blut­körperchen auf. Das macht natürlich miss­trauisch.« Er sei sicher, »dass manche Clubs Spieler ohne ihr Wissen dopen« und statt Vitaminen zum Beispiel Epo spritzen.

Vor diesem Hintergrund sollten Fans und Journalisten eigentlich zutiefst misstrauisch sein, wenn Spieler schwere Verletzungen innerhalb kürzester Zeit überwinden und weit früher als erwartet einsatzbereit sind. Anstatt die geschätzte Rekonvaleszenzdauer mit der tatsächlichen zu vergleichen und sich zu fragen, warum die Knie von Fußballern viel schneller heilen als die von anderen Menschen, bejubelt man in aller Regel die schnelle Rückkehr und feiert die dafür zuständige medizinische Abteilung durchaus auch mal als Wunderdoktoren.

Die Folgen dieses Konglomerats aus gestiegenen Leistungen trotz wachsender Anforderungen, Weggucken, finanziellem Druck, unkritischem Journalismus und konsequentem Ignorieren von Doping-Anschuldigungen durch Insider können derzeit im Radsport besichtigt werden.