Terror TV

Hype um die RAF von thomas uwer

Sie sind überall, in Grundschulen, auf Demonstrationen, in Wohngemeinschaften, auf dem Arbeitsamt und demnächst vielleicht sogar im Theater. Und natürlich im Fernsehen. Kam Ihnen der Kartenabreißer mit dem Backenbart neulich abends im Kino nicht irgendwie bekannt vor? Wissen Sie, wer da neben Ihnen an der Imbissbude steht, während Sie ahnungslos Senf auf die Bulette schmieren? Seit die Debatte um die Entlassung Brigitte Mohnhaupts und das Gnaden­gesuch Christian Klars begonnen hat, werden die ehemaligen Mitglieder der RAF in der ganzen Republik aufgespürt. Sie sind so prominent wie seit 1977 nicht mehr, doch was dabei herauskommt, ist alles andere als sensationell.

Susanne Albrecht zum Beispiel. Sie war eine der so genannten Aussteigerinnen, die in der DDR nach einem bürgerlichen Leben suchten und nach der Wiedervereinigung im Knast landeten. In ihrem Verfahren legte Albrecht ein umfassendes Geständnis ab und distanzierte sich von der RAF, der sie stalinistische Methoden bescheinigte. Zwölf Jahre wegen Beihilfe zum Mord lautete das Urteil, gut die Hälfte saß sie bis zur Entlassung auf Bewährung ab. Heutzutage unterrichtet sie an einer Bremer Schule Deutsch, unter anderem Namen.

Nichts Aufregendes ist daran zu finden, und dennoch wird ein Skandal daraus. Die Situa­tion sei »völlig untragbar«, meint der Vorsitzende der Bürgerschaftsfraktion der CDU in Bremen, Hartmut Perschau. Resozialisierung dürfe »nicht auf dem Rücken unserer Kinder erfolgen«. Wer noch in den siebziger Jahren in den Genuss einer Lehrergeneration kam, die im Nationalsozialismus ausgebildet und sozialisiert worden war, oder auch nur einmal im Leben eine der Kinderverwahranstalten im Osten besucht hat, der weiß, was Kinder­rücken in Deutschland aushalten müssen. Ein ehemaliges Mitglied der RAF ist da im Zweifelsfall noch die freundlichere Variante. Darum aber, was Albrecht an besagter Schule tut, wie auch darum, ob sie überhaupt irgend­etwas unternimmt, das außerhalb des ganz normalen Alltags liegt, geht es keineswegs.

Die öffentliche Terroristenjagd funktioniert wie der Relaunch einer einstmals erfolgreichen Fernsehserie. Sie lebt von dem Erstaunen des Publikums darüber, dass aus den Kinderstars von einst ganz normale Erwachsene geworden sind. Schon Heintje wurde es ver­übelt, dass er nach dem Stimmbruch weiterlebte. Bei den Terroristen von einst wirkt der Kontrast nicht weniger stark und wird auch deshalb stets hervorgehoben. Über Stefan Wisniewski, der 1981 wegen der Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer verurteilt wurde und 1999 frei kam, wird heute berichtet, er habe einen Sohn, »geboren im November 2001 – zwei Jahre nach Wisniewskis vorzeitiger Entlassung aus seiner eigentlich lebenslangen Haft«. Bebildert ist diese Alltäglichkeit mit alten Fahndungsfotos, einer Maschinenpistole und der Aufnahme von Bubacks Wagen nach dem Attentat.

Zur Last gelegt wird den Ehemaligen der RAF also vor allem die Normalität, in die sie zurückkehrten. Schon vor 30 Jahren war das Wissen um das Abtauchen der Terroristen in der Masse ein beliebtes Motiv für Schnüffelei in der nachbarlichen Wohngemeinschaft und Denunziantentum. Darauf möchte auch der Relaunch der beliebten Serie nicht verzichten. Der Name, unter dem Susanne Albrecht nach der Haftentlassung lebt, wurde prompt veröffentlicht, missgünstigen Nachbarn die ungefähre Anschrift und die Außenansicht von Wisniewskis Wohnhaus gereicht. Damit hat der deutsche Wahn sie wieder eingeholt, die Second Generation geht auf Sendung. Was aber, könnte man fragen, sollen sie denn tun, wenn ihnen schon die Rückkehr in den Alltag nicht gegönnt wird? Nur wird das keiner fragen. Auch May­brit Illner nicht.