Die hilflosen Helfer

In Afghanistan haben Nichtregierungsorganisationen, die diesen Namen auch verdienen, einen schweren Stand. von thomas ruttig, kabul

Als die italienische Hilfsorganisation Emergency am Mittwoch der vorigen Woche ihr Personal aus Afghanistan ausflog, geschah dies aus einem ungewöhnlichen Grund: Die Organisation, die seit Mitte der neunziger Jahre im Land tätig ist, protestierte dagegen, dass Rah­ma­tullah Hanefi, einer ihrer afghanischen Mitarbeiter, wegen seiner Kontakte zu den Taliban vom Geheimdienst verhaftet wurde. Dabei hatten diese Kontakte dazu beigetragen, dass Mitte März der von Taliban-Kämpfern entführte italienische Jour­nalist Daniele Mastrogiacomo freigelassen wurde.

Dieser Fall zeigt, wie viele Nichtregierungsorganisationen zwischen die Fronten ge­raten. Eine ist die zwischen den Aufständischen, deren Kern die Taliban bilden, und den Sicherheitsorganen. Mit­arbeiter von Organisationen wie Emergency können in man­chen Gegenden nur arbeiten, wenn sie zu allen Seiten Kontakte unterhalten. Dass sie dafür be­straft wer­den, verdeutlicht, dass sich die Regierung nicht klar über die Rolle der NGO ist.

Eine weitere Front verläuft zwischen den über 3 000 registrierten NGO und der Regierung, die ihnen vorwirft, Hilfsgeld für luxuriöse Autos und Büros zu verschwenden. Ab­gesehen davon, dass die neuesten Modelle immer noch von Warlords und Ministern gefahren werden, ist die Regierung selbst an diesem zum Teil sorglosen Umgang schuld. Jahrelang gab es kein Gesetz, das die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen geregelt hätte. Dies wiederum lag nicht zuletzt daran, dass viele ranghohe Beamte oder ihre Verwandte selbst vermeintliche NGO betreiben, bei denen es sich um nichts anderes handelt als um verkappte Baufirmen.

Die pauschale Verunglimpfung der Nichtregierungsorganisationen dient auch dem Ziel, sich deren Ressourcen einzuverleiben. Etwa die Hälfte des Hilfsgeldes für Afghanistan fließt über NGO und UN-Organisationen. Zwar sollten diese keine Parallelregierung bilden, doch solange die Regierung nicht willens und fähig ist, Hilfsgeld für sinnvolle Zwecke zu nutzen – eine Reihe afghanischer Ministerien hat im vorigen Jahr offiziellen Angaben zufolge weniger als die Hälfte ihrer Budgets ausgegeben –, versuchen NGO, die Nahrungsmittel- und Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, wie sie es schon zu Zeiten des Taliban-Regimes taten.

Die dritte Front ist die zwischen den NGO und dem ausländischen Militär. Immer wieder fahren die US-amerikanischen Special Forces mit Fahrzeugen mit grünen NGO-Nummernschildern zu Einsätzen, geben sich Aufklärer als Entwicklungshelfer aus, und benutzen deut­sche Soldaten trotz der Proteste deutscher Hilfs­werke weiße Fahrzeuge, die der UN und den Hilfsorganisationen vorbehalten waren. Daher können die Taliban sagen, sie könnten nicht mehr zwischen zivilen Helfern und Militär unterscheiden.

Zu dem zweckfremden Umgang mit dem Hilfsgeld trägt auch die internationale Tendenz zur Privatisierung der Entwicklungshilfe bei, die insbesondere in den USA, dem größten Geber in Afghanistan, recht fortgeschritten ist. Privatunternehmen wie Halliburton erhalten Fonds für Entwicklungsprojekte. Die Folge ist, dass Projekte allein nach wirtschaftlichen Kriterien beurteilt und gefördert werden, während soziale und entwicklungs­politische Erwägungen unberücksichtigt bleiben.

Die regierungsamtliche Verunglimpfung von Nicht­regierungsorganisationen und die Verwischung der Grenzen zwischen militärischem und zivilem Engagement schränken die Möglichkeiten der nicht staat­lichen Hilfe ein, die mangelhaften staatlichen Dienst­leistungen auszugleichen. Im Grunde haben NGO heute einen schwereren Stand in Afghanistan als je zuvor.

Thomas Ruttig leitete von 2000 bis 2001 das UN-Büro in Kabul und arbeitete dort für die Deutsche Botschaft und für die EU. Heute ist er Gastwissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.