Ein Schiff wird kommen

Urlaubsparadies für Deutsche und letzte Hoffnung für viele Afrikaner: Die Kanarischen Inseln haben sich vergangenes Jahr zum Hauptziel für Flüchtlinge aus Afrika entwickelt. von thorsten mense, gran canaria

Ein Provisorium ist die europäische Grenzschutzagentur Frontex nun nicht mehr. In der vorigen Woche bezog die Behörde ihr endgültiges Quartier in Warschau. Innenminister Wolfgang Schäuble lobte aus diesem Anlass die »Effizienz« von Frontex und versprach, dass Deutschland die Agentur während seiner EU-Ratspräsidentschaft noch weiter stärken werde.

Was die EU unter »Libertas, Securitas, Justicia« – dem Motto von Frontex – versteht, konnten 138 afrikanische Flüchtlinge gleichzeitig mit der Eröffnung der Zentrale in Warschau am eigenen Leib erfahren. Eine Frontex-Patrouille hatte ihr Boot 80 Kilometer vor der senegalesischen Küste aufgebracht und direkt nach Senegal zurück geleitet.

Eine Woche zuvor hatte ein italienisches Marineschiff, das ebenfalls im Auftrag von Frontex unterwegs war, ein Schiff mit 300 Flüchtlingen asiatischer Herkunft an gleicher Stelle entdeckt. Die »Happy Day« war auf dem Weg zu den Kanarischen Inseln. Doch bevor die Insassen europäische Gewässer erreichten und dort die Möglichkeit gehabt hätten, einen Antrag auf Asyl zu stellen, wurde auch dieses Schiff zur Umkehr gezwungen. Der Senegal verweigerte diesmal die Aufnahme der Flüchtlinge, da das Boot bereits »außerhalb des Zuständigkeitsbereichs« gewesen sei, wie der Sprecher der senegalesischen Marine, Cheikh Tidiane Sylla, erklärte. So befand sich die »Happy Day« Ende vergangener Woche auf dem Weg in das westafrikanische Guinea, wo die Migranten aufgebrochen waren.

Ein ähnlicher Fall hatte erst vor wenigen Wochen für Aufsehen gesorgt. Anfang Februar wurde die »Marine 1« mit knapp 400 Flüchtlingen an Bord auf ihrer Fahrt in Richtung der spanischen Inseln abgefangen. Das Schiff war bereits mehrere Monate unterwegs und musste dann noch eine Woche auf offenem Meer ausharren, da kein Land bereit war, es anlegen lassen. Schließlich konnte die spanische Regierung Mauretanien überreden, die zum Großteil aus Kaschmir stammenden Migranten bis zu ihrer Abschiebung aufzunehmen.

Die Flüchtlinge wurden daraufhin unter grauenhaften Bedingungen in einer Fischlagerhalle untergebracht, bewacht vom Militär. Bereits nach einer Woche stellte die Hilfsorganisation Roter Halbmond die Betreuung der Flüchtlinge aus Protest ein. Die Zustände seien »erbärmlich« und »unerträglich«, erklärte Ahmedu Uld Haye vom Roten Halbmond. Man wolle sich nicht an dieser schweren Menschenrechtsverletzung beteiligen. Mehrere Dutzend Menschen werden immer noch in der Lagerhalle festgehalten. Mittlerweile haben verschiedene Organisationen wegen des Umgangs mit den Flüchtlingen der »Marine 1« gegen die spanische Regierung Klage eingereicht. Sie sehen darin einen Verstoß gegen die Genfer Konvention.

Eine der klagenden Organisationen ist Cear, ein unabhängiges spanisches Flüchtlingshilfswerk, das in ganz Spanien tätig ist. Die Mitarbeiter bieten in erster Linie juristische Unterstützung für Asyl­suchende an. Aber auch kostenlose Sprachkurse, Hilfe bei der Arbeits- und Wohnungssuche und allgemeine Unterstützung von Menschen ohne Aufenthaltspapiere gehören zu ihrer Arbeit. Auf den Kanarischen Inseln helfen sie auch denjenigen, die es – im Gegensatz zu den Flüchtlingen der »Happy Day« und der »Marine 1« – geschafft haben, mit den cayucos, den kleinen hölzernen Flüchtlingsbooten, auf die Inseln zu gelangen. Wegen der verstärkten Grenzkontrollen und der gewaltsamen Übergriffe auf Flüchtlinge bei Ceuta und Melilla (Jungle World 39/2005) haben sich die Kanarischen Inseln zum Hauptziel für afrikanische Migranten entwickelt.

Die Frontex-Patrouillen sowie die Verpflichtungen afrikanischer Staaten gegen­über der EU, die Migration aus ihren Ländern zu kontrollieren, machen den Flüchtlingen das Leben noch schwerer. So beginnen sie die Seereise immer weiter im Süden. Anstatt 100 Kilometer aus Marokko müssen sie nun aus dem Senegal oder Guinea etwa 1 300 ­Kilometer in ihren kleinen Booten zurücklegen. Die Folgen sind tödlich. Offizielle Schätzungen gehen von 6 000 bis 7 000 Opfern im vergangenen Jahr aus. Dem gegenüber stehen 31 000 Flüchtlinge, die es lebend auf die Kanarischen Inseln geschafft haben.

»Die Hälfte der Flüchtlinge kommt nicht an«, schätzt Carmen Mesa, die für Cear auf Teneriffa arbeitet. Erst seit Oktober 2006 ist die Organisation auf der größten Insel der Kanaren vertreten, wobei ihre Arbeit dort immer dringender benötigt wird. Denn durch die Änderung der Flüchtlingsrouten ist auch Teneriffa nun zum Ziel der Mi­gran­ten geworden. »Bis Ende letzten Jahres kamen hier nie cayucos an, so etwas gab es hier vorher nicht«, berichtet Mesa .

Dieses Jahr wurden auf der Insel bereits über 200 Asylanträge gestellt, so viele wie im ganzen Jahr 2006 nicht. Dementsprechend viel Arbeit haben die zwei Mitarbeiterinnen des Flüchtlingshilfswerks. Neben Mesa arbeitet derzeit nur die Anwältin Rocío Cuéllar mit den Migranten. Sie kümmert sich um die Insassen der cayucos, die nach ihrer Ankunft sofort in die Abschiebelager gesteckt werden. Wenn die Polizei es innerhalb von 40 Tagen nicht schafft, sie in ihr Herkunftsland auszufliegen, müssen sie freigelassen werden. In der Regel werden sie dafür auf das spanische Festland gebracht. Über ihre rechtliche Situation erfahren sie in der Zeit nichts. »Viele wissen gar nichts über Europa und Spanien, geschweige denn kennen sie ihre Rechte«, sagt Cuéllar.

Wenn sie erfährt, dass erneut ein Boot auf­gegriffen wurde, fährt sie zum CIE, dem Abschiebelager. Dort sitzen derzeit etwa 230 Flüchtlinge ein, die meisten aus dem Senegal. In dem auf einem Hügel gelegenen Lager haben die Insassen durch die Gitterstäbe einen Blick auf das Meer und dürfen tagsüber dem Gleichschritt aus der benachbarten Militärbasis lauschen. Cuéllar lässt sich die Liste der Flüchtlinge geben und sucht diejenigen heraus, die mit Sicherheit unter den internationalen Schutz der Genfer Konvention fallen. Um die anderen Einzelschicksale kann sie sich nicht kümmern. »Dafür bräuchten wir mehr Leute.« Die gibt es aber derzeit nicht, sie ist die einzige Anwältin auf Teneriffa, die sich um die Insassen kümmert.

Mit dem vorigen Flüchtlingsboot sind viele Migranten von der Côte d’Ivoire angekommen. Diese haben Glück, denn erst vor kurzem haben die Vereinten Nationen eine Erklärung abgegeben, dass wegen der Krise keine Menschen mehr dorthin abgeschoben werden sollen. Die anderen Flüchtlinge von dem Boot werden sich in 40 Tagen ohne Papiere und Geld auf dem spanischen Festland wiederfinden, sofern sie nicht vorher abgeschoben werden konnten. Cuéllar versucht, den Migranten ihre Rechte und das Asylverfahren zu erklären. Das ist nicht einfach ohne Übersetzer. Cuéllar erklärt Rumba aus dem Senegal auf Spanisch das Verfahren, der übersetzt es einem Migranten aus Togo, und der wiederum erklärt es dem 18jährigen Flüchtling auf Dioula, der einzigen Sprache die er versteht. Nachdem die Anwältin mit allen in Frage kommenden Migranten gesprochen hat, legt sie dem Direktor des Zentrums ihre Liste mit den neuen Asylanträgen vor. Diesmal akzeptiert er die Anträge zur Bearbeitung. Cuéllar berichtet, dass es deswegen schon häufiger Probleme gegeben habe.

Auf Gran Canaria gibt es zwei staatliche Abschiebelager. Daneben existieren mehrere Zentren für minderjährige Flüchtlinge. Die Kinder und Jugendlichen können sich dort frei bewegen und genießen unabhängig von Herkunft und Fluchtgründen kompletten Schutz und Rundumversorgung durch den spanischen Staat. Jedoch nur bis zu ihrem 18. Geburtstag. »Von einer Sekunde zur nächsten sind sie total schutzlos«, erklärt Juan Moreno von Cear auf Gran Canaria. Denn dann werden sie auf die Straße gesetzt. Um Asylbewerber und Mi­gran­ten, die sich in derartigen Schwierigkeiten befinden, kümmern sich verschiedene Organisationen in eigens errichteten Zentren, unter anderem das Rote Kreuz und eben auch Cear. Aber auch hier ist die Wohnzeit begrenzt, danach stehen diese Menschen ebenfalls ohne Unterkunft und Papiere da.

Nicht nur die Migranten, die sich illegal auf den Kanaren aufhalten, sind mit großen Problemen konfrontiert. Auch diejenigen, die einen regulären Aufenthaltsstatus besitzen, müssen sich in einer Gesellschaft zurechtfinden, die zum Teil stark rassistisch und nationalistisch geprägt ist.

Auf Gran Canaria und Teneriffa kann man an ­einigen Wänden Schmierereien wie Hakenkreuze und »Moros no!« (Keine Neger!) sehen. Die letzte Kampagne der Partei Nationalistisches Kanarisches Zentrum (CCN), die an der Regionalregierung auf Teneriffa beteiligt ist, lief unter dem Motto: »Nicht ein einziges mehr! Du kannst es stoppen!« Auf den Plakaten war ein vollbesetztes Flüchtlingsboot zu sehen. Dabei ging es um die Einführung eines neuen Gesetzes zur Regelung der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis.

Derzeit wird die autonome Region der Kana­rischen Inseln von einem Zusammenschluss verschiedener nationalistischer Parteien regiert, der Kanarischen Koalition (CC). In ihrem Selbstverständnis schreibt die Koalition, dass ihr Schwerpunkt in der »Verteidigung der kanarischen Identität« liege. Passend dazu wurde vor wenigen Wochen der Herausgeber der meistverkauften kanarischen Tageszeitung El Dia, José Rodríguez Ramírez, für den Kanarischen Kommunikationspreis vorgeschlagen. Ramírez lässt im Editorial seinem Rassismus gerne freien Lauf. So umschrieb er die spanische Migrationspolitik reißerisch mit den Worten: »Polizisten für Teneriffa nein, aber Araber und Neger ja.« Im vorigen Jahr warnte er vor einer »Invasion von Afrikanern der reinen schwarzen Rasse, die im Fall der Vermischung über die weiße Rasse siegt«. Alle im Parlament vertretenen Parteien unterstützten den Vorschlag, ihn zu ehren.

Von alledem bekommen die zumeist deutschen Urlauber und Rentner auf Gran Canaria und Teneriffa nichts mit. Sie residieren mit Bild-Zeitung und »Currywurst mit Pommes« in den Betonwüsten im Süden der Inseln. Dort müssen sie keine Angst haben, dass beim Sonnenbad plötzlich verstörte und halb verhungerte Flüchtlinge aus den Wellen auftauchen. Für ihren ungestörten Urlaub sorgt Frontex.