Die Sklaven der Revolution

Brasilianisches Zuckerrohr für die Äthanolproduktion wird begehrter. Den Bauern, die es anbauen, nutzt das wenig, selbst wenn sie in Kooperativen arbeiten. von astrid schäfers, palmares

Eine Alternative sieht Benedito Miguel da Silva nicht: »Bananen bringen nichts ein, für eine Ladung kriegst du auf dem Markt nur 40 ­Reais (ca. 14 Euro). Und Maniok kann man höchstens für sich selbst zum Essen anpflanzen.« Deshalb wird er wohl weiterhin Zuckerrohr für die Fabrik Usina Catende in Palmares anbauen, wie in den vergange­nen 40 Jahren. Solange es geht, denn wer bei Temperaturen um 40 Grad in gebeugter Haltung mit einer Machete Zuckerrohr schneidet, altert schnell.

Zuckerrohr wird nicht nur für die Herstellung von Genussmitteln verwendet, sondern auch für die Produktion von Äthanol. Die florierende Agrarindustrie Brasiliens erhofft sich von der wachsenden Nachfrage nach Biosprit gute Geschäfte. Denn die Herstellung eines Liters Äthanol kostet sie umgerechnet nur 0,19 Dollar, während Produzenten in den USA dafür 0,33 und europäische Firmen sogar 0,55 Dollar aufwenden müssen. Auch ausländische Firmen kaufen sich in die brasilianische Äthanolproduktion ein.

Doch der Wettbewerbsvorteil der brasilianischen Äthanolhersteller beruht vor allem auf den extrem niedrigen Löhnen und umweltzerstörenden Produktionsbedingungen. Um die Plantagen anlegen zu kön­nen, wird der Regenwald abgeholzt. Die Felder werden verbrannt, und fast überall werden Pestizide und Insektizide eingesetzt, die die Gesundheit der Landarbeiter schädigen.

Wie in den meisten anderen Regionen des Bundes­staats Pernambuco machen auch in Palmares Steilhänge und Hügel den Einsatz von Maschinen unmög­lich. Seit dem 16. Jahrhundert schnitten meist Sklaven das Zuckerrohr. Doch auch nach der Abschaffung der Sklaverei im Jahr 1888 haben sich die Arbeitsbedingungen für viele Landarbeiter kaum verbessert. Unterernährung ist weit verbreitet, und wer sich für seine Rechte einsetzt, wird in manchen Regionen des Landes nicht selten von Todesschwadronen bedroht. Organisationen wie die Landlosenbewegung MST kämpfen seit Jahrzehnten gegen diese Zustände. Doch die sozialen Gegensätze konnten auch dort nicht überwunden werden, wo die Bedingungen besser sind und Arbeiter sich zu Kooperativen zusammengeschlossen haben.

»Zusammen sind wir stärker«, lautet das Motto des Selbstverwaltungsprojekts Catende Harmonia, für das Benedito Miguel da Silva tätig ist. Das Zuckerrohr, das Familien auf ihrem Land oder Lohnarbeiter auf den Plantagen der Fabrik anbauen, wird von der Usina Catende aufgekauft und soll profitabler vermarktet werden, als es für die einzelnen Bauern möglich wäre.

Zusammen vertrieben die Landarbeiter im Jahr 1993 den Fabrikbesitzer. Sie streikten gegen die Entlassung von 2 300 Beschäftigten und beantragten vor Gericht den Konkurs des hoch verschuldeten Unternehmens, das ihnen lange Zeit keinen Lohn mehr ausbezahlt hatte. Die Arbeiter übernahmen die Firma als Gläubiger, als Konkursverwalter wurden Gewerk­schafter eingesetzt. Sie bilden seitdem das Direktorium, das die Versammlungen einberuft. Alle Entscheidungen über Produktion und Organisation sollen von den Vertretern der 4 300 Familien aus 48 Dör­fern getroffen werden.

Mittlerweile sind die neuen Direktoren, die gebildeter sind als die Landarbeiter und mit 1 500 Reais viermal soviel verdienen wie sie, zu einer Führungsschicht geworden. Sie erarbeiten die Vorschläge, die Land­arbeiter nehmen sie an oder protestieren dagegen. Protestiert wird derzeit heftig, denn viele Arbeiter sind der Meinung, dass das staatliche Geld, das bereits in das Projekt investiert wurde, ihnen nicht zugute komme. Sie trauen den Direktoriumsmitgliedern nicht und haben keine Möglichkeit zu kontrollieren, wofür das Geld aus­gegeben wird.

Seit dem Ende der Erntezeit im Januar hat sich der Konflikt zugespitzt. Wie die meisten Zuckerrohrpflanzer sind auch die Beschäftigten der Usina Catende bis Oktober arbeitslos. Während das Zucker­rohr wächst, jäten nur wenige Festangestellte Unkraut auf den Feldern. Zudem haben alle am Projekt Beteiligten seit zwei Mona­ten nur die Hälfte ihres Lohns erhalten. Auch die Mitglieder des Direktorium, die sagten, es sei kein Geld vorhanden, und vorschlugen, alle sollten auf die Auszahlung verzichten.

»Unser Ziel ist es, die Bande zu lösen, die die Fabrik euch auferlegt!« ruft Jaime Almorim, Führungsmitglied des MST, auf einer Versammlung in einer Grundschule in Catende. Etwa 60 Arbeiterinnen und Arbeiter sitzen ihm gegenüber. Viele wollen sich von dem Projekt lösen. »Wir würden nur an die Usina Catende verkaufen, solange sie zahlt. Denn jetzt sind wir verpflichtet, an die Fabrik zu verkaufen, selbst, wenn sie nicht zahlt. Das ist der Kompromiss, den wir mit dem Kollektiv haben. Wir haben unterzeichnet, dass wir ausschließlich an sie liefern, selbst wenn sie nicht zahlt. Es ist viel Geld vorhanden. Aber wir wissen nicht, was mit dem Geld passiert«, sagt Jane, die mit ihrer Familie in dem Dorf Caña Brava (»wütender Zucker«) selbständig Zuckerrohr anbaut. Der MST fordert, das der Fabrik gehörende Land an die Familien zu verteilen. Viele befürworten diese Lösung, bereits 13 Dörfer haben sich dem MST angeschlossen.

Lenivaldo Lima, einer der Koordinatoren des Projekts, weist die Vorwürfe zurück. Die Fabrik stelle Wohnhäuser und Produktionsmittel bereit, die Lage der Bauern sei deshalb »nicht mit der von Landlosen zu vergleichen, die noch gar nichts haben«. Und eine Landverteilung werde zu weiterer Verarmung führen, denn jede Familie könne nur etwa fünf Hektar beanspruchen. »Wenn jeder für sich alleine anpflanzt, wird das hier bald eine große ländliche Favela sein. Das ist schon mit vielen passiert, die versucht haben, alleine wirtschaftlich zu überleben. Der Markt macht sie platt«, sagt Lima.

Für dieses Problem hat der MST in Pernam­buco keine Lösung. Man spricht von Diversifizierung, kann aber keine entsprechende Praxis vorweisen. Es gibt staatliche Programme und Fördergeld, was es den Bauern ermöglichen soll, mit anderen Produkten Geld zu verdienen. In der Usina Catende lernen die Kinder, wie Mais angebaut wird. Auch die Fischzucht wird propagiert, doch nur wenige glauben, dass sie mehr einbringen wird als die 4 000 bis 12 000 Reais, die eine Familie mit dem Zuckerrohranbau jährlich verdienen kann.

Präsident Luis Inácio Lula da Silva begann seine Karriere als Gewerkschafter in Pernambuco, und viele hatten auf seine Reformpolitik gehofft. Doch weder staatliche Maßnahmen noch Projekte der »solidarischen Wirtschaft« haben die Lage grundlegend verbessert, und die nun von Lula ausgerufene »Energierevolution«, die Ausweitung des Zuckerrohranbaus für die Äthanolproduktion, wird nach Ansicht des MST nur »die weitere Konzentration von Landbesitz« und die »Vertiefung der extremen sozialen Unterschiede« zur Folge haben.