Die Gotteskrieger sind dankbar

Der Wahlsieg Hugo Chávez’ stärkt auch den Iran und islamistische Gruppen. Die Anti-Defamation League wirft dem ­venezolanischen Präsidenten vor, den Antisemitismus zu fördern. von wolf-dieter vogel, mexiko-stadt

Das Votum war eindeutig: Knapp 63 Prozent der Stimmen konnte Hugo Chávez bei den venezolanischen Präsidentschaftswahlen Anfang Dezember für sich verbuchen. Der linke Politiker wird sich nun gestärkt seinen populären Umverteilungsprojekten widmen können. Er hat bereits angekündigt, den sozialistischen Charakter der »bolivarianischen Revolution« hervorzuheben. Bislang ist nur bekannt, dass der ehemalige Offizier dafür sorgen will, auch noch die nächsten zwei Jahrzehnte gewählt werden zu dürfen. Aber ganz sicher werden einige der zu erwartenden Schritte für die Armutsbevölkerung von Vorteil sein. Die UN-Welternährungsorganisation zählt Venezuela zu den Ländern, die das Millenniumsziel der Halbierung des Hungers bis 2015 erreichen können. Kurz vor den Wahlen verabschiedete das venezolanische Parlament ein Gesetz gegen Gewalt an Frauen, das zu den fortschrittlichsten der Welt zählen dürfte.

Lateinamerikanische Linke fühlen sich also nach Chávez’ Erfolg zu Recht gestärkt, zumal sie mit ihm einen der zumindest verbal radikalsten Gegner der USA auf ihrer Seite haben. Dem so genann­ten bürgerlichen Spektrum bleibt es indes überlassen, darauf hinzuweisen, dass ein Sieg der antiimperialistischen Linken heutzutage meist auch einen Sieg für klerikalfaschistische Regime bedeutet. Kurz vor der Präsidentschaftswahl veröffentlichte die Anti-Defamation League (ADL) ein Dossier, in dem sich die internationale Organisation dem »zunehmenden Antisemitismus in Venezuela« widmet. »Das Chávez-Regime fördert den Antisemitismus und unterstützt den radikalen Islam«, lautet der Titel des Anfang November vorgestellten Berichts.

Die ADL konzentriert sich nicht zufällig auf die diesjährige Entwicklung. Schließlich hat der venezolanische Präsident im Jahr 2006 seine Beziehungen zu diktatorischen oder antisemitischen Regierungen intensiviert. Eine Dienstreise im Sommer führte ihn u.a. zu Syriens Präsidenten Bashar al-Assad und zum iranischen Staatschef und notorischen Holocaust-Leugner Mah­moud Ahmadinejad. Es war die Zeit des Libanon-Kriegs, Chávez sprach von »nazistischen Verbrechen« sowie »faschistischer Aggression« und resümierte: »Die Israelis kritisieren Hitler und richten noch Schlimmeres an.«

Mit Ahmadinejad verbindet den Venezolaner schon länger eine staatsmännische Freundschaft. Neuer jedoch ist die freimütige politische Annäherung an die palästinensische Hamas und an die Hizbollah, die bei den Jihadisten auf große Zustimmung stößt. »Danke Chávez« war auf zahlreichen Postern in Beirut zu lesen, die den Hiz­bollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah und seinen Latino-Verbündeten gemeinsam abbildeten. Ob das nötige Kleingeld für die Plakate tatsächlich von Chávez gestiftet wurde, wie die ADL mit Bezug auf venezolanische Pressestimmen behauptet, sei dahingestellt. In ihrem Kampf gegen den linken Präsidenten kennen Venezuelas private Medien kaum Grenzen. Unbestreitbar jedoch hat sich Chávez auf die Seite jener gestellt, die sich die Auslöschung Israels zum Ziel gesetzt haben. Zudem ließ er seinen Handelsattaché, den diplomatischen Vertreter Venezuelas, aus Israel abziehen.

Nach Einschätzung der ADL führt Chá­vez’ »offene Unterstützung terroristischer Gruppen« sowie seine enge Bindung an Ahmadinejad zu einem »Übersprungseffekt« in die Gesellschaft, den die 25 000 in Venezuela lebenden Juden zu spüren bekommen: »Antiisraelische Demonstrationen, antijüdische Graffitis und andere Ausdrucksweisen des Antisemitismus sind zu gefährlichen Gemeinplätzen geworden.« Die Organisation zitiert der Regierung nahe stehende Medien, deren Sprache keine Zweifel zulässt. »Die jüdische Rasse ist zum Verschwinden verdammt, denn wenn sie weiter untereinander heiraten, werden sie weiter degenerieren«, erklärt etwa die Tageszeitung El Diario de Caracas und spricht vom »Holocaust« im Libanon. »Die, die sich wegen Ahmadinejads Besuch in Venezuela aufregen, sind die Gangster der lokalen jüdischen Mafia. Es sind die Terroristen, welche die Konföderation der Israelitischen Verbände Venezuelas (CAIV) und andere kriminelle Organisationen kontrollieren«, ergänzt die Wochenzeitung Los Papeles de Mandinga. Die CAIV hatte zuvor die »antisemitische Kampagne« von Regierungsmedien und die »willkürliche Parteinahme« der Regierung im Libanon-Konflikt kritisiert.

Die Nähe zum iranischen Regime oder Sprühereien, in denen der Davidstern und das Hakenkreuz vermischt werden, sind freilich nicht nur dem »antiimperialistischen« Handeln eines Chávez zu verdanken. Sie gehören zum Gemeingut vieler Linker, das durch das Verhalten des Staats­chefs lediglich von »höchster Instanz« bestätigt wird. Als etwa vor wenigen Wochen in Argentinien wegen des Anschlags auf das jüdische Gemeindezentrum Amia vom Juli 1994 Haftbefehle gegen ehemalige Mitglieder der iranischen Regierung ausgestellt wurden, zogen Linke vor die israelische Botschaft in Buenos Aires, um ihre Solidarität mit dem iranischen und palästinensischen Volk auszudrücken.

Die ADL verweist zudem auf vermeintlich antisemitische Äußerungen von Chá­vez im Dezember vergangenen Jahres. Der Venezolaner hatte davon gesprochen, dass »die Nachfahren derer, die Jesus gekreuzigt haben«, sich die »Reichtümer der Welt angeeignet« hätten. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum hatte die Vorwürfe erhoben, wurde dafür aber selbst aus den eigenen Reihen kritisiert. Chávez sei falsch zitiert worden, hieß es. Man bedauere, so teilte die CAIV dem Zentrum mit, »dass Sie, ohne uns zu konsultieren, in Angelegenheiten gehandelt haben, die Sie nicht kennen und nicht verstehen«. Auch der American ­Jewish Congress schloss sich dieser Kritik an. Der Lateinamerika-Sprecher des Wiesenthal-Zentrums musste letztlich klarstellen, Chávez habe »nicht von den Juden gesprochen«. Die ADL ignoriert offenbar bewusst diese Debatte, wenn sie nun erneut den Vorwurf erhebt.

Chávez dagegen hatte sich Mühe gegeben, die Sache zu klären. In Fernsehauftritten verteidigte er das Existenzrecht Israels sowie Palästinas, und seine Regierung veröffentlichte einen Reader zum Thema. Dort macht man eine »Medienkampagne« des Imperiums aus. Kritisiert wird insbesondere die französische Tageszeitung Libération, die Chávez’ Ansichten damals hart angegriffen hatte. Das Resümee lautet: »Der ausdrückliche Wille des Simon-Wiesen­thal-Zentrums und seiner Helferin in Europa, der schlecht benannten Tageszeitung Libération, den Druck weltweit mächtiger jüdischer Gruppen gegen Venezuela zu stärken, ist gescheitert.« Nun darf man gespannt sein, wie die venezolanische Regierung auf die neuen Vorwürfe der Anti-Defamation League reagiert.