Talk mit Olmert

Israels Ministerpräsident zeigt sich bereit zum Dialog mit den Palästinensern. Aber die Reaktionen sind zurückhaltend. von michael borgstede, tel aviv

Ein solche letzte Ruhestätte wünscht sich jeder. Inmitten der imposanten Felsenwüste, auf einem Hügel unweit ihrer bescheidenen Hütte im Kibbutz Sde Boker, liegen David Ben Gurion und seine Frau Paula begraben. Vor dieser eindrucksvollen Kulisse hielt Israels Ministerpräsident Ehud Olmert in der vergangenen Woche eine Rede. Zwar hatte er – wie seine Berater hinterher auffallend rasch versicherten – eigentlich nichts Neues gesagt. Doch so kompromissbereit, so friedenswillig wie Olmert sich anlässlich des 33. Todestags von Ben Gurion gab, hatte noch nie ein israelischer Regierungschef geklungen.

Er sprach von einem »überlebensfähigen Staat auf einem zusammenhängenden Territorium mit endgültigen Grenzen und vollständiger Souveränität«. Wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass Olmerts Vorgänger Ariel Sharon den Palästinensern vor nicht all zu langer Zeit noch einen mit Tunneln und Brücken verbundenen Flickenteppich als Staat schmackhaft machen wollte, sind das in der Tat Aufsehen erregende Worte.

Dieser Staat solle als Ergebnis aus »echten, offenen, ehrlichen und ernst gemeinten Verhandlungen« hervorgehen, fuhr Olmert fort. Keine Rede mehr von den Rückzugsplänen, mit denen er für seine Kadima-Partei in diesem Frühjahr in den Wahlkampf zog und gewann. Olmert ging sogar noch weiter. Als Gegenleistung für die Freilassung des entführten Soldaten Gilad Shalit sei Israel bereit, »eine Vielzahl« palästinensischer Häftlinge zu entlassen, darunter auch solche, »die zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden«. In Israel werden diese Gefangenen meist als »Häftlinge mit Blut an den Händen« umschrieben – entsprechend kontrovers muss eine solche Ankündigung von der Bevölkerung aufgenommen werden.

Zudem versprach Olmert den Palästinensern eine »Erleichterung« ihrer Lebensumstände, er sprach gar von der Gründung gemeinsamer Industriegebiete. Und dann waren da die kleinen, aber unüber­sehbaren Zeichen einer neuen Dialogbereitschaft: So forderte Olmert in seiner Rede erstmals, die palästinensischen Flüchtlinge müssten nur die »Verwirklichung« ihres Rückkehrrechts nach Israel aufgeben. Zumindest implizit schien er damit das prinzipielle Recht der Flüchtlinge anzuerkennen – eine feine Unterscheidung, auf deren Grundlage auch der Ansatz zur Lösung des Flüchtlingsproblems in der Genfer Initiative basiert. Dass Olmert zudem als erster hochrangiger israelischer Politiker die mittlerweile vier Jahre alte Friedensinitiative des saudischen Königshauses lobend erwähnte, sollte wohl ein Signal in die arabische Welt senden.

Doch in starkem Kontrast zur neu erwachten Friedensbegeisterung in den internationalen Medien waren die Reaktionen in Israel und den Palästinensergebieten ziemlich zurückhaltend. Im Leitartikel der palästinensischen Zeitung al-Quds gab man sich noch ein wenig hoffnungsvoll: »Es ist zu früh, Olmerts Aussagen auf ihre Ernsthaftigkeit zu überprüfen. Aber dies könnte ein Anzeichen für eine neue Bereitschaft sein, dem Friedensprozess neues Leben einzuhauchen, wie wir es alle seit langem versuchen und wünschen.« Ahmad Dabour gab sich in al-Hayat al-Jadida schon weniger optimistisch: »Olmert ist so enthusiastisch, nicht weil er uns plötzlich mag, sondern weil er eine turbulente innenpolitische Situation beruhigen will. Er hofft auf weitere innerpalästinensische Auseinandersetzungen, während unsere Probleme weiterhin ungelöst bleiben.«

So ganz falsch könnte Dabour damit nicht liegen. Nach dem Libanon-Krieg hatte Olmert nicht nur das Vertrauen der Israelis verloren, ihm war auch sein politisches Programm abhanden gekommen. Sowohl die Hizbollah im Norden als auch die Hamas im Gaza-Streifen hatten bewiesen, dass auch ein Rückzug auf international anerkannte Grenzen Israel keine Ruhe bringt. Unter diesen Umständen war die Idee eines einseitigen Rückzugs aus Teilen des Westjordanlands nicht mehr erfolgreich zu vermarkten. Wer hätte garantieren können, dass nach einem weiteren Rückzug nicht auch aus dem Westjor­danland Qassam-Raketen nach Israel abgefeuert würden?

Etwas hilflos behauptete Olmert deshalb kurz nach dem Krieg, ein Ministerpräsident brauche kein »Programm«, er müsse nur regieren. Es folgten einige wenig erfolgreiche Ablenkungsmanöver. Doch keiner wollte glauben, dass plötzlich nicht mehr Frieden, sondern eine Reform des Regierungssystems das dringendste politische Problem des Landes sein sollte. Auch die sonst publikumswirksamen Drohungen an die iranische Regierung sorgten nicht für mehr Zustimmung für die derzeit unpopuläre Regierung.

In diesem Kontext sehen die Israelis Olmerts jüngste Initiative, und die Reaktionen auf die Rede fielen entsprechend gemäßigt aus. Natürlich wurde Olmert von den Rech­ten des »Verrats« beschuldigt, doch so richtig aufregen mochte sich niemand. Das liegt auch daran, dass er seinen Plänen ein großes »Wenn« mit auf den Weg gegeben hat. Denn erst wenn die Palästinenser den Forderungen des Nahost-Quartetts nachgekommen sind, wird Israel zur Aufnahme von Gesprächen und zur Realisierung der in Sde Boker angekündigten Vorhaben bereit sein. Bisher weigert sich die Hamas-Regierung aber standhaft, Israel anzuerkennen, der Gewalt abzuschwören und alle bestehenden Abkommen mit Israel anzuerkennen. So hat Olmert geschickt die Palästinenser in Zugzwang gebracht, wohl wissend, dass Hamas und Fatah untereinander zerstritten sind.

Denn auf der anderen Seite des Zauns sieht es innenpolitisch nicht gut aus. Die Verhandlungen über eine Koalition von Hamas und Fatah sind gerade erneut gescheitert, der Islamische Jihad hat die Wiederaufnahme von Terroranschlägen trotz Waffenruhe angekündigt, und der im syrischen Exil residierende Auslandschef der Hamas, Khaled Meshal, hat sich erst einmal für drei Wochen zur Hadsch nach Mekka davongemacht. Bis Weihnachten ist also mit keiner wichtigen Entscheidung zu rechnen.

Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas scheint hilflos. Schon mehrfach soll er erwogen haben, die Hamas-Regierung zu entlassen. Doch für die dann unvermeidlichen Neuwahlen ist seine Fatah-Partei nicht viel besser gerüstet als vor einem Jahr. Das Ergebnis neuer Wahlen könnte somit im schlimmsten Fall nur die unseligen alten Machtverhältnisse bestätigen. Und längst glaubt niemand mehr daran, dass Abbas für eine militärische Konfrontation mit einer immerhin demokratisch gewählten Terrorgruppe bereit ist.

Nicht wenige in Israel denken deshalb bereits an die Zeit nach Abbas. Kabinettsminister Eitan Cabel schlug seinen Kollegen jüngst die Entlassung des zu fünfmal lebenslanger Haft verurteilten Marwan Barghouti vor, damit der genug Zeit habe, um sich auf die unvermeidlichen nächsten Wahlen in den Palästinensergebieten vorzubereiten. Noch besteht der Chef des Inlandsgeheimdienstes darauf, Barghouti habe hinter Gittern einen größeren Einfluss als auf freiem Fuß. Schließ­lich sei er maßgeblich am Zustandekommen der jüngsten Waffenruhe beteiligt gewesen. Als eine Hand voll europäischer Diplomaten vor einigen Tagen bei dem aussichtsreichen Kandidaten für das Präsidentenamt, Ruwen Riwlin, anfragte, ob er sich eine Begnadigung Barghoutis in der Zukunft vorstellen könnte, fiel die Antwort des Likud-Hardliners nicht ablehnend aus.