Jihad statt Khat

Die Islamisten in Somalia von jörn schulz

Noch gibt es Menschen, sogar Frauen, die den neuen Herrschern zu widersprechen wagen. »Jihad bedeutet mehr Tote. Warum können wir nicht unseren Verstand benutzen, um die politischen Konflikte zu lösen, statt zu kämpfen?« fragte eine Studentin während einer Versammlung in der Universität von Mogadishu Sheikh Sharif Sheikh Ahmed. Der Vorsitzende der Union der Islamischen Gerichte (UIC) musste erst einmal abwarten, bis der Applaus der 400 Zuhörer sich gelegt hatte, bevor er antworten konnte.

Sheikh Ahmed, der den »gemäßigten« Flügel der UIC führt, beherrscht die Kunst der ausweichenden Antwort. »Ich bin glücklich, dass eine Frau diese Frage stellt«, behauptete er, bemüht, dem Eindruck entgegenzuwirken, seine Bewegung werde eine islamistische Terrorherrschaft errichten und eine ausländische Militärintervention provozieren. Mit den Taliban habe seine Bewegung nichts gemeinsam, betonte er.

Tatsächlich ist die UIC ideologisch weniger einheitlich und anders organisiert als die Taliban-Bewegung, und über die Länge ihres Bartes dürfen die Somalis noch selbst entscheiden. Doch die Gemeinsamkeiten überwiegen. In allen eroberten Gebieten werden umgehend die Sharia-Gerichte eingeführt, und die Milizen richten ihren Tugendterror gegen Tanzveranstaltungen und das Kauen der eigentlich traditionell heiligen Droge Khat. Solche Maßnahmen rufen den Unwillen der überwiegend konservativen, aber nicht jeder Vergnügung abgeneigten Somalis hervor, doch nach 15 Jahren Krieg sind die meisten nicht sehr wählerisch. Die Herrschaft der UIC wird weithin akzeptiert, weil sie die Kämpfe der Warlords beendet hat.

Wie Afghanistan nach dem Abzug der sowjetischen Truppen wurde Somalia nach dem Debakel der UN- und US-Intervention Anfang der neunziger Jahre sich selbst überlassen. Dabei wäre es wohl auch geblieben, wenn die ständige Ausweitung des Herrschaftsbereichs der Islamisten nicht die Befürchtung geweckt hätte, Somalia könnte zu einem Trainingslager für den globalen Jihad werden. Die von der Uno anerkannte Übergangsregierung, die überwiegend aus den Verlierern unter den Warlords besteht, erhält nun größere Unterstützung. Dennoch wird ihr Herrschaftsgebiet in der Umgebung ihres Sitzes in Baidoa immer kleiner.

Dem soll eine ostafrikanische Truppe abhelfen, deren Einsatz die US-Regierung Ende der vergangenen Woche in einem Resolutionsentwurf für den UN-Sicherheitsrat vorschlug. Äthiopien wollte nicht lange warten und hat bereits Soldaten nach Somalia entsandt. In der vergangenen Woche griffen die islamistischen Milizen Augenzeugenberichten zufolge erstmals einen äthiopischen Militärkonvoi an. Ein internationaler Konflikt, der sich auf Äthiopien und andere Nachbarländer auswirken wird, ist kaum noch zu vermeiden.

Angesichts der dürftigen Erfolge im »War on Terror« haben die somalischen Islamisten wenig Anlass, dies zu fürchten. Sie glauben wohl zu Recht, dass sie mit der schlecht ausgerüsteten ostafrikanischen Interventionstruppe weniger Probleme haben werden als die Taliban mit der Nato in Afghanistan.