Robuste Warlords

Der Darfur-Konflikt dient der Profilierung von Regierungen, NGO und politischen Bewegungen. Wirksame Hilfe für die Zivilbevölkerung ist nicht zu erwarten. von jörn schulz

General Herbert Kitchener hatte noch leich­tes Spiel. Abdullahi ibn Muhammad, der Kommandant der fundamentalistischen Mahdisten, konnte in der Schlacht bei Omdurman am 2. September 1898 zwar doppelt so viele Kämpfer ins Feld führen. Doch 11 000 seiner Reiter wurden von den Maschinengewehren des britisch-ägyptischen Expeditionskorps nieder­gemäht. Kitchener verlor nur 48 Männer, gewann den Titel eines Lords und sicherte die britische Herrschaft über den Sudan für mehr als ein halbes Jahrhundert.

Im 21. Jahrhundert fällt es westlichen Interventionstruppen wesentlich schwerer, die Kämpfer von Islamistenführern und Warlords zu besiegen. Bereits im Jahr 1995 führte der Versuch, den somalischen Warlord Farrah Aideed gefangen zu nehmen, zu einem militärischen Debakel für die US-Truppen, die wenige Monate später das Land verließen. Im Irak und in Afghanistan gibt es keine Anzeichen dafür, dass Jihadismus und Warlordisierung in absehbarer Zeit zurückgedrängt werden können.

Das Bedürfnis westlicher Staaten, Soldaten zu einer »robusten« UN-Mission in Darfur beizusteuern, ist deshalb kaum größer als der Drang, Bodentruppen in den Südlibanon zu schicken, die in Kämpfe mit der Hizbollah verwickelt werden könnten. Um in dem mehr als 500 000 Quadratkilometer großen Gebiet wenigstens einen Teil der Zivilbevölkerung schützen zu können, müsste die Truppe, die nach den bisherigen Planungen höchstens 20 000 Soldaten umfassen soll, sich in kleine, leicht angreifbare Einheiten aufteilen.

Das sudanesische Militärregime hat zudem eine UN-Intervention als »feindseligen Akt« bezeichnet, seit Monaten werden in der Hauptstadt Khartum islamistische Milizen für den Kampf gegen die Blauhelme trainiert. Ayman al-Zawahiri, der Stratege von al-Qaida, rief vorsorglich alle Muslime auf, »sich dem Jihad in Darfur gegen die mit den Vereinten Nationen verbündeten Kreuzzügler« anzuschließen.

Der Darfur-Konflikt eignet sich gut für die Profilierung als humanitärer Mahner, doch es gibt keine wirtschaftlichen oder strategischen Interessen, die eine Intervention zwingend notwendig erscheinen ließen. Obwohl seit drei Jahren immer wieder die humanitäre Katastrophe beklagt und die Notwendigkeit beschworen wird, etwas zu tun, ist recht wenig geschehen.

Eine Reihe weitgehend folgenloser UN-Resolutionen wurden verabschiedet. Der Sicherheitsrat hat die Aufstellung einer Blauhelmtruppe beschlossen. Deren Entsendung wird jedoch von der Zustimmung der sudanesischen Regierung abhängig gemacht, die in einem Brief an alle afrikanischen und arabischen Staaten in der vergangenen Woche mitteilte: »Ohne die Zustimmung des Sudan zur Stationierung von UN-Truppen wird jede Zusage, Truppen zur Friedenssicherung in Darfur bereitzustellen, als feindseliger Akt betrachtet.«

Und zustimmen wollen die Generäle in Khartum nicht, die zuversichtlich sein können, dass es auch keine harten wirtschaftlichen Sanktionen geben wird. Sie können ihre Kriegskasse weiterhin mit dem Ölverkauf füllen. Westliche Regierungen verweisen gerne auf ein wahrscheinliches chinesisches Veto im Sicherheitsrat, doch auch die Europäer, die gute Beziehungen zur arabischen Welt wünschen, und die USA, die die Kooperation des Sudan im »War on Terror« schätzen, wollen einen vollständigen Bruch mit dem Regime vermeiden. Engagiert hat sich bislang vor allem die Afrikanische Union (AU), die die Kriegsparteien zur Einigung drängt und knapp 8 000 Soldaten nach Darfur entsandte.

Ungeachtet des mangelnden Kampfgeistes der westlichen Regierungen wird die mögliche UN-Mission von fast allen Islamisten und arabischen Nationalisten, aber auch von vielen Linken, als neo­ko­lo­nia­ler Angriff auf die Unabhängigkeit des Sudan betrachtet. Das Problem des Landes ist jedoch nicht, dass rivalisierende Mächte sich um eine Vielzahl lukrativer Geschäftsmöglichkeiten streiten. Vom Öl abgesehen, hat der Sudan der Weltwirtschaft kaum etwas zu bieten.

Das sudanesische Energieministerium schätzt die Ölvorräte auf drei Milliarden Barrel, das sind nicht einmal vier Prozent der Menge, die im Irak vermutet wird. Nicht genug, um als global player im Ölgeschäft gelten zu können, aber genug, um Investoren anzuziehen, die mit dem vorlieb nehmen müssen, was die westlichen Konzerne übrig gelassen haben. Vor allem China engagiert sich im sudanesischen Ölsektor, und wer unter imperialistischer Politik die Verfolgung wirtschaftlicher Ziele ohne Rücksicht auf die Menschenrechte versteht, müsste eher die chinesische Regierung kritisieren als die zögerlichen Versuche westlicher Staaten, das sudanesische Regime zu beeinflussen.

In der nach dem Kalten Krieg entstandenen multipolaren Welt ist der Darfur-Konflikt vor allem eine Bühne für die Profilierung von Regierungen, NGO und politischen Bewegungen. Das sudanesische Regime hat eine starke Menschenrechtslobby gegen sich, zu der neben den NGO auch viele Politiker gehören. Ihre zentrale Forderung ist die nach einer Entsendung einer schlagkräftigen Friedenstruppe. Wenn diese Truppe das Morden wirklich beenden soll, müsste sie nicht nur wesentlich stärker sein als bislang vorgesehen, es wäre auch kaum zu vermeiden, dass sie mit den Milizen und wohl auch der Armee des Sudan aneinandergerät. Die westlichen Regierungen in einen Krieg zu treiben, den sie nicht wollen, ist jedoch genauso schwierig, wie einen Krieg zu verhindern.

Zudem ist es angesichts der dürftigen bis desaströsen Ergebnisse bisheriger UN-Interventionen fraglich, ob ein Militäreinsatz mehr bewirken könnte, als den Flüchtlingen eine Atempause und einen gewissen Schutz zu gewähren. Bestenfalls haben Blauhelm­einsätze die Machtverhältnisse, die zum Ausbruch bewaffneter Konflikte führten, durch die Einbindung von Diktatoren und Warlords in eine gemeinsame Regierung konserviert.

Auch das Friedensabkommen zwischen der SPLA und der Regierung (siehe Seite 4) sieht eine Teilung der Macht und der Pfründe vor, während die Demokratisierung ein vages Versprechen geblieben ist. Allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres kassierte die südsudanesische SPLA-Regierung 473 Millionen Dollar aus dem Ölverkauf, genug, um eine Klientel an sich zu binden, aber auch, um die Waffenlager aufzufüllen für den Fall, dass die Generäle im Norden das vereinbarte, für das Jahr 2011 geplante Referendum über die Unabhängigkeit des Südsudan verhindern wollen.

Nur widerwillig gestanden die Generäle der SPLA zu, dass die Sharia im Süden keine Gültigkeit mehr hat. Im Nordsudan wird sie weiterhin angewendet, und es ist unwahrscheinlich, dass ein Militärregime die Abspaltung des Südens tatsächlich zulassen wird. Die Guerillabewegungen im Süden und in Darfur haben ebenfalls Kriegsverbrechen begangen und sich in der Praxis eher darum bemüht, die Bevölkerung in den von ihnen beherrschten Gebieten mit allen Mitteln unter Kontrolle zu bringen, als darum, das Land zu demokratisieren. Die wichtigste Ursache der bewaffneten Konflikte ist jedoch der eiserne Wille der nordsudanesischen Oligarchie, die politische Macht und die ökonomischen Ressourcen zu monopolisieren.

Das seit 1989 herrschende Militärregime hat diesen Anspruch stärker ideologisiert als seine Vorgänger. Neben dem Islamismus spielt auch der Arabismus eine wichtige Rolle. Bilad al-sudan bedeutet eigentlich »Land der Schwarzen«, doch viele Nord­sudanesen grenzen sich nicht nur von den Nichtmuslimen im Süden ab, sondern auch von den afrikanischen Muslimen in Darfur. Dass in dieser Provinz Muslime andere Muslime massakrieren und sich mit der JEM auch in der Opposition eine islamistische Organisation findet, stellt die Islamisten vor ein Problem. Sie lösen es, indem sie konsequent ihren machtpolitischen Interessen folgen.

Der sudanesische Islamistenführer Hassan al-Turabi sprach von der »Arabisierung Afrikas«, als er in den ersten zehn Jahren der Militärdiktatur der wichtigste Ideologe des Regimes war. Nach seinem Bruch mit den Generälen im Jahr 1999 nutzte er die »rassistische Diskriminierung der Nichtaraber im Sudan« und »knüpfte im Kampf gegen Bashir Verbindungen zu Nichtarabern«, sagt Ammar Abdulhamid von der NGO Tharwa Project. Doch Turabis Meinung dürfte sich in der islamistischen Szene nicht durchsetzen. Die meisten Organisationen nehmen reflexartig die Gegenposition zu dem ein, was sie als die Haltung des Westens betrachten.

Aber auch Rassismus könnte eine Rolle spielen. Das Gefühl, kulturell überlegen zu sein, wenn nicht gar einer »höheren Rasse« anzugehören, ist zumindest unter der arabischsprachi­gen Bevölkerung Nordafrikas und des Nord­sudan weit verbreitet. Unter Afrikanern gibt es auch Rassismus gegen die Araber, und viele sehen in Bashirs Reitermilizen die Nachfolger der arabischen Sklavenjäger. Der arabisch-af­rikanische Konflikt spaltet auch die AU. Die Staaten an der Mittelmeerküste sowie Somalia, Mauretanien und der Sudan sind Mitglieder der Arabischen Liga, die sich eindeutig hinter das sudanesische Regime gestellt hat. Die arabischen Diktatoren und Autokraten sehen jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten als gefährlichen Präzedenzfall.

In vielen afrikanischen Staaten südlich der Sahara, in denen die Demokratisierung weiter vorangeschritten ist, hat nach dem Völkermord in Ruanda und dem verheerenden Bürgerkrieg im Kongo ein Sinneswandel eingesetzt. Im Constitutive Act der AU wird zwar das Prinzip der »Nichteinmischung eines Mitgliedsstaats in die inneren Angelegenheiten eines anderen« festgeschrieben, ebenso aber das Recht der AU, in einem Mitgliedsstaat zu intervenieren, wenn »schwer­wiegende Umstände, nämlich Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschheit« dies erfordern. Der Einfluss der arabischen Mit­glieds­staaten, die finanzielle Abhängigkeit vieler Länder von den Golf­monarchien und der Mangel an Ressourcen bremsen jedoch das Engagement.

Es gibt derzeit keine Anzeichen dafür, dass irgendjemand die Massaker in Darfur stoppen wird. Es erschwert eine politische Lösung, dass der Konflikt islamistisch und arabistisch ideologisiert wird. Vor allem aber verliert die kapitalistische Weltwirtschaft mehr und mehr an Integrationskraft, die Folge ist eine Warlordisierung immer größerer Gebiete, nicht nur in Afrika. In der Zeit des Kalten Kriegs hatte jede Guerillabewegung, so autoritär und brutal sie auch sein mochte, zumindest entwicklungspolitische Ziele. Weil diese Perspektive auf ein besseres Leben derzeit fehlt, kämpfen die Menschen um das wenige Vorhandene.