Politik macht blöd

Solange Punk sich allem verweigerte, also auch der Politik, verfügte er über eine politische Bedeutung. von markus ströhlein

Es soll Menschen geben, die auf ihr bisheriges Leben zurückblicken und sagen: Ich bereue nichts! Dabei ist es unglaublich einfach, peinliche Einzelheiten im eigenen Lebenslauf zu entdecken. Ich muss z.B. nur meine Platten durchstöbern. Meistens dauert es nicht lange, bis ich gequälte Laute von mir gebe und erröte.

Die Alben, die diese Reaktion auslösen, rechnet man zum großen Teil dem Genre »Punk« zu. Doch es sind nicht die Platten der Dead Boys, der Sex Pistols, der Ramones oder der Undertones. Es sind nicht die ersten Aufnahmen der Strassenjungs oder von Big Balls and the Great White Idiot. Nein, Slime, Toxoplasma oder Normahl heißen die Bands, die mir Schauer über den Rücken jagen. Eine ähnliche Wirkung erzielen auch Platten der Dead Kennedys, von The Exploited oder von MDC.

The Exploited sangen 1981: »Punk’s not dead!« Es ist kaum anzunehmen, dass sich die Band mit dem Song auf ironische Weise über die Reste der Punkbewegung lustig machen wollte. Denn bei The Exploited und den anderen genannten Bands galt ein eisernes Humorverbot. Die Selbstironie und das Groteske waren nicht mehr die Sache der zweiten Generation des Punk. Sie hatte etwas anderes für sich entdeckt: die Politik. Das Motto lautet immer noch »Do it yourself«. Doch sich eigene Gedanken zu machen, war fortan ausgenommen. Denn dem Hörer wurde die Welt erklärt. Schlicht waren die Einsichten. Normahl empörten sich über »Politiker, die nur reden und von uns auch noch leben« und über »Steuern hier, Steuern dort«. Mit den »Bullen« befand sich die Band in einem »Krieg«. Die »Bonzen, die nur von uns schnorren«, wollte die Kapelle »in der Hölle schmoren« lassen. Slime sahen die Dinge ähnlich, waren aber weitaus erfolgreicher. Das mag daran gelegen haben, dass es schier unmöglich war, die Instrumente noch schlechter zu beherrschen als Normahl. Noch dazu gaben sich Slime härter und nannten »Bullen« und »Bonzen« lieber »Bullenschweine« und »Bonzenschweine«.

Und nicht nur zu ihnen hatte die Band etwas zu sagen. Auch in der Ökologie, im Pazifismus und in der Technologiekritik lagen die Hamburger ganz weit vorn. »Wo Leben und Umwelt keinen interessieren«, »wo Panzer und Raketen den Frieden sichern, AKWs und Computer das Leben verbessern«, wollten Slime nicht leben. Und schon gar nicht in einem Land, in das die USA »Mc Donald’s, Cola und Pershing 2« gebracht hatten. Denn die »Yankees« waren für die Band »Kannibalen, die die Völker auffressen«. Hinge man Oskar Lafontaine eine E-Gitarre um, während er eine Rede hielte, klänge das Ergebnis wahrschein­lich ähnlich.

Die vermeintlichen Zustände ließen Slime fordern: »Weg mit dem Scheißsystem!« Doch wie? Da wussten die Dead Kennedys Rat. »Wer sind die wirklichen Patrioten, die Leute, die Fahnen schwenken, oder die mit dem Mut, für eine echte Veränderung zu arbeiten?« fragten die Kalifornier. Und sie hatten Vorschläge: »Wir können anfangen, indem wir nicht mehr so oft lügen und andere Menschen nicht mehr wie Dreck behandeln. Es ist einfach, das Leben nicht mehr darauf auszurichten, wie viel Geld man verdienen kann.«

Einen derart naiven wie dämlichen Stuss zu verzapfen, ist keiner der ersten Punkbands in den Sinn gekommen. Doch mit ihnen wollten die Nachfolger auch nichts mehr zu tun haben. »Schluss mit eurem No-Future-Scheiß!« hieß es bei Slime. Die Zeit der totalen Verweigerung war vorbei. Stattdessen sagten die Punks »Ja« zu der Vorstellung von einer »besseren Welt«, die einer Mischung aus einem Bauwagenplatz und einem protestantisch-sozialdemokratischen Ferienlager ähnelte. In dieser Welt sollte es keine »Bonzen« oder »Bullen«, keine »Yankees« oder Yuppies geben. Dafür sollte, wie in dem gleichnamigen Song von Slime, Dosenbier von »Karlsquell« oder irgendeine andere billige Plörre fließen. Und jeder sollte sich ein wenig am Riemen reißen, weniger lügen und seine Ansprüche verringern.

Es ist schon lustig: So lange Punk sich allem verweigerte, also auch der Politik, verfügte er über eine politische Bedeutung. Bei den Politpunks verkümmerte die Musik zu einem Nebengeräusch der Propaganda. Es war vorbei mit der Musik als einem Freiraum, der sich keinem Zweck und keiner Funktion unterzuordnen hatte. Punk wurde ganz einfach öde.

Seitdem wird der Kadaver des Politpunk weitergereicht, von Bad Religion an Anti-Flag, von der Vorkriegsjugend an Rawside. Er riecht mittlerweile sehr streng.