Ladenschluss jetzt!

In Chemnitz wird von einem Laden und einem Musiklabel weiterhin rechtsextreme Propaganda verbreitet. Dagegen richtet sich eine Demonstration am kommenden Samstag. von andre seitz

Wo der Mensch geht, kommt der Wolf«, resümierte im Jahr 2005 das Berlin-­Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Der Wegzug in den Westen und die niedrigen Geburtenraten sorgen im Osten für menschenleere Landstriche und shrinking cities, in denen sich Fuchs und Hase »Gute Nacht« sagen. Manche Kommunen, wie etwa die Stadt Chemnitz, die bereits jetzt vom Durchschnittsalter der Bevölkerung her die älteste Deutschlands ist, bemühen sich wohl auch deshalb um ein kinderfreundlicheres Image.

Von Stuttgart hat sich Chemnitz die »Aktion Gute Fee« abgeschaut. Mit einem »Gute-Fee«-Aufkleber an der Tür können Gewerbetreibende ihre Kinderfreundlichkeit demonstrieren. »Dinge wie etwa ein Pflaster bei einer kleinen Schramme, ein Telefon, um zu Hause anzurufen, ein gutes Wort und ein wenig Mithilfe bei den kleinen Problemen des Alltags sind Kleinigkeiten und Gesten, die in unserer heutigen Wohnumwelt und Gesellschaft nicht mehr selbstverständlich sind. Hier soll mit mehr Menschlichkeit, Gefühl und Toleranz geholfen werden«, ist auf der Internetseite des Kriminalpräventiven Rates Chemnitz zu lesen, der neben dem Kinderschutzbund und der Kinderbeauftragten der Stadt einer der Initiatoren der Aktion ist. »Kinderfreundlichkeit? Mit allen Mitteln und auf allen Ebenen!« könnte jedoch das Motto der Aktion gewesen sein, denn seit einiger Zeit klebt die »Gute Fee« auch am Neonaziladen »Backstreetnoise«.

Proteste von Bürgern haben daran bisher nichts geändert. »Uns ist da ein Fehler unterlaufen«, sagt Karin Lohr, die Kinderbeauftragte der Stadt Chem­nitz, der Jungle World. Ein unwissender Praktikant habe mit »Backstreetnoise« die entsprechende Vereinbarung abgeschlossen. Nun fürchtet die Aktions­gemeinschaft das öffentliche Aufsehen. Man wolle aus der Affäre »sauber raus«, erklärt Lohr die Tatsache, dass der Kleber noch nicht entfernt wurde. »Wir haben 256 saubere Partner. Der eine soll jetzt nicht einen Vorteil daraus schlagen und soll uns die Kampagne nicht kaputtmachen.«

»Dass die Naziläden duch die Aktion ›Gute Fee‹ in ein harmloses Licht gerückt werden, ist ein ty­pisches Kapitel des Umgangs dieser Stadt mit dem Naziproblem«, erzählt Pierre von der Kampagne »Schöner leben ohne Naziläden«, die für den 14. Ok­tober eine Demonstration plant. »Naziübergriffe in der Innenstadt sind in Chemnitz mittlerweile wieder alltäglich geworden, im Straßen­bild ist Nazi­lifestyle vorherrschend oder zu­mindest sehr auffällig.«

Der seit dem Jahr 2000 bestehende Laden »Backstreetnoise« verkauft Marken wie Thor Steinar und andere für den »Lifestyle« von Hooligans wichtige Textilien. Gemeinsam mit dem Label und dem Musikladen »PC-Records« bildet »Backstreetnoise« seit dem Jahr 2003 ein Doppelgeschäft. Die Reihe der Veröffentlichungen des Labels, die von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert wurden, ist lang. Zuletzt wurde ein Sampler mit dem Titel »Political Correctness / Nein, danke« als jugendgefährdend eingestuft, ebenso wie Platten der Bands »Reichswehr«, »Blitzkrieg« oder »Schwarzer Orden«.

Im Juli stattete die Polizei »PC-Records« zum zweiten Mal in diesem Jahr einen Besuch ab. Grund der Razzia im ganzen Bundesgebiet, die unter anderem auch den Verlag Deutsche Stimme in Riesa traf, war der Verdacht, dass ein CD-Sampler mit Liedern zur Fußballweltmeisterschaft, auf dem Hoo­liganismus, Gewalt zwischen Hooligans und der Polizei und Fremdenfeindlichkeit propa­giert wird, vertrieben worden sei.

Auch die CD »Braun is beautiful« der Band »Gigi und die braunen Stadtmusikanten«, eines Nachfolgeprojekts der »Zillertaler Tür­kenjäger«, gehört zum Programm des Labels. Gegen die CD »12 doitsche Stim­mungshits« der »Zillertaler Türkenjäger« hatte es im Januar 1998 einen gerichtlichen Einziehungs­beschluss wegen Volksverhetzung gegeben.

Im Jahr 2004 sorgte eine Demonstration der Kam­pagne »Schöner leben ohne Naziläden« gegen »Backstreetnoise« mit 500 Antifas für die Kün­digung der Mietverträge durch den damaligen Vermieter, das Bundesvermögensamt. Etwa 200 Neonazis stellten sich in der Nähe der Läden der Demonstration entgegen. Der Betreiber der Geschäfte, Hendrik Lasch, hatte zu einem Sonder­verkauf mit Grill gerufen, und Neonazis aus ganz Sachsen waren gekommen, darunter Mitglieder der verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz, rechte Hooligans der Gruppe Hoonara (»Hooligans, Nazis, Rassisten«) und Nazis aus dem Türstehermilieu. Einige griffen die Demonstration direkt an, rissen das Fronttransparent herunter und traten eine Demonstrantin.

Die Ermittlungen der Polizei wegen Landfriedensbruchs führten zu keinem Verfahren. Und auch die Freude über die Kündigung des Ladens währte unter den Antifas nicht lange, denn bald darauf eröffneten die Betreiber ihre Geschäfte an einem neuen Ort im selben Viertel. »In den letzten zwei Jahren waren die beiden Läden weiterhin mit Sponsoring für verschiedene Veranstaltungen der Naziszene aktiv«, berichtet Pierre. »PC-Records« war etwa am »Fest der Völker« in Jena, der Verbreitung der Schulhof-CD »Anpassung ist Feigheit« und der bundesweit vertriebenen Schüler­zeitung Invers beteiligt, während sich »Backstreet­noise« mit dem Sponsoring von Freefightveranstal­tungen hervorgetan hat. »Die Fight-Club-Veranstaltungen erlebten anfangs eine große Akzeptanz, Hotels oder die Volksbank traten als Sponsoren neben einem Geschäft wie ›Backstreetnoise‹ auf«, erläutert Pierre.

»PC-Records« verfügt über Kontakte zu Bands aus ganz Europa und den USA. Die Band Teardown aus Philadelphia, ein Nachfolgeprojekt der »Blue Eyed Devils« aus dem Umfeld des rechtsextremen Netzwerks »Blood & Honour«, etwa posiert für die Internetseite vor der Ladentür.

»Backstreetnoise« und »PC-Records« setzen nach Informationen des Verfassungsschutzes jährlich jeweils weit über 100 000 Euro um und sind mittlerweile auch die Eigentümer des Geschäftsgebäudes. »Die Anschläge von Neonazis auf den ehemaligen Landtagsabgeordneten Uwe Adamczyk in Meerane und das militante Auftreten von Kameradschaftern im Umland von Chemnitz sind nicht von der Existenz dieser Läden zu trennen. Mit dem Totschweigen des Naziproblems in Chemnitz muss Schluss sein«, sagt ­Pierre.

»Abriss korrekt«: Demonstration gegen Naziläden in Chemnitz am 14. Oktober um 12 Uhr, Treffpunkt Augustusburger Straße, Ecke Bahnhofstraße