Täter, bitte kommen!

Ein möglicher Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten ist umstritten. Für das Selbstbewusstsein der Nation wäre er nicht mehr nötig. von anton landgraf

Deutsche Soldaten am Litani-Fluss und im Beeka-Tal – eine Vorstellung, die bislang nicht denkbar war und die doch bald real sein könnte. »Ich wünsche mir auch eine Beteiligung deutscher Soldaten. Sie wären Teil der Truppe, die Israel verteidigt«, erklärte der israelische Premierminister Ehud Olmert vergangenen Freitag der Süddeutschen Zeitung. »Es gibt zurzeit keine Nation, die sich Israel gegenüber freundschaftlicher verhält als Deutschland«, sagte er weiter. Er würde die Bundesregierung notfalls ausdrücklich bitten, an einer UN-Truppe im Libanon teilzunehmen.

Dass ausgerechnet das Land, das die Shoa an den europäischen Juden verübte, nun den Staat der Überlebenden mit verteidigen soll, sei »eine historische Aussage«, meinte wenig später der israelische Botschafter in Deutschland, Simon Stein. Er erwarte eine Debatte, wenn diese Äußerung in Israel veröffentlicht werde. Olmerts Wunsch müsste dann nicht nur in der Knesset, sondern auch im Angesicht der Überlebenden der Vernichtungslager bestehen.

Die überraschende Offerte aus Jerusalem zeigt, wie isoliert man sich dort mittlerweile fühlt. Nachdem sich die USA und Großbritannien nicht an der geplanten internationalen Truppe für den Südlibanon beteiligen wollen, bleiben nicht mehr viele Kandidaten übrig, denen die israelische Regierung halbwegs vertrauen kann. Innerhalb der Europäischen Union, die vermutlich eine entscheidende Rolle beim Aufbau der Truppe spielen wird, vertritt die Bundesrepublik gegenüber Israel noch die vergleichsweise freundlichste Position.

Im Land von Olmerts Wunschkandidaten fühlt man sich geschmeichelt und zugleich unangenehm berührt. »Daraus spricht die außergewöhnlich gute Entwicklung zwischen Israel und Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten«, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Über eine mögliche deutsche Beteiligung wollte er aber nicht reden, bevor die Voraussetzungen geklärt sind. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), schloss militärische Aufgaben der Bundeswehr »allein schon aus historischen Gründen eher aus«. Deutsche Soldaten könnten sich vielmehr in der Ausbildung libanesischer Streitkräfte oder als Fachleute bei der Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben betätigen. Allenfalls wäre noch eine Beteilung bei der Überwachung der syrisch-libanesischen Grenzen denkbar.

Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich ebenfalls skeptisch. »Wir als Deutsche sollten in dieser Region mit äußerster Vorsicht herangehen«, sagte sie in der vergangenen Woche Bild am Sonntag. Die Kapazitäten der Bundeswehr für Auslandseinsätze seien zudem »weitgehend erschöpft«, ein mögliches UN-Mandat für eine Truppe noch völlig ungeklärt. Hinzu kommt, dass der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, bereits den nächsten Schauplatz einer Intervention ausgemacht hat: die sudanesische Krisenregion Darfur.

Auch aus anderen Gründen dürfte die Bundesregierung wenig ambitioniert sein, was einen Einsatz in Nahost betrifft. Es gibt viel zu verlieren und wenig zu gewinnen. Mit dem Einsatz deutscher Soldaten im Libanon würde zwar das letzte außenpolitische Tabu fallen – und damit der lang gehegte Wunsch nach der »selbstbewussten Nation«, die sich endlich der Schatten ihrer Vergangenheit entledigt, in Erfüllung gehen. Aber diese Hoffnungen lassen sich vermutlich auch ohne deutsche Soldaten im Libanon realisieren. Erst kürzlich hatte Kofi Annan im Spiegel erklärt, dass er einen ständigen deutschen Sitz im Sicherheitsrat in naher Zukunft für sicher halte. Da sich die Auslandseinsätze der Bundeswehr in den vergangenen Jahren mit atemberaubender Geschwindigkeit vermehrten, spielt die Bundeswehr mittlerweile in den meisten internationalen Krisen eine wichtige Rolle.

Ihr weltweiter Einsatz startete Anfang der neunziger Jahre mit einem kleinen humanitären Auftrag in Kambodscha, dann kamen in Somalia zivile Aufträge mit geringen mi­litärischen Komponenten hinzu. Kurz darauf folgten Überwachungsaufgaben während des jugoslawischen Bürgerkrieges, in dessen Folge die Bundeswehr zum ersten Mal mit militärischer Gewalt intervenierte, was der damalige Außenminister Joseph Fischer als »ganz ganz große Ausnahme« verstanden wissen wollte.

Der Krieg im Kosovo lieferte der rot-grünen Bundesregierung die Begründung für das neue deutsche Selbstverständnis: Gerade wegen der nationalsozialistischen Vergangenheit sei Deutschland verpflichtet, international für den Frieden zu intervenieren – wenn nötig, eben mit der Bundeswehr.

Nach dem 11. September 2001 und mit dem beginnenden Kampf gegen den Terrorismus wurde die Ausnahme zur Regel. Der damalige Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) räsonierte über die Sicherheit Deut­schlands, die von nun an »auch am Hindukusch« verteidigt werde. Damit rückte auch der Nahe Osten in Reichweite. Auf einer Kommandeurstagung der Bundeswehr fragte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder im April 2002, ob es »nicht notwendig« sei, die Konfliktparteien in der Region »auch mit militärischen Mitteln« zu trennen, und ließ dabei ausdrücklich offen, ob sich deutsche Soldaten an einer solchen UN-Mission beteiligen würden. Damals stieß dieser Vorstoß auf fast einhellige Ablehnung, zumal niemand Schröder um einen solchen Einsatz gebeten hatte.

Auch wenn sich mittlerweile die Voraussetzungen verändert haben, die Risiken sind geblieben. »Es ist schlicht nicht vorstellbar, dass unsere Soldaten auf israelische schießen könnten – was, wenn die Truppe wirklich ernsthaft und neutral ihre Aufgaben wahrnehmen will, in einer zugespitzten Situation der Fall sein kann«, warnte der ehemalige Kommandeur der Kfor-Einheiten im Kosovo, Klaus Reinhardt, obwohl der israelische Premierminister Olmert selbst eine solche Situation für unwahrscheinlich hält. Zudem wäre eine solche Intervention innenpolitisch alles andere als populär. Umfragen zufolge sind über 70 Prozent der Deutschen gegen einen Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten, mehr als zwei Drittel halten das israelische Vorgehen im Libanon für unakzeptabel.

Vor allem aber müsste die Bundesregierung um ihre Rolle als »ehrlicher Makler« fürchten, die sie dem Umstand verdankt, dass sie, bei aller Freundschaft zu Israel, auch gute Kontakte zu Ländern wie Iran und Syrien pflegt. Und um Verhandlungen geht es diesmal nicht: »Ich habe Deutschland nicht um Moderation gebeten«, sagte Olmert im Interview. Auch der Vorsitzende der Linkspartei, Oskar Lafontaine, fürchtet offenbar um die guten Beziehungen. Die Bundeswehr werde gerade wegen des Wunsches Olmerts in der arabischen Welt als parteiisch angesehen und sei daher für einen Einsatz in der Region ungeeignet, erklärte er vergangene Woche.

Eine andere Oppositionspartei, die noch vor wenigen Jahren mit ihrem zwiespältigen Verhältnis zu Israel auf sich aufmerksam machte, lehnt die mögliche Beteiligung ebenfalls kategorisch ab. »Ich halte es für schlechterdings unvorstellbar, dass bewaffnete deutsche Soldaten im Nahen Osten eingesetzt werden könnten«, sagte der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle der Berliner Zeitung. »Es war bisher eine klare Haltung aller Regierungen seit Gründung der Bundesrepublik, dass deutsche bewaffnete Soldaten im Nahen Osten nichts verloren haben.« Vielleicht ändern sich die Zeiten schneller, als er glauben will.