Jihad am Feierabend

Im Kampf gegen Israel agiert die Hizbollah taktisch flexibel, aber ideologisch unnachgiebig. von jörn schulz

Eine eigene Währung gibt die Hizbollah nicht heraus. Ansonsten aber fehlt der islamistischen Organisation wenig von dem, was einen Staat ausmacht. In den von ihr kontrollierten Gebieten, dem Südlibanon, dem Süden von Beirut und dem Bekaa-Tal, betreibt sie Schulen und Krankenhäuser, erhebt Steuern und ernennt Beamte. Sie verfügt über eine Armee, Polizeikräfte und zwei Geheimdienste, ihre auf jährlich etwa 400 Millionen Dollar geschätzten Einnahmen sind höher als die von Staaten wie Eritrea oder Burundi.

Mit Gewalt allein hätte die Hizbollah, die 1982 aus einer Abspaltung von der schiitischen Amal-Miliz entstand, das nicht erreichen können. Der Partei gehören auch Bankiers, Sozialarbeiter, Lehrer und Ärzte an. Auf diese »zivile« Seite stützt sich die Hoffnung, die Hizbollah zum Verzicht auf ihre Waffen und auf den Kampf gegen Israel bewegen zu können.

Doch obwohl sich die Hizbollah derzeit als Repräsentantin des Libanon darstellt, gibt es für sie, anders als für die Regierungen Ägyptens und Jordaniens, die Friedensverträge mit Israel geschlossen haben, kein »nationales Interesse«. Die Partei versteht sich als Avantgarde der Ummah, der islamischen Gemeinschaft, und unterstellt sich ganz offiziell der Führung einer ausländischen Macht. Sie erkennt Ali Khamenei, den religiösen Führer des Iran, als weisungsbefugtes Oberhaupt an. Er gilt als Wali al-Faqih, als eine Art Verwalter, der bis zum Erscheinen des Erlösers, des verborgenen Imams, die weltlichen Angelegenheiten regelt.

In iranischen Medien wurde in jüngerer Zeit die Ansicht geäußert, nach der Vernichtung Israels werde der Erlöser endlich erscheinen. Doch der antisemitische Wahn wird durch technokratische Rationalität kanalisiert. Es dürfte den Jihadisten klar sein, dass ihnen derzeit die Mittel für die Zerstörung Israels fehlen. Sie denken in heilsgeschichtlichen Dimensionen, über ihre eigene Lebensspanne hinaus. Doch es spricht nichts dafür, dass sie von ihren Zielen abrücken werden.

»Die Hizbollah ist hauptsächlich eine jihadistische Bewegung, die sich politisch betätigt, und nicht eine politische Partei, die den Jihad führt«, urteilt der libanesische Politologe Ahmad Nizar Hamzeh. Die feste Verankerung im Libanon sei die Basis für eine Politik, die vor allem darauf ziele, ein »regionales Modell« für andere islamistische Bewegungen zu werden.

Diesem Ziel sollte offenbar auch die Entführung der beiden israelischen Soldaten am 12. Juli dienen, ein Gefangenenaustausch hätte den Avantgardeanspruch gestärkt. Die israelische Reaktion war härter als erwartet, doch Generalsekretär Hassan Nasrallah zieht sich mit der Behauptung aus der Affäre, eine großangelegte Invasion verhindert zu haben: »Der Widerstand hat versehentlich – ich sage nicht, dass es bewusst geschah – den gefährlicheren Plan eines Krieges gegen den Libanon vereitelt.«

Die Hizbollah hofft nun, die israelische Armee in einen Abnutzungskrieg verwickeln zu können. Ihre Strategie zielt nicht auf einen militärischen Sieg. Der Feind soll durch hohe Verluste und durch die Mobilisierung der Weltöffentlichkeit zum Rückzug gezwungen werden. Die Miliz ist so gut abgeschirmt, dass es über ihre Stärke nur vage Schätzungen gibt. Hamzeh spricht von 5 000 bis 20 000 »aktiven Kämpfern«. Timur Göksel, der langjährige Sprecher der UN-Truppe Unifil, geht von nur 700 Elitekämpfern aus. Hinzu kämen 8 000 bis 20 000 bereitstehende Milizionäre, Feierabendjihadisten, die in normalen Berufen arbeiten und bei Bedarf einberufen werden können. Sicher ist, dass die Kämpfer der Hizbollah besser ausgebildet und ausgerüstet sind als die aller anderen jihadistischen Organisationen.

Da die israelische Regierung die Verluste so gering wie möglich halten muss, begann das Militär nur sehr zögerlich mit dem Einsatz von Bodentruppen und verließ sich vor allem auf die Luftwaffe. Diese Entscheidung nutzte die Hizbollah für ihre Propaganda. Nasrallah forderte die Israelis zum »Kampf Mann gegen Mann« heraus, als wäre der Krieg ein Duell vor dem Saloon. Tatsächlich aber verschanzt sich die Miliz wenig ritterlich hinter Zivilisten; Waffenlager und Raketenabschussanlagen wurden in den Tiefgaragen von Wohnblocks und den Kellern von Schulen und Moscheen untergebracht.

Die Hizbollah profitiert davon, dass sie, anders als al-Qaida, von der internationalen Öffentlichkeit nicht als Gefahr für die eigene Sicherheit betrachtet wird. Ihr nutzt der Impuls, sich in einem Kon­flikt mit dem Schwächeren zu solidarisieren. Mit jedem getöteten libanesischen Zivilisten wächst die Empörung, und es hilft der israelischen Regierung wenig, dass sie beteuert, alles zur Vermeidung von »Kollateralschäden« zu tun, während die Hizbollah den gezielten Beschuss der Zivilbevölkerung als Erfolg feiert. »Wann waren jemals zwei Millionen Israelis zur Flucht gezwungen, oder dazu, mehr als 18 Tage in Luftschutzkellern zu bleiben«, fragte Nasrallah, der zudem ankündigte, dass »diese Zahl noch steigen wird«.

In der ersten Phase des Krieges war diese Strategie recht erfolgreich. Nach der Einigung zwischen den USA und Frankreich auf eine Resolutionsvorlage für den UN-Sicherheitsrat wächst der Druck auf Israel, die Kampfhandlungen einzustellen, obwohl die Hizbollah nicht entscheidend militärisch geschwächt wurde. Ein Unsicherheitsfaktor für die Jihadisten ist jedoch die geplante internationale Truppe, die im Südlibanon stationiert werden soll.

Die neue Truppe soll der Resolutionsvorlage zufolge unter Kapitel VII der UN-Charta (»Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen«) operieren. Sie wäre somit zuständig für die Bekämpfung der Hizbollah, falls diese den Waffenstillstand bricht. Für die Entwaffnung der Miliz, die der Sicherheitsrat im Jahr 2004 beschloss, soll UN-Generalsekretär Kofi Annan zunächst »Vorschläge« sammeln. Dass die Miliz ihre Waffen zunächst behalten darf, könnte Nasrallah die Zustimmung zu einem Waffenstillstand erleichtern. Doch zukünftige Angriffe auf Israel hätten eine sofortige internationale Reaktion zur Folge. Das ist nicht im Interesse Nasrallahs und seiner Unterstützer im Iran und Syrien. Wenn sie sich einer Waffenstillstandsvereinbarung verweigert, könnte die Hizbollah jedoch die jüngst gewonnenen Sympathien wieder verlieren.

Dass es einfache Lösungen im Kampf gegen den Jihadismus nicht gibt, zeigt die Lage im Irak und in Afghanistan. Für Israel würde die Stationierung internationaler Truppen im Südlibanon wohl nur eine Atempause bringen. Die Infiltration von Jihadisten wäre kaum zu verhindern. Immerhin aber würde es der Hizbollah schwer fallen, sich wieder als »nationaler Widerstand« zu präsentieren, wenn sie Israel erneut angreift.