Der Quell der Freude ist erschöpft

Die italienische Polizei befreite in der vergangenen Woche polnische Saisonarbeiter, die in Apulien unter menschenunwürdigen Bedingungen leben mussten. von catrin dingler, rom

Anfang Juli veröffentlichte die italienische Cari­tas die Studie »Polen. Das neue EU-Mitglied«. Darin wird eine »Wahlverwandtschaft« zwischen Italien und Polen festgestellt, die im Bekennt­nis zur katholischen Kirche zum Ausdruck komme. Im Sinne der Lehren von Papst Johannes Paul II. sei die Einwanderung von Polen nach Italien »eine Quelle der Freude und der Bereicherung«. Das gilt allerdings vor allem für die italienischen Landbesitzer und korrupten Beamten dort.

Am Mittwoch vergangener Woche ließ die Staatsanwaltschaft Bari eine italienisch-polnische Bande auffliegen, die polnische Saisonarbeiter in der apulischen Provinz Foggia unter furchtbaren Arbeits- und Wohnbedingungen zur Tomatenernte gezwungen hatte. Die Arbeiter wurden durch Zeitungsannoncen oder direkte Kontaktaufnahme in verschiedenen polnischen Städten angeworben und für 150 bis 200 Euro in Kleinbussen über Ungarn oder Österreich nach Italien gebracht. Statt des versprochenen Arbeitsvertrages erwartete sie ein Fünfzehnstundentag bei einem Stundenlohn von zwei Euro. Arbeitsausfälle oder Arbeitsverweigerung wurden mit einer Geldstrafe von 20 Euro bestraft.

Untergebracht waren die Männer in leer­stehenden Baracken oder heruntergekommenen Freizeitanlagen ohne Wasser- und Stromanschluss. Als Schlafstätten dienten auf den Boden geworfene, zerschlissene Matratzen. Zu essen bekamen die Arbeiter nur Wasser und Brot. Sie wurden unter ständiger, teilweise bewaffneter Aufsicht gehalten, Fluchtversuche wurden nicht nur mit Geldbußen bestraft. Einige Todesfälle in der Region, die bisher als Sui­zide oder Unfälle registriert worden waren, müssen neu untersucht werden. »Es handelt sich hier nicht um Arbeitsplätze, sondern um richtige Lager«, sagte der zuständige Staatsanwalt Piero Grasso.

Ein italienischer Agrarunternehmer aus Orta Nova und 15 polnische Aufseher kamen in Untersuchungshaft. Gegen sie wird wegen Menschenhandel und sklavenhalterischer Ausbeutung ermittelt. Gleichzeitig wurden auch in Polen vier Personen festgenommen, gegen 15 weitere wurde ein Strafverfahren eingeleitet.

Diese über Europol organisierte Polizeiaktion bildet den vorläufigen Abschluss einer bereits vor einem Jahr begonnenen Untersuchung. Damals hatte die Regionalzeitung Gazzetta del Mezzo­giorno von »kleinen Konzentrationslagern« entlang der Schnellstrasse 161, die Orta Nova mit der Provinzhauptstadt Foggia verbindet, berichtet. Arbeiter, denen die Flucht gelungen war, und Familienangehörige von festgehaltenen Arbeitern hatten sich Hilfe suchend an die diplomatischen Vertretungen in Rom und Krakau gewandt. Der polnische Botschafter in Rom sah sich daraufhin gezwungen, zwei seiner Repräsentanten nach Foggia zu schicken und die dortigen Behörden zur Untersuchung der Vorfälle zu drängen. Die Bedingungen, unter denen in ganz Süditalien ausländische Arbeiter zur Obst- und Gemüseernte eingesetzt werden, sind also seit langem bekannt.

Viele Arbeiter weigerten sich jedoch, ihre Ausbeuter anzuzeigen. Nicht nur, weil sie Repressalien gegen ihre in Polen zurückgebliebenen Familien befürchteten, sondern weil sie einige Carabinieri, die die Verhöre leiteten, wie­dererkannten. Diese standen in gutem Kontakt mit den Aufsehern und holten sich regelmäßig ihre Ernteration direkt auf den Feldern mit dem Dienstwagen ab.

Daran wird auch die großangelegte Aktion der vergangenen Woche nichts ändern, war die­se doch hauptsächlich gegen die polnischen Mittelsmänner gerichtet. Für die befreiten Arbeiter wird die Gegend um Orta Nova deshalb nicht, wie der Name der Aktion versprach, zum »Gelobten Land« werden: Sie werden einfach nur eine Plantage weiterziehen und die Tomatenernte dort unter denselben Bedingungen fortsetzen.