»Die bleiben nicht so lange«

Viele jüngere Polen glauben, dass sie die rechte Regierungskoalition den Alten zu verdanken hätten. Aber sie bleiben ziemlich gelassen. von anna mandt, nicole tomasek und daniel steinmaier (text und fotos)

Eine echte Gruselregierung ist das«, klagt Ilona, die vor drei Jahren von Lodz nach Berlin gezogen ist. »Aber die meisten Polen sind nicht so gruselig drauf wie die«, fügt sie lachend hinzu und meint, man solle sich da keine Sorgen machen. Ihr zufolge ist die polnische Regierungskoa­lition, die sich mit homophoben Parolen, antisemitischen Ausfällen und nationalistischen Phrasen profiliert, nur eine Art bedauerlicher Unfall.

In der Stadt Zielona Góra sind Nationalfahnen ganz im Gegensatz zum deutschen Straßen­bild während der WM eher die Ausnahme. Nur im Café Ermitaz in der Innenstadt ist alles üppig mit rot-weißen Flaggen und Fußballschals dekoriert. Polska überall. Alle Angestellten stecken in Trikots samt passenden Socken.

Halbwegs unverfänglich plaudern wir zunächst über die WM, aber so wirklich fußballbegeistert wirken die Kellnerinnen nicht. Auch der Manager, der in elegantem Grau am Tresen sitzt, meint, Fußball sei nicht seine Sache. Dass ausgerechnet die Deutschen die polnischen WM-Ambitionen durchkreuzten, ist ihm gleich­gültig. »Der Bessere gewinnt. So ist das eben.« Auch Politik sei gar nicht sein Gebiet, meint er. Die Regierungskoalition der nationalkonser­vativen Partei PiS (»Recht und Gerechtigkeit«), der klerikalnationalen Familienliga LPR und der rechtspopulistischen Samoobrona (»Selbstverteidigung«) findet auch er »schlimm«. Eigent­lich sei ihm aber egal, wer regiert. »Es wird so oder so alles schlechter.«

Weniger resigniert wirkt die im Landhaus-Chic gekleidete Bauersfrau Agata Legowska auf dem Markt um die Ecke, die prächtige Erdbeeren und Gemüse feilbietet. Von ihrer kleinen Farm könne sie gut leben, da sie sehr viel selber mache. Andere hätten da weniger Glück, etwa die mit Geflügelpest geschlagenen Hühnerzüchter. »Aber seit dem EU-Beitritt haben wir alle mit so viel Papierkram zu käm­pfen. Die Bürokratie ist viel schlimmer geworden. Wäre unser Hof größer, müssten wir eigens jemanden anstellen, der das erledigt.« Zum neuen Landwirtschaftsminister, dem radikalen Bauernführer und EU-Feind Andrzej Lepper, will sie sich lieber nicht äußern. »Über Politik spreche ich nicht«, meint sie etwas misstrauisch. Von ihrem Hof erzähle sie aber gern, sagt sie und lässt dabei dann doch etwas über ihre politische Meinung durchblicken: »Mein Mann ist der Chef, und das ist auch gut so. Zehn Chefs und ein Arbeiter, so wie das früher war, das ist zum Glück vorbei.«

Die junge Kollegin am Stand neben­an hat gerade erst Abitur gemacht und fängt bald mit dem Studium an. Auf den Bildungsminister der »Familien­liga« angesprochen, reagiert Ewa belustigt. »Ach, Giertych?«, fragt sie und lacht. »Über diese Regierung machen sich sowieso alle lustig. Ich habe jetzt zum Glück die Schule hinter mich gebracht, und für die Uni ist Roman Gier­tych nicht mehr zuständig. Aber meine kleine Schwester ist noch in der Schule, und die protestieren und streiken die ganze Zeit.« Überhaupt sei die Situation junger Leute nicht gerade einfach. »Hier ist es eben schwer, Arbeit zu finden, und wenn, dann wird sie extrem schlecht bezahlt.« Deshalb gingen viele nach Westeu­ropa.

Immerhin beträgt die Arbeitslosenquote in der Region Lubelskie, in der Zielona Góra liegt, 24,3 Prozent und liegt damit noch über dem Landesdurchschnitt von 17,8 Prozent. Doch davon merkt man in Zielona Góra zunächst wenig. Mit der deutschen Vorstellung von osteuropäischer Tristesse, bestehend aus kaputten Straßen, alkoholkranken Arbeitslosen, unvorteilhaft gekleideten Passanten, schlechter Luft und mürrischen Verkäuferinnen, hat die Innenstadt nichts gemein. Die Häuser sind renoviert, die Straßen sauber, und Blumenampeln hängen an den Laternenpfählen. In der Fußgängerzone sieht man kaum noch graue Wände und bröckelnden Putz. Auf den zahl­reichen Bänken plaudern gut gelaunte Rent­nerinnen, und zwischen den modernen Läden und Boutiquen flaniert vor allem die jüngere Generation.

Dass so viele junge Leute hier sind, verdankt die Stadt, die sich als »Mittelpunkt der Euroregion Spree-Neiße-Bober« präsentiert, unter anderem ihrer Universität, die erst im Jahr 2001 aus einem Zusammenschluss der pädagogischen und der technischen Hochschule hervorging. Von den 130 000 Einwohnern sind 20 000 Studenten. Die wenigen Vormittagssäufer fallen da kaum auf.

Auf dem etwas öden, fast menschenleeren Campus der Universität treffen wir auf Roman, der Soziologie studiert. Mit der rechtskonservativen Regierung scheint er sich abzufinden. Über die homophoben Sprüche des Präsidenten Lech Kaczynski und des ultrarechten Bildungsministers empört er sich nicht besonders. »Klar, die Regierung ist sehr konservativ. Aber es kommt auch darauf an, wofür die Homosexuellen eintreten.« Jugendliche in seinem Alter seien natürlich frei von solchen Vorurteilen. Aber wenn Homosexuelle Kinder adoptieren wollen, gehe ihm das zu weit. Seine Vermieter etwa seien »Prototypen von Antisemiten und Rassisten«, doch seiner Meinung nach gehe es ihnen letztlich nur um Provokation. Was soll man sich da unnötig aufregen?

Dann wird er aber ungeduldig, denn er will das nächste WM-Spiel nicht verpassen.

Bartek sitzt gelangweilt in der Eingangshalle im Copyshop und wartet auf Kundschaft. Er kann das Spiel leider nicht sehen, aber schließlich sei Polen sowieso schon draußen. Die polnische Flagge hängt bei ihm trotzdem noch am Fenster. Ein Patriot sei er jedoch nicht. Als Student der Resozialisierungs­wissenschaft kann er mit den Law-and-order-Parolen der PiS nichts anfangen.

Auch er meint, dass an der Regierung nicht die Jungen schuld seien. »Dass Giertych diesen Posten bekommen hat, ist mir total unverständlich. Das erste, was er wollte, ist eine ›patriotische Grund­erziehung‹.« Die antisemitischen Ausfälle der Regierung kommen seiner Meinung nach vor allem bei den Alten und den Hörern des berüchtigten Radio Maryia gut an. Bei den Jüngeren sei die Rechtskoalition dagegen sehr unbeliebt.

Zumindest der Katholizismus aber scheint nicht nur Sache der Älteren zu sein. In der Studentenzeitung von Zielona Góra, die auf seinem Tresen liegt, sind Bilder vom Kinder küssenden Benedikt XVI. und von betenden Studenten. »Die Leute lieben den Papst«, erklärt Bartek, das sei doch selbstverständlich. Er selbst sei aber Atheist und sehe das eher distanziert.

Weniger distanziert reagieren Pawel und sein schweigsamer Begleiter Sid, als wir sie auf die Regierung ansprechen. Während Sid seine politische Überzeugung vor allem durch Nasenbohren zum Ausdruck bringt, redet sich Pawel fast in Rage. »Das berührt mich emotional«, meint er. »Ich kann gar nicht mehr fernsehen.« Auf Deutsch fügt der Student der Anglistik und gelernte Mechaniker hinzu: »Das ist eine große Scheiße. Die Typen an der Regierung sind absolut inkompetent, ungebildet und teilweise vorbestraft.« Auch er meint, die ältere Generation sei schuld an dieser Regierung. »Die Alten haben diese Regierung gewählt, und den Jungen ist das egal, die haben meist andere Probleme am Hals und halten Wahlen für Zeitverschwendung.« Schließlich hätten nur 20 Prozent für den Präsidenten gestimmt.

Insgesamt war die Beteiligung bei der Parlamentswahl im vergangenen Jahr die niedrigste seit 1989 und lag bei lediglich 40,5 Prozent. Pawel meint, die Älteren seien von den einschlägigen katholisch-nationalistischen Medien manipuliert worden. Die Jüngeren hätten die Hoffnung, dass man etwas verändern könne, längst aufgegeben. Denn eigentlich laufe schon immer alles über Beziehungen, und das sei auch jetzt noch so.

Angesichts dieser Verhältnisse sei es für ihn »reine Energieverschwendung«, in Polen zu arbeiten. »Es ist einfacher, ins Ausland zu gehen, um Geld zu verdienen.« Auch sonst ist er recht abgeklärt. Dass die Polen in der Vorrunde der Fußballweltmeisterschaft gescheitert sind, ärgert ihn nicht. »Patriotismus hin oder her. Die spielen doch schlecht. Ich bin da Realist. Mich wundert das nicht.«

In einem versteckten Hinterhof machen wir einen der angeblich schuldigen Alten schließlich ausfindig. In seiner kleinen, mit Marienbildern dekorierten Werkstatt erzählt uns der Schuster Zbigniew Radomski, die jetzige Regierung sei »die gerechteste, die es in Polen je gab«. Die Koalition bekämpfe endlich die Korruption. »Vorher waren noch die Diebe der roten Bourgeoisie an der Macht, die während des Sozialismus das Stehlen gelernt haben. Und die sind auch heute noch die Reichsten.« Zugleich räumt er aber ein, dass er in seiner Hinterhofwerkstatt von der Welt nicht so viel mitbekomme. »Und die Schuster sterben sowieso aus«, meint er. »In Zielona Góra gibt es gerade noch zehn, und die sind auch schon so alt wie ich.«

Dass die Wähler der Rechtskoalition womöglich auch aussterben, ist damit aber nicht gesagt. Anscheinend gibt es auch im kasernenartigen Plattenbau des Studentenwohnheims jugendliche Unterstützer der rechtspopulistischen Samoobrona. Zumindest prangt an einer der Türen ihr Plakat. Auch wird die klerikalnationalistische LPR von mehr jungen Abgeordneten vertreten als jede andere Partei. Und nicht alle Katholiken sind über fünfzig. Dem Papstbesuch in Krakau widmet die Studentenzeitung eine ganze Seite.

Doch der Deutschlehrer Dariusz Koziel, den wir im Tourismusbüro treffen, betont, die jüngere Generation sei um vieles aufgeschlossener. »Die katholische Kirche ist in Polen eben noch so wichtig«, erklärt er, »weil sie während des von oben aufgezwungenen Sozialismus dazu beigetragen hat, dass die Polen ihre Identität wahren konnten.« Aufgrund des EU-Beitritts hätten viele der Jüngeren jetzt aber die Chance, ins Ausland zu reisen. »Oft bringen sie dann liberalere Ansichten mit nach Hause.«

Koziel organisiert jedes Jahr polnisch-deutsche Jugendcamps, um Vorurteile abzubauen. Die Voreingenommenheit der Deutschen sei sowieso allen Polen bekannt, meint er. »Aber auch die polnischen Jugendlichen haben ein verzerrtes Deutschlandbild, das oft noch aus der Kriegszeit stammt.« Trotzdem gingen die polnischen Kinder weit engagierter auf die deutschen Schüler zu. »Die deutschen Kinder sind da weniger motiviert.« Er mutmaßt, das liege vor allem an der ökonomischen Kluft. »Für die deutschen Kinder sind die polnischen einfach nicht so interessant, weil sie nicht die richtigen Klamotten, Handys und MP3-Player haben.« Und während viele polnische Schüler gerne Deutsch lernen, interessiere sich in Deutschland kaum jemand für die Sprache des Nachbarlandes.

Neben Sprachkursen bietet Koziel auch Fahrradreisen für deutsche Touristen an. Seine Kunden, erzählt er, hätten den ersten Kontakt zu Polen meistens aber vorher schon durch private oder geschäftliche Bekanntschaften geschlossen und so Vorurteile abgebaut. »Die Deutschen fahren längst nicht so selbstverständlich nach Polen wie etwa nach Italien.« In den Tourismus setzt man hier dennoch große Hoffnungen. Seit in den neunziger Jahren die meisten großen Industriebetriebe geschlossen wurden, sollen im Fremdenverkehr Arbeitsplätze entstehen.

Auch im rot-weiß geschmückten Café Ermitaz scheint man, anders als es der resignative Blick des Managers vermuten lässt, auf weiteres Wachstum der Branche zu hoffen. Stolz präsentiert er sein großes, aufwendig gestaltetes Restaurant. Der vor einem Jahr eröffnete Betrieb laufe aber leider nicht so gut. Die Konkurrenz sei groß und »viele der Touristen gehen hier nur vorbei und konsumieren nichts, obwohl die Preise sehr niedrig sind«, erzählt ein Angestellter.

Der Leiter des Fremdenverkehrsbüros sieht in der Branche jedoch noch Potenzial. Mit dem EU-Beitritt habe der Tourismussektor stark zugelegt. »Noch vor zwei Jahren hat es in Zielona Góra bei weitem nicht so viele Gaststätten gegeben.« Auch wenn viele Touristen nur Tagesausflügler seien, sei der Markt noch nicht ganz erschlossen. Dass die jetzige Regierung Touristen verschrecken könnte, befürchtet er nicht. Als Tourismusbeauftragter hat er verständlicherweise keine Lust, über Politik zu sprechen. Schließlich meint er jedoch abwinkend: »Das wird vergehen. Die bleiben nicht so lange.«

Lieber zählt er uns alle regionalen Attrak­tionen und Freizeitaktivitäten auf. Das dauert trotz seines immensen Tempos beim Spre­chen immerhin 20 Minuten. Man versuche, so erzählt er, den während des Sozialismus in Vergessenheit geratenen Weinbau in der Region wiederzubeleben. Zielona Góra ist das Herz des nördlichsten Weinbaugebiets Europas. Der Wein schmeckt wegen der etwas kühleren Witterung zwar etwas sauer, ist aber immerhin Anlass für die wichtigste Touristenattraktion des Jahres, das Wi­nobranie, das Weinfest. Anfang September herrscht den Werbebroschüren zufolge »Bacchus in unserer Stadt«.

Eine der skurrileren Touristenattraktionen ist das in den Reiseprospekten angepriesene Kriegsmuseum im Dorf Drzonów, 20 Kilometer westlich von Zielona Góra. Um ein feu­dales Palais steht in großer Zahl Kriegsgerät aller Art. Vor dem Eingang grüßt »Hanne­lore«, eine deutsche Feldhaubitze. Daneben ist ein Werbeplakat einer Sicherheitsfirma aufgestellt, auf dem zu sehen ist, wie ein bulliger Security-Mann ein Mädchen mit blonden Zöpfen und großem Lolli schützend an die Brust drückt. Im Inneren des Museums sind zwischen mittelalterlichen Schwertern und modernen Fernlenkwaffen alle möglichen Weltkriegsutensilien in die gute alte Tradition der Kriegsführung eingehegt. Auch die Irak-Mission der polnischen Armee wird stolz auf Fototafeln präsentiert.

Draußen im idyllischen Schlosspark grillt eine Vorschulgruppe ihre Würstchen zwischen Raketenabschussrampen, Kampfhubschraubern und Schützenpanzern. Ab und an spielt der örtliche »Freundeskreis für Befestigungsanlagen« Schlachten aus dem Zweiten Weltkrieg nach. Und passend zum Ambiente findet im Kriegsmuseum jährlich das Landkreisfest statt, und zwar mit dem merk­würdigen Motto: »Sichere Sommerferien in der Europäischen Union«.

Ihre Attraktivität verdankt die dünn besiedelte Umgebung eher der Natur. In den hügeligen Wäldern und Naturschutzgebieten finden sich Bergmolche, Rotbauchunken, schwarze Pappeln, Seeadler, Sumpfschildkröten, schwarze Störche, Orchideen, Wassernüsse und Wespenbussarde. Angesichts dieser Flora und Fauna könnte man fast vergessen, dass man sich in einem von extrem rechten Politikern regierten Land befindet. Solange man ins erzkonservative Weltbild passt, kann man hier bestimmt »sichere Sommerferien« verbringen.