Streik gegen den General

Die Gewerkschaften in Guinea mobilisieren gegen die soziale Verelendung und finden große Resonanz. Derweil spitzt sich der Machtkampf innerhalb der Staatsklasse zu. von ruben eberlein

Die Zugeständnisse der Regierung mussten teuer bezahlt werden. Im Zuge der zweiten großen Streikwelle, die Guinea in diesem Jahr erlebte, wurden Informationen von Menschenrechtsorganisationen zufolge Mitte Juni mehr als 20 jugendliche Demonstranten von Sicherheitskräften erschossen. Die Gewerkschaften, die zum Generalstreik aufgerufen hatten, verbuchten die Arbeitsniederlegungen dennoch als Erfolg. Den im öffentlichen Dienst Beschäftigten wird zukünftig 25 Prozent mehr Lohn gezahlt, die staatlich regulierten Preise für Reis werden gesenkt und 12 000 bisher auf Kontraktbasis beschäftigte Lehrer sollen feste Verträge erhalten, was die Aussicht auf eine Auszahlung ihres Lohnes zumindest erhöht.

»Dieses Ergebnis ist nicht ganz das, was wir erreichen wollten, doch es zeigt dem Volk von Guinea und der Welt, dass wir eine Gewerkschaft sind und keine politische Partei«, resümierte Ibrahima Fofana, Generalsekretär der USTG, einem der zwei gut organisierten Dachverbände des Landes. »Wir begannen unsere Aktion im Namen der Arbeiter, und wir beenden sie in ihrem Namen.« Damit reagierte Fofana auf Vorwürfe, die Proteste seien von den zersplitterten Oppositionsparteien inszeniert worden.

Inzwischen ist man in den Zentren des Streiks, der sich in der Hauptstadt Conakry und anderswo zu einer spontanen Rebellion gegen die Regierung ausgeweitet hatte, wieder zum Alltag übergegangen. Doch der politischen Führung des westafrikanischen Landes stehen stürmische Zeiten bevor. Präsident Lansana Conté ist schwer krank und hält sich meist in seinem Heimatdorf auf. Über die Regierungsgeschäfte hat er nur noch eingeschränkt Kontrolle, die Machtkämpfe in Armee und Staatsapparat spitzen sich zu.

Bereits im April dieses Jahres hatten Rivalen Contés unter der Führung des inzwischen entlassenen Premierministers Cellou Dalein Diallo versucht, Gefolgsleute des Generals, der 1984 durch einen Putsch an die Macht gekommen war, zu entmachten. Sie scheiterten jedoch schnell. Nach diesem misslungenen Versuch brachte Fodé Bangoura, ein enger Vertrauter des Präsidenten und inzwischen Staatsminister für präsidiale Angelegenheiten, eine Reihe von altgedienten Politikern in die Ministerien, als unzuverlässig eingestufte Minister wurden entlassen. Frankreich bekundete seine Unterstützung für die neue Regierung mit der Verleihung des Ordens der Légion d’Honneur, der höchsten französischen Auszeichnung, an den Stabschef der Armee, berichtet die Zeitschrift Africa Confidential. Einem Staatsbesuch der französischen Entwicklungsministerin Brigitte Girardin Ende Mai folgte die Freigabe einer Budgethilfe in Höhe von 100 Millionen Euro.

Seit Jahren befürchten Beobachter der Region einen ähnlich katastrophalen gesellschaftlichen Zusammenbruch in Guinea wie in den Nachbarländern Sierra Leone und Liberia. Derzeit scheint diese Gefahr größer denn je zu sein. Das Regime unter Lansana Conté konnte sich während der vergangenen 15 Jahre gerade durch die Auflösung des Zentralstaates in den Nachbarländern stabilisieren. Die gut ausgebildete guineische Armee hatte erheblichen Anteil an der Beendigung des Krieges in Sierra Leone. Den Sturz des liberianischen Präsidenten Charles Taylor im Jahr 2003 trieb sie durch die Unterstützung und Ausrüstung von lokalen Milizen voran.

Nun, nach der fragilen Befriedung der Nachbarländer, drängen die tiefen sozialen Konflikte im eigenen Land mit ungeahnter Heftigkeit an die Oberfläche. Die meisten Einwohner sind bettelarm, die schlecht bezahlten Staatsangestellten und Teile der Sicherheitskräfte liegen ihnen auf der Tasche, Jobs im formellen Sektor sind Mangelware. Die hohen Preise für Ölimporte treiben die Inflation nach oben, was sich besonders bei Kraftstoffen und bei Reis, dem Grundnahrungsmittel, auswirkt. Der Abzug vieler im Lande ansässiger Mitarbeiter von NGO und Geberorganisationen, die für die einheimische Wirtschaft eine nicht zu unterschätzende Bedeutung hatten, und die wirtschaftspolitischen Auflagen der internationalen Finanzorganisationen verschärfen die Situation.

Entscheidende Unterstützung erhält das Regime in Conakry außer von Frankreich auch von den USA. Die enge militärische Kooperation machte Interventionen der guineischen Armee in Sierra Leone und Liberia erst möglich. Darüber hinaus unterhalten die staatliche Entwicklungsagentur USAID und eine Reihe von US-amerikanischen NGO zahlreiche soziale Projekte, unterstützen eine Vielzahl von gesellschaftlichen Organisationen und halfen bei der Durchführung der Kommunalwahlen.

Die meisten Bewohner Guineas sehen diese So­zialprojekte mit außerordentlichem Wohlwollen. Den Freiwilligen des Peace Corps beispielsweise begegnen sie mit einer freundlichen Aufgeschlossenheit, die viele dieser jungen Abenteurer lange an das Land bindet. Nahezu jedes Sammeltaxi ist mit den Stars and Stripes geschmückt, die Musik­szene des Landes verschmilzt US-amerikanischen HipHop mit einheimischen Beats. Die große Diaspora, die zum Beispiel in New York lebt, stärkt diese enge Bindung.

Der weit verbreitete Islam, der sich in Guinea in einer seiner entspanntesten Varianten zeigt, stand dieser Sympathie bislang nicht im Wege. Doch hier und da finden neuerdings auch T-Shirts mit dem Konterfei Ussama bin Ladens Absatz. Die Solidaritätsbekundungen mit dem Gotteskrieger könnten durchaus in Mode kommen, denn vor allem die USA und Frankreich konzentrieren sich zunehmend auf die Frage, wer Conté im Amt nachfolgen wird. Doch es ist das Regime als solches, das mehr und mehr an Legitimität verliert.

Die äußerst fragile Situation in Guinea erregt auch das Interesse der UN-Führung. Generalsekretär Kofi Annan forderte die Regierung in einer persönlichen Presseerklärung zum Dialog mit den Gewerkschaften und zum Gewaltverzicht auf. Der Repräsentant des UN-Kinderhilfswerkes Unicef, Marcel Rudasingwa, machte anlässlich der Unruhen auf die große Armut im Lande aufmerksam und bezeichnete sie als »Wurzel aller sozialen Probleme in Guinea. Heute leben ungefähr 63 Prozent der Guineer unter der Armutsgrenze.«

Rudasingwa forderte auch dazu auf, die an Guinea gezahlte Entwicklungshilfe zu erhöhen. Das wäre zweifellos wünschenswert. Dass die Regierenden die Verantwortung für die Finanzierung von sozialen Dienstleistungen faktisch an ausländische Geldgeber abtreten können, führt sie jedoch in Versuchung, sich ganz auf die Aneignung von Renten – im Falle Guineas überwiegend aus dem Diamanten- und Bauxitgeschäft – zu konzentrieren. Wenn der Tross der Entwicklungshelfer zum nächsten Brennpunkt sozialer Konflikte zieht, kann die passive Akzeptanz eines Staates, der von den meisten als räuberisch empfunden wird, unvermittelt in offene Ablehnung umschlagen.