Tote Freunde

Rede von Günter Grass auf dem Pen-Kongress

Günter Grass hat es sich wieder leicht gemacht. In seiner Rede zur Eröffnung des Pen-Kongresses in Berlin sagte er, was man von ihm erwarten durfte. Spätestens seit seinem Eintreten gegen die Wiedervereinigung nämlich erlebte er, was er bis dahin nicht gewohnt war. Keiner wollte seinerzeit seinem Geraune zuhören, beim Thema Deutschland brauch­te es keine Bedenkenträger mehr, plötzlich war er isoliert. Er hat verstanden und fortan nur noch deutsch gedacht.

So auch in seiner Donnerrede, die mit Bravo-Rufen bedacht wurde. Sie besteht zunächst einmal aus Gemeinplätzen: »Im­mer war Krieg«, stellt Grass fest. Damit nicht genug, »selbst die Friedensschlüsse bargen, gewollt wie ungewollt, die Keim­zellen künftiger Kriege, gleich, ob Verträge im westfälischen Münster oder in Versailles ausgehandelt wurden«. So schließt er seinen Frieden mit Martin Wal­ser, der im »Diktat von Versailles« ja auch den Urgrund des Zweiten Weltkrieges erblickt.

»Auch Hunger ist Krieg«, zitiert Grass zustimmend Willy Brandt. Selbst die Katholische Kirche ist in ihrer Analyse der Verhältnisse im Kapitalismus weiter. Damit ist genug Weltpolitik in der Rede untergebracht, nun kann er sich seinem Thema widmen. Es geht ihm nicht, wie vielfach zu lesen war, um die USA und ihre Kriege, auch hier macht er es sich einfach und wiederholt ein langes Exzerpt aus Harold Pinters Nobelpreis-Rede. Nein, Grass spricht vor allem über sich.

Zunächst ist dieses Ich noch ein Wir. »Wir Schriftsteller sind Leichenfledderer. Wir leben von Fundsachen, so auch von den rostigen Hin­terlassenschaften des Krieges.« In diesem Wir sind die »meiner Generation nachgeborenen Autoren« inbegriffen, die merkwürdigerweise auch nur schreiben, was Grass schreibt, denn sie »blicken, sobald sie in geretteten Familien­alben blättern, ernst und jung verheiratet das Foto des Urgroß­vaters oder des Großvaters an: Der eine verblutete während der Material­schlacht um Verdun, der andere krepierte im Verlauf der Panzerschlacht von Kursk, und schon wollen sie erinnert, das heißt belebt werden, und sei es auch nur auf Papier.« Jüdische oder nicht-deutsche Schriftsteller sind in diesem »Wir« nicht inbegriffen, Schriftstellerinnen auch nicht.

Nachdem das geklärt ist, gibt Grass den Schriftstellern, also sich, eine Auf­gabe. »Wir Schriftsteller sind aufgerufen, nicht nur anders, das heißt jenseits aller Parteinahme, die Toten zu zählen, sondern auch aufgrund unserer besonderen Begabung den einzelnen Toten, gleich ob Freund oder Feind, Frau oder Kind, aus der Masse der namenlos Verscharrten zu lösen, auf dass er kenntlich wird als Opfer eines Vorgangs, der Krieg heißt und viele Ursachen hat.« Man muss Freund oder Feind, Opfer oder Täter, Jude oder Nazi gleichermaßen erlösen, »jenseits aller Parteinahme«. Warum?

Weil Grass eine Jugend hatte: »Ich spreche aus Erfahrung. Sechzehn zählte ich, als ich Sol­dat wurde. Mit siebzehn lernte ich das Fürch­ten. Und glaubte den­noch bis zum Schluss, als längst alles in Scherben gefallen war, an den End­sieg.« Weil der nicht kam, hat der noble Nobelpreisträger nun den Krieg »im Ohr«, jenen, der »viele Ursachen« in Versailles hatte. So spricht Grass vor einem internationalen Publikum über sein deutsches Leiden. Das Publikum aber, das nur »Bush« und »Blair« verstanden hatte, war trotzdem begeistert. So sind sie, die Schriftsteller: billig zu haben.

jörg sundermeier