Ein Kind des deutschen Volkes

Der Besuch des Papstes in Auschwitz von oliver hinz

Der Papst erfüllte fast alle Erwartungen. Während seines Besuches im einstigen deutschen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau am Sonntag sagte Benedikt XVI., einst ein Flakhelfer der Wehrmacht, was sein Publikum hören wollte, und sparte Unbequemes aus.

Bereits im ersten Satz erwähnte er seine deutsche Herkunft, die es ihm »besonders schwer« mache, in Auschwitz zu sprechen. Es sei jedoch seine »Pflicht«, auch der Wahrheit wegen, »als Kind des deutschen Volkes hier zu stehen«. In diesem »Volk« sieht er vor allem Opfer, die Nazis bezeichnete er als »eine Schar von Verbrechern mit lügnerischen Versprechungen, mit der Verheißung der Größe, des Wiedererstehens der Ehre der Nation«, die »mit Terror und Einschüchterung Macht gewonnen hatte, so dass unser Volk zum Instrument ihrer Wut des Zerstörens und des Herrschens gebraucht und missbraucht werden konnte«.

Dass die Mörder in Auschwitz und Birkenau Deutsche waren, betonte Benedikt XVI. nicht. Es war auch gar nicht selbstverständlich, dass er als Deutscher sprach. Er kam als Papst. Deshalb sah es auch Wladyslaw Bartoszewski, der Vorsitzende des Internationalen Auschwitz-Komitees und ehemalige polnische Außenminister, vor dem Besuch als unnötig an, dass Benedikt XVI. auf die deutsche Verantwortung eingehe. »Ich brauche das nicht«, sagte der Überlebende des Konzen­trationslagers der Jungle World.

Zur Rolle des Vatikans während des Holocaust sagte der Papst nichts. Auch ein bekenntnis zur Mitschuld der katholischen Kirche war nicht von ihm zu hören. Im Zweiten Weltkrieg befanden sich die Katholiken in den europäischen Ländern auf ganz verschiedenen Seiten. In Deutschland gehörten sie zu den Tätern, in Polen dagegen stellen etwa Pfarrer eine der größten Opfergruppen dar. Jeder vierte Geistliche kam dort ums Leben. Deshalb wünschte sich nach einer Umfrage in Polen auch nur eine Minderheit von 27 Prozent eine Entschuldigung des Kirchenoberhaupts für den Holocaust. 29 Prozent lehnten eine solche Geste ab.

Viele Polen stört, dass ihr Leiden im Zweiten Weltkrieg weitgehend unbekannt ist. 52 Prozent der Einwohner meinten in einer Umfrage vom Mai 2005, Juden redeten zu viel über den Holocaust. In Deutschland sind es mit 48 Prozent nur etwas weniger, ein Jahr zuvor waren es hier sogar noch 56 Prozent.

Wie es sich viele in Polen wünschten, sprach der Papst von den polnischen Opfern: »Man wollte zunächst und zuerst die geistige Führung Polens auslöschen und damit das Volk als eigenes geschichtliches Subjekt austilgen, um es, soweit es weiter bestand, zu einem Volk von Sklaven zu erniedrigen.«

Angebracht wäre es jedoch gewesen, den heutigen Antisemitismus anzuprangern. Denn antijüdische Vorurteile sind in Polen weit verbreitet: 43 Prozent der Einwohner glauben, Juden hätten in der Wirtschaft weltweit zu viel Macht. Den Judenhass zu spüren bekam am Wochenende der polnische Oberrabbiner Michael Schudrich. Am Tag bevor er in Ausch­witz auf der Gedenkfeier das Totengebet sprach, rief ihm auf dem Weg zum Sabbatessen nahe der größten Warschauer Synagoge am Samstagmittag ein junger Mann zu: »Polen den Polen!« Als sich Schudrich dem Mann näherte und ihn fragte, was das solle, schlug ihm dieser auf die Brust und attackierte ihn mit Pfefferspray.