Echo im Hirn

Die japanische Noise-Band The Boredoms, bekannt fürs Krachmachen und Kotzen auf der Bühne, ist in eine neue Phase eingetreten: Es wird getrommelt. von thomas blum

Kennen Sie John Zorn? Oder dessen Bandprojekt unter dem sehr treffen­den Namen Painkiller? Zeni Geva? Naked City? The Ruins? Melt Banana? Merzbow?

Wie die Genannten ist auch Yamatsuka Eye aus Osaka nun schon seit zwanzig Jahren in einem musikalischen Sektor unterwegs, in dem sich Avant-Jazz, Klangexperimentelles, Geräuschemacherei, Indus­trial, Noise, Hardcore, Metal, Psychedelia und radikale Improvisation überschneiden. Im Jahre 1986, sowohl beeinflusst von der übergeschnappt ironischen US-­amerikanischen Band Butt­hole Surfers, die Art Punk, Hardcore, Metal und östliche Rhythmik zusammenwarf, als auch von der »New-York-Noise«-Szene der frühen achtziger Jahre um Sonic Youth, grün­dete er seine eigene Lärmcombo namens The Boredoms.

Die ersten Alben der Formation hatten so überaus schöne Titel wie »Anal by Anal« oder »Onanie Bomb meets the Sex Pistols«, enthielten kompromisslosen Extrem­lärm und sorgten dafür, dass sie sich im japanischen und New Yorker Underground und bei einer aufgeschlossenen Hörerschaft in europäischen Großstädten einen Namen machen konnte. Nirvana und Sonic Youth äußerten sich wohlwollend über den radikal freizügigen, zusammenimprovisierten Synthie- und Gitarrenverzerrungssound der Boredoms, der ihrem eigenen voraus war. Später sang Yamatsuka Eye auch in John Zorns diversen Experimentalnoise-Splittergruppen (Painkiller, Naked City) oder trieb sich anderweitig in und mit der New Yorker Experimental­szene in tausenderlei Nebenprojekten herum. Genauso wie Yoshimi Yokota, Schlagzeugerin und Multiinstrumentalistin der Boredoms, die mit Kim Gordon (Sonic Youth) musizierte (alias Free Kitten) und die Band OOIOO (»oh-oh-eye-oh-oh«) mit sonderbaren Musikerinnen gründete, die ihre Instrumente gar nicht richtig spielen konnten.

Was die Boredoms, eine von Japans bekanntesten Noise-Bands, schon immer pflegten, ist die Liebe zur wuchtigen, ­energetischen Geräuschorgie, und alle Geräusche sind gleichberechtigt, ganz egal woher sie kommen, und dürfen si­mul­tan erklingen. »Sound ist überall. Alles ist Sound.« Gern wird auf irgendwelches Schlagwerk und die Becken eingedroschen, weil das einen ganz wunder­baren zuverlässigen Krach schlägt und weil die Becken immer so schön langanhaltend scheppern und schallen. Auf die Frage, was ihm der Punkrock bedeute, gab Yamatsuka Eye einmal die ausnehmend hübsche Antwort: »Das bedeutet, dass wir alles tun können, was wir wollen.«

Seit Ende der neunziger Jahre hat sich in der Band ein insgesamt psychedelischerer, stärker von Elektronica be­ein­flusster Stil durchgesetzt. Auf ihrem wohl stark vom Krautrock beeinflussten Album »Vision Creation Newsun« (2001) beispielsweise verbindet die Band ununterbrochenes Drum-Gebollere mit fiependen, bratzelnden Synthe­sizerschleifen, Gitarrendrone-Feedbacknoise und ein wenig manischem Geplapper und Geschrei zwischendurch. Bisweilen hat man unter das unbeirrte, fortwährende und einen benommen machende Regentanzgetrommel noch fieses, exzessives Vogelgezwitscher und maultrommelartiges Gedengel gemischt.

Man merkt den Musikern an, dass sie wunderbar irre sind, und das ist schön. Eye sagt: »Man kann Sounds in seinem Gehirn widerhallen lassen, und das fühlt sich gut an. Es ist nicht so, als ob man Musik höre. Es ist vielmehr so, als höre man das Klingeln dieser Sounds und erschaffe sich selbst die Musik. Einen Sound, der so ist, als wisse man nicht, ob er da ist oder nicht.«

Diese Art gleichermaßen das Gehirn wie das Gehör in Mitleidenschaft ziehen­de Krachmusik ist zugegebenermaßen nicht jedermanns Sache, aber, nun ja, die britische Küche ist ja auch nicht jedermanns Sache, und doch essen die einen oder anderen Leute das Zeug bereitwillig (zumindest die Bewohner Englands). Und siehe da, alles passt wieder prompt zusammen. Was hält Eye vom britischen Essen? »Ich mag es sehr gern.«

Nun sind die Boredoms, nachdem man einige Jahre kaum etwas von ihnen gehört hatte, im vergangenen Jahr mit einem neuen Album (»Sea­drum / House of Sun«) wieder aufgetaucht. In letzter Zeit, so ist das auch bei ihrem Konzert im Berliner Club Maria in der vergangenen Woche, hat sich das Noise-Rock-Kollektiv, das bisher großen Wert auf Routinevermeidung legte, mehr und mehr auf offenbar hypnotisch sein wollendes tribalistisches Dauergetrommel verlegt. Auf herkömmliche Rock-Instrumentierung wird gänzlich verzichtet. Einen Bass, eine Gitarre oder dergleichen sucht man auf der Bühne ver­gebens. Stattdessen stehen dort drei Schlag­zeuge.

Nun gut, alles ist Musik, auch wenn den ganzen Abend nichts anderes geschieht, als dass drei Schlagzeuger, hie und da ein wenig dirigiert vom Bandgründer, mit militärischer Präzision auf ihr Schlagwerk einklopfen, während Band­leader Yamatsuko Eye an einem elek­tro­nischen Gerät unablässig an Knöpfen dreht, Regler hin- und herschiebt und hektisch vergnügliche fräsende, surrende Töne und Summ- und Wummergeräusche produziert.

Bisweilen lebt er ganz auf in dem wumm­senden, methodisch-systematisch durchgeführten Trommelvollprogramm um sich herum. Dann schüttelt er rhythmisch die Faust oder rudert in einer kreisförmigen Bewegung hektisch mit einem Arm, als wolle er sagen: Weiter, immer weiter, nur immer weiter, nur nicht aufhören! Ins Offene, Freunde! Es muss immer wei­ter geh’n, Musik als Träger von Ideen!

Gelegentlich kommt er gar aus dem Büh­nenhintergrund hervor, schreit, grunzt und keift kamikazeartig irgendetwas und hüpft eine Zeit lang hektisch herum.

Und im Grunde ist das ja eine kurzweilige Angelegenheit, wäre da nicht die Neigung der Musiker, mit fortschreitender Dauer des Konzerts in eine Art traditionelle, ritualisierte japanische Folklore ab­zudriften.

Irgendwann hört sich die fabrizierte Trommelei, wenn man ganz ehrlich zu sich selbst ist, fast ein wenig nach einer Art Turbo-New-Age-Musik an, ein bisschen beinahe sogar nach dem Karneval der Kulturen. Und ja, tatsächlich: Einige im Publikum hopsen sich schon ganz verzückt in eine Art Trommeltanzeuphorie hinein.

Eins aber ist tröstlich: Die Gruppe macht auch heute noch immer gern hübschen Krach mit sonderbaren Objekten. So etwa, wenn Eye zur Zugabe zwei kleine leuchtende kugelförmige Gerätschaften in die Hände nimmt, diese mal heftig, mal behutsam umherschwenkt und derart verzerrte zerstückelte elektronische Störgeräusche hervorruft. Man möge abwarten. Vielleicht hört diese Phase des obsessiven Getrommels ja auch irgendwann wieder auf.