Costa Rica ist Weltmeister

Nicht nur in Fragen der Menschenrechte ist Costa Rica vorbildlich. Das Land bezieht 99 Prozent seines Stroms aus regenerativen Energien. von knut henkel

Costa Rica ist in vielerlei Hinsicht anders. Bereits 1948 wurde die Armee aufgelöst und die damit zur Verfügung stehenden Mittel in das kostenlose Gesundheits- und Bildungssystem umgeleitet. Eine Entscheidung, die tiefe Spuren hin­terlassen hat, denn die Bevölkerung des mittel­amerikanischen Landes gilt als gut ausgebildet und überaus friedlich. Im jüngsten Menschen­rechtsbericht von Amnesty International ist Costa Rica das einzige Land, das an der Fußballweltmeis­terschaft teilnimmt, in dem keine Verletzungen von Menschenrechten festgestellt wurden. Diese gerade in Mittelamerika ungewöhnlichen Umstände dürften dazu beigetragen haben, dass die Computerfirma Intel beschloss, sich in Costa Rica anzusiedeln.

Doch es gibt dafür noch einen weiteren guten Grund, und zwar die sichere Energieversorgung. Diese liegt in Costa Rica in den Händen des staatlichen Elektrizitätsinstituts (ICE), das seit den siebziger Jahren auf regenerative Energiequellen setzt. Bis 99 Prozent des Stroms werden aus regenerativen Quellen gewonnen. »Ein Anteil, mit dem kein Land aus der Region mithalten kann und der wohl auch international seinesgleichen sucht«, erklärt Arturo Molina stolz.

Er arbeitet im Umwelt- und Energieministerium in San José und plant die energiepolitische Zukunft des Landes. Und diese sieht rosig aus, denn gerade mal 0,83 Prozent der erzeugten Energie wurde etwa im Jahr 2004 in thermischen Kraftwerken aus Erdöl oder Erdgas gewonnen. Diese Kraftwerke werden nur als Reserve eingesetzt. Die Folge sind stabile Preise, denn anders als in Nicaragua, Panama oder Honduras ist der Strompreis in Costa Rica nicht vom Ölpreis abhängig. Selbst in Zeiten erhöhter Nachfrage kommt das ICE, das über 81 Prozent der Kraft­werkskapazitäten des Landes verfügt, ohne den Ein­satz der thermischen Kraftwerke aus.

Das liegt unter anderem daran, dass die Experten vom ICE und dem Umwelt- und Energieministerium darauf geachtet haben, dass verschiedene Energieträger verwendet werden. Nach der ersten Ölkrise zu Beginn der siebziger Jahre wurde in Costa Rica die Nutzung der Wasserkraft erhöht. Gleichzeitig begannen mit Unterstützung von Mitarbeitern der Uno die Untersuchungen, wie und wo man die Erd­wärme am besten nutzen könne. Es dauerte zwar noch zwanzig Jahre, bis mit Miravalles I das erste Erdwärmekraftwerk entstand, aber damit hatte man bereits die zweite alternative Energiequelle für die Stromproduktion etabliert.

Zu Beginn der achtziger Jahre begann das ICE, das Potenzial zur Nutzung der Windenergie in Costa Rica zu überprüfen. Auf Basis dieser Studien entstanden dann zu Beginn der neunziger Jahre die ers­ten Windkraftanlagen. »Diese drei Energieträger – Geothermie, Wasserkraft und Windenergie – ergänzen sich ideal«, erläutert Molina. Nach der Wasserkraft, mit der 80 Prozent des Strombedarfs gedeckt werden, ist die Erdwärme die zweitwichtigste Energiequelle. Das mit 160 Megawatt Leistung größte Erdwärmekraftwerk Mittelamerikas steht im Norden des Landes, rund zweihundert Kilo­meter von San José entfernt.

Dort hängt der Geruch nach faulen Eiern schwer in der Luft. Immer dann, wenn eine kleine Wolke aus dem nahen Krater des Mira­valles aufsteigt, trägt der Wind den beißenden Schwefelgeruch mit sich. Der Ingenieur Sergio Castro Zúñiga nimmt den Gestank kaum mehr wahr. Lächelnd steht er am Ein­gang zum Kraftwerk Miravalles, deutet auf den nahen Vulkan, der von einigen Schäfchen­wolken umgeben majestätisch in der Sonne liegt, und weist dann den Weg zur zentralen Kraftwerkshalle.

Dort sind zwei 55-Megawatt-Generatoren untergebracht, deren dumpfes Surren bereits im Treppenhaus zu hören ist. Die stählernen, beige lackierten Ungetüme stellten das Herz der Anlage dar, erklärt Zúñiga. Der Geologe arbeitet für das ICE, das den Kraftwerkskomplex im Norden Costa Ricas betreibt. Knapp 15 Prozent des erzeugten Stroms ent­fielen 2005 auf die nach dem Vulkan benann­te Anlage, und da sich eine Reihe von Vulka­nen über das Land erstreckt, ist das Potenzial Costa Ricas zur Nutzung der Erdwärme beachtlich.

Theoretisch könnte das ICE die qualmenden Kegel nutzen und neue Kraftwerke bauen. Doch das immense Energiereservoir ist nicht einfach zu erschließen. »Nahezu alle Vulkane des Landes liegen in Nationalparks, und da können wir nicht kommen, bohren und anschließend ein Kraftwerk hinsetzen«, meint der Ingenieur. Naturschutz spielt eine große Rolle in Costa Rica, und viele der 1,6 Millionen Touristen, die das Land jährlich besuchen, kommen wegen der vielfältigen Flora und Fauna des Landes.

Eine der touristischen Attraktionen ist der Arenalsee. Dieser ist wegen der stetigen Winde auch bei Surfern beliebt. Rund um den See sind in den vergangen zwölf Jahren vier Windparks entstanden. Costa Rica ist in Lateinamerika führend in der Nutzung der Windenergie. Gute drei Prozent der Gigawattstunden, die von privaten und öffent­lichen Ener­gieunternehmen produziert werden, stammen von den Windrädern, die rund um den Arenalsee aufgebaut sind. »Die Winde in der Region erreichen im Jahresdurchschnitt Geschwindigkeiten von 11,7 Meter pro Sekunde. Das sind Werte, von denen man an Standorten in Europa nur träumen kann«, sagt der 32jährige Ingenieur Pablo Palma. Er arbeitet im Windpark von Tejona, wo 30 Wind­räder stehen. Von seinem Schreib­tisch aus hat er nicht nur die Wind­räder des ICE, sondern auch die eines privaten Konkurrenten im Blick.

Der leitende Ingenieur der privaten Windkraftanlage Movasa, Pablo Murillo, lehnt die staatliche Energiepolitik ab, weil sie das nationale ICE übervorteile. »Grundsätzlich ist die Energiepolitik in Costa Rica ein Erfolgsmodell. Allerdings werden mittelfristig Energieengpässe auftreten, weil das ICE zuwenig Investitionskapital hat«, meint er. Doch anstatt mit den privaten Unternehmen zu kooperieren, werde versucht, die Dominanz am Markt zu erhalten, klagt der In­ge­nieur. Dafür macht er den hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad im ICE verantwortlich.

Die Angestellten des ICE fürchten, dass eine Stärkung der privaten Anbieter auf dem costaricanischen Markt die Stellung des ICE schwächt und dass schließlich der Verkauf des wichtigsten Unternehmens des Landes droht. Nicht ohne Grund, denn Anstrengungen zum Verkauf des Strom- und Telekommunikationsunternehmens hat es bereits gegeben. Ende der neunziger Jahre gingen Zehntausende bei der größten Demonstration des Landes auf die Straße, um den Ausverkauf des staatlichen Unternehmens zu verhindern, und zwar mit Erfolg. Viele Großkonzerne aus der Branche wollen das ICE trotzdem kaufen, denn das nationale Strom- und Telefonnetz ist in gutem Zustand und weit erschlossen. 97 Prozent der Haushalte in Costa Rica haben Strom­an­schluss.

Ein gutes Management bescheinigt auch Salo­món Lechtmann, Geschäftsführer von Aero­energía, einem privaten Windparkbetreiber, dem ICE. »Aber es hat zu viele Angestellte auf der Lohn­liste.« Lechtmann würde gern die Kapazitäten seines Windparks erhöhen und verhandelt derzeit mit dem ICE über die Konditionen. Ein schwieriger Prozess, denn auch innerhalb des ICE ist mit der Wahl von Óscar Arias Sánchez zum Präsidenten Costa Ricas im Februar dieses Jahres einiges in Bewegung gekommen. Arias will das Freihandelsabkommen mit den USA, wenn auch in modifizierter Weise, durchs Parlament bringen und gilt als Liberaler, der auch das ICE verkaufen könnte.