Ausgewählt oder erlitten

Das französische Einwanderungsgesetz wird verschärft. Nur wer »Kompetenzen und Talente« nach Frankreich bringt, wird willkommen sein. von bernhard schmid, paris

Am kommenden Dienstag beginnt im französischen Senat die Debatte über das so genannte Ceseda-Gesetz. Das Kürzel bezeichnet »die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern und das Asylrecht«. Es handelt sich um die nächste Verschärfung der Einwanderungsgesetzgebung nach jener vom November 2003. Beide Male war der konservative Innenminister Nicolas Sarkozy Autor der Gesetzesvorlagen.

Die Nationalversammlung hat dem Vorhaben bereits Mitte Mai zugestimmt. Am Abend desselben Tages begann Sarkozy eine Reise durch mehrere afrikanische Staaten. Der Minister war in den meisten Ländern jedoch unwillkommen. In Benin boykottierten Abgeordnete seinen Empfang im Parlament. Überall kam es zu Demonstrationen und Sit-ins. Aus dem Senegal wurde er gar ausgeladen.

Das Gesetzesvorhaben beruht auf zwei Schlüsselbegriffen, l’immigration choisie und l’immigration subie – die »ausgewählte« und die »erlittene Einwanderung«. »Erlitten« meint, dass Frankreich die Anwesenheit unerwünschter Zuwanderer erdulden müsse. Die Gesetzesvorlage schränkt etwa das Recht auf Familienzusammenführung ein. Prekärer wird ferner die Situation der Zuwanderer, die mit französischen Staatsbürgern verheiratet sind. Demnächst können sie erst nach drei Jahren legalen Aufenthalts die französische Staatsbürgerschaft beantragen, und auch nur, wenn sie dem schwammig formulierten Kriterium der »republikanischen Integration« genügen, das jeder Bürgermeister für sich auslegen kann.

Gleichzeitig schafft das Gesetz eine neue Elite unter den Zuwanderern, die zum Beispiel sofort das Recht auf Familienzusammenführung wahrnehmen kann. Für sie gibt es den neuen Aufenthaltstitel »Kompetenzen und Talente«. Wer Kapital, ökonomischer oder intellektueller Natur, zum Vorteil der französischen Wirtschaft mitbringen kann, wird willkommen sein; allerdings hängt das Aufenthaltsrecht vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ab. Manche afrikanische Länder beschuldigen die französische Regierung deshalb, »die Abwanderung der Eliten« aus ihren Ländern organisieren, sonstige Migranten dagegen fernhalten zu wollen.

In Frankreich wiederum versucht Sarkozy das Gesetz als Schutz für die einheimischen Arbeitskräfte zu verkaufen. Etwa nach dem Motto: Wir machen den französischen Arbeitsmarkt für die Konkurrenz der Geringverdiener dicht, dagegen öffnen wir ihn im oberen Bereich.

Doch das Lohndumping wird derzeit nicht von der Zuwanderung »gering qualifizierter« Arbeitskräfte befördert; die von ihnen übernommenen Jobs will ohnehin kaum ein Europäer verrichten. Viel entscheidender ist die Öffnung des Dienstleistungsmarkts für den Wettbewerb von Unternehmen aus der ganzen EU. Es ist das Wirken von Firmen und Selbständigen, nicht die Zuwanderung von Lohnabhängigen, das das Lohndumping vorantreibt.

Unterdessen ist der französische Arbeitsmarkt noch nicht einmal für Lohnabhängige aus den neuen Beitrittsländern geöffnet worden. Seit dem 1. Mai können Bürger von acht Beitrittsstaaten in Frankreich arbeiten, allerdings nur in Bereichen, in denen ein Mangel an Arbeitskräften besteht, etwa wegen der vorherrschenden Arbeits- und Lohnbedingungen.

Fast alle großen Gewerkschaften haben sich indes für die sofortige Öffnung des gesamten Arbeitsmarkts für die betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter ausgesprochen. Aus ihrer Sicht verspricht nicht die illusorische Abschottung des nationalen Arbeitsmarkts die Rettung vor Dumpinglöhnen, sondern das Erstreiten gleicher Lohn- und Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten.