Achtung, Käufer!

Um den Haushalt zu sanieren, will Freiburg 9 000 städtische Wohnungen verkaufen. Der grüne Oberbürgermeister wird dafür heftig kritisiert. von paul ermert

Dieter Salomon hat ein Imageproblem. Taucht Freiburgs grüner Oberbürgermeister in der Öffentlichkeit auf, schlägt ihm meist eine feindliche Stimmung entgegen. Denn er will 9 000 städtische Wohnungen verkaufen, um Freiburgs Schulden loszuwerden. In der Stadt geht bereits die Angst um, dass die Käufer die Mieter aus ihren Wohnungen werfen, die Mieten erhöhen und den sozialen Frieden in Gefahr bringen könnten.

Ginge es nach Salomon, dann würde die Stadtbau, die Eigentümerin der Wohnungen, schnellstmöglich den Besitzer wechseln. Betroffen wären von einem Verkauf rund 300 Mitarbeiter und etwa 25 000 Mieter. Seit Anfang April die Verkaufs­pläne bekannt wurden, hat eine ganze Reihe von Investoren ihr Interesse bekundet, denn mit den günstigen Immobilien lassen sich gute Geschäfte machen. Unter ihnen ist etwa die Landesentwicklungsgesellschaft Baden-Würt­tem­berg, aber auch die US-amerikanische Fondsgesellschaft Fortress, die im März bereits 48 000 öffentliche Wohnungen in Dresden gekauft hat. Dresden ist seither als einzige deutsche Großstadt schuldenfrei.

Mit dem Verkauf des Wohnungsbestandes könnte auch Freiburg sich auf einen Schlag entschulden und darüber hinaus dringend notwendige Investi­tionen in Schulen, Kultur, Straßen und den öffentlichen Nahverkehr tätigen. Kurzfristig betrachtet also ein lohnendes Geschäft. Derzeit hat die Stadt 320 Millionen Euro Schulden, bis zum Jahresende sollen es 370 Millionen Euro sein. Und die Stadtbau ist mit 140 Millionen Euro verschuldet. Über 26 Millionen Euro zahlt Freiburg pro Jahr allein für Zinsen und Tilgung. Für die Wohnungen bekomme man mindestens 510 Millionen Euro, rechnet Freiburgs Erster Bürgermeister Otto Neideck (CDU) bei jeder Gelegenheit vor. Alternativen zu einem Verkauf gebe es nicht. Die zustän­dige Aufsichtsbehörde, das Regierungspräsidium Freiburg, hat bereits angekündigt, den nächsten Haushalt zu kassieren. Damit wäre die Stadt »handlungsunfähig«, argumentiert man im Rathaus und droht bereits vorsorglich mit »harten« Kürzungen im sozialen und kulturellen Bereich für den Fall, dass ein Verkauf nicht zustande komme.

Seit Wochen schon wirbt Salomon um Zustimmung für seine Pläne, doch bislang ohne Erfolg. Erst in der vorvergangenen Woche demonstrierten über 500 Menschen gegen den Verkauf, und neben der SPD und den Unabhängigen Listen (UL) macht inzwischen auch eine Bürgerinitiative mit dem Namen »Wohnen ist Menschenrecht«, eine Vereinigung von betroffenen Mietern, Mitarbeitern der Stadtbau und Lokalpolitikern, gegen den Wohnungs­verkauf mobil.

Um den Verkauf schmackhaft zu machen, will die Stadt ihn »sozial verträglich« gestalten. Eine Sozialcharta, ähnlich wie es sie in Dresden gibt, soll vor Luxussanierungen und unangemessenen Miet­stei­gerungen schützen. Vertreter der UL fürchten jedoch, dass solche Sperrklauseln nach einigen Jahren aufgehoben werden. Zudem sei unsicher, »wer deren Einhaltung kontrollieren« könne, sagte ein Stadtrat der UL, Hendrijk Guzzoni.

In der vorigen Woche ließ Salomon ausgerechnet Christine Ostrowski von der Links­partei, die in Dresden die So­zial­­char­ta verfasst hat, von ihren Erfahrungen berichten. Ostrowski, die in den neunziger Jahren mit Kontakten zu Neonazis von sich reden mach­te, ist Prokuristin bei der Sachsen Treuhand, einem Immobilienunternehmen, das eine hundertprozentige Tochterfirma der Berlin-Brandenburgischen-Treuhand ist. Diese wiederum hat Fortress, das Unternehmen, das die Dresdener Wohnungsbaugesellschaft gekauft hat, beim Kauf beraten. Kein Wunder, dass Kritiker die Sozialcharta rundweg als »Feigenblatt« ablehnen.

Salomon hat aber noch andere Probleme. Seit dem Dresdner Coup wird in der ganzen Republik über den Verkauf kommunaler Woh­nungsunternehmen zur Entschuldung bankrotter Kommunen diskutiert. Freiburg ist schließlich nicht die einzige Stadt, die finanzielle Schwierigkeiten hat, weil die Steuer­einnahmen im Verhältnis zu den Ausgaben enorm gesunken sind.

Und nicht nur die Grünen fragen sich, was sie von solchen Geschäften halten sollen. Weil Freiburgs Kreisverband einer der stärksten in Deutschland ist, gilt seine Entscheidung als richtungsweisend. Während etwa die Dresdener Parteikollegen gegen einen Verkauf votierten, sagte kürzlich eine Sprecherin der Freiburger Grünen: »Jeder, der von Dresden gehört hat, fängt an zu überlegen.« Kerstin Andreae wiederum, grüne Bundestagsabgeordnete und kommunalpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, kritisiert Salomons Pläne und warnt vor dem vollständigen Verkauf: »Damit gibt die Stadt ein wirkungsvolles Instrument sozialer Wohnungs- und Stadtentwicklungspo­litik aus der Hand und bewirkt langfristig hohe Folgekosten.«

Denn nach dem Verkauf an einen privaten Investor steigen erfahrungsgemäß die Mieten in den Wohnungen langfristig stark an, was sich unmittelbar auf den gesamten Mietspiegel auswirkt. Wohngeld dürfte dann stärker in Anspruch genommen werden, und die Stadt hätte die höheren Kosten zu tragen. Hinzu kommen höhere »Kos­ten der Unterkunft« für Empfänger von Arbeitslosen­geld II. Erst im Jahr 2005 haben die Kommunen diesen Posten übertragen bekommen, und schon jetzt belastet er den Freiburger Haushalt mit 25 Millionen pro Jahr.

Freiburgs SPD sieht angesichts der Verkaufspläne ihre Chance, sich als Partei der sozial Schwachen zu profilieren. Die Stadtbau trage dazu bei, »dass für Menschen mit unteren und mittleren Einkommen bezahlbare Wohnungen zur Verfügung stehen«. Die Gesellschaft habe außerdem eine sozialpolitische Verpflichtung, die ein privater Investor niemals übernehme. Gemeinsam mit der Bürgerinitiative »Wohnen ist Menschenrecht« und den UL wollen die Sozialdemokraten ein Bür­gerbegehren gegen den Verkauf initiieren. Rund 15 000 Unterschriften sind dazu nötig. Werbung für ihr Vorhaben macht die Bürgerinitiative, ganz originell, mit dem Bild einer durchgestrichenen Heuschrecke.

Vor wenigen Jahren noch lehnte ein prominenter Lokalpolitiker einen Wohnungsverkauf ab: Dieter Salomon. »Mit mir wird es keinen Ausverkauf geben«, schrieb er als Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters im April 2002. Er fühle sich »dem sozialen Auftrag der Stadt Freiburg, gerade auch was den Erhalt preiswerten Wohnraums angeht, ernstlich verpflichtet«, sagte er.

Inzwischen fühlt sich der Pragmatiker nur noch seinem Haushalt verpflichtet. Anfang Juli soll der Gemeinderat nach Salomons Willen eine Grundsatzentscheidung über den Verkauf treffen. Danach sollen die Wohnungen europaweit ausgeschrieben werden. Galt es bislang als aus­gemacht, dass die schwarz-grüne Mehrheit für den Verkauf votiert, deutete die CDU Ende voriger Woche jedoch an, dass sie sich angesichts der Stimmung in der Stadt auch einen Teilverkauf vorstellen könne.

Und selbst die Grünen scheinen sich plötzlich vor der eigenen Courage zu ängstigen und fordern, dass der Gemeinderat selbst einen Bürgerentscheid beschließen soll. Die Bewohner Freiburgs müssten dann über die weiteren Schritte entscheiden.