Der Jungfrau hörig

Der erzkatholische Sender Radio Maryja hetzt gegen Schwule, Lesben und Juden. Die polnische Regierung unterstützt den Sender dennoch. von oliver hinz

Auf Radio Maryja beten sie gerade wieder den Rosenkranz. »Gegrüßest seiest du, Maria« beginnen abwechselnd Hörerinnen und Hörer. Den monotonen Refrain sprechen der Priester und die Nonne im Studio. Im Hintergrund läuft ganz leise Klaviermusik.

Seelenruhig liegt das Sendezentrum am Stadtrand der alten Hansestadt Torun, die auf Deutsch Thorn heißt. Kein Mensch ist auf dem von einem Zaun und einer Hecke umgebenen Areal zu sehen. Der klotzige Bau erinnert eher an ein Wohnhaus. Nur die Satellitenantennen und der große Sendemast lassen erahnen, dass von hier aus das erzkatholische Radio Maryja und seit drei Jahren auch TV Trwam (»Ich harre aus«) verbissen alle »Ungläubigen« bekämpfen.

Mehrmals in der Woche fahren schwarze Limousinen aus Warschau auf der abgelegenen Straße zum Haussender der regierenden Rechtskonservativen. Deren Politiker gehen am liebsten im Radio der heiligen Jungfrau auf Sendung. Schließlich trug das Programm des Redemptoristen-Paters Tadeusz Rydzyk wesentlich zum Sieg bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Herbst bei.

Rydzyk hat ein Medienimperium errichtet, das als einziges in Polen alle drei Bereiche, das Radio, das Fernsehen und die Presse, umfasst. Zudem bildet der 61jährige Pater an der von ihm gegründeten und geleiteten Hochschule den journalistischen Nachwuchs aus. Sein ganzer Stolz ist das idyllisch an einem kleinen See in der Nähe von Torun gelegene neue Hochschulgebäude, das noch eifrig eingerichtet wird. Selbst am Sonntag und am Todestag des Papstes Johannes Paul II., einem nationalen Trauertag, sind hier Handwerker zugange.

Dass Rydzyk aus Torun seine Propaganda sendet, missfällt auch vielen der 200 000 Einwohner. In der nordpolnischen Stadt geben linke Politiker den Ton an. Hier wird vor der McDonald’s-Filiale in der Fußgängerzone gegen die Globalisierung demonstriert. Jeder fünfte Einwohner ist Student. Die Nikolaus-Kopernikus-Universität gehört zu den besten im Land.

Schon der Name Maryja ist Programm. Rydzyk fehlte in seiner Zeit als Priester in Bayern die Marienfrömmigkeit sehr. So nannte er im Jahr 1991 nach seiner Rückkehr in die Heimat den Sender nach der hier als Königin Polens verehrten Mutter Jesus. In ihrem Namen werden vor allem Gebete gesendet, wofür der Radiosender von der polnischen Bischofskonferenz gelobt wird, aber auch Nachrichten. Anstoß nehmen der Vatikan und die polnischen Bischöfe an den politischen Kommentaren. Seit diesem Monat wacht deshalb auf Beschluss der Bischofskonferenz ein Programmrat aus acht Theologen über den Sender. Als Kritiker des Senders fiel bisher noch keiner von ihnen auf. Besonders die vier Mönche von Rydzyks Orden, der auch den Sender trägt, gelten als zahm.

Schon lange hetzen aus dem hochmodernen Studio Moderatoren ungestört gegen Schwule und Lesben und gegen angebliche Feinde hinter der Grenze: Russen, Deutsche und die EU. Den größten landesweiten Protest löste indes zuletzt einer der wichtigsten Kommentatoren des Senders aus, der Antisemit Stanislaw Michalkiewicz. In seiner Kolumne beschimpfte er Ende März die Juden. »Der Jüdische Weltkongress, die wichtigste Firma des Holocaust-Industriekonzerns«, verlange von Polen Tributzahlungen, andernfalls werde es »auf der internationalen Bühne gedemütigt«. Er sprach von »jüdischen Krawallen im KZ Auschwitz« und dem »Aufbauschen« des Judenpogroms von Jedwabne im Jahr 1941. Zugleich warf er der liberalen Zeitung Gazeta Wyborcza eine »systematische Dressur in der so genannten Toleranz« vor und nannte sie deshalb »die jüdische fünfte Kolonne auf polnischem Boden«.

Der staatliche Ethikrat für die Medien kritisierte Michalkiewiczs Kommentar. Dutzende Bürger beschwerten sich bei der Aufsichtsbehörde für Rundfunk und Fernsehen. Marek Edelman, der letzte überlebende Anführer des Aufstandes im Warschauer Ghetto von 1943, appellierte an den Premierminister Kazimierz Marcinkiewicz und den Parlamentspräsidenten Marek Jurek, bei Radio Maryja »Fremdenfeindlichkeit, Chauvinismus und Antisemitismus« zu unterbinden oder den Sender zu schließen. »Manche Sendungen unterscheiden sich nicht vom ›Stürmer‹ der Nazis. Sie, Herr Premierminister, Sie, Herr Parlamentspräsident, Minister und manche Abgeordnete treten in diesem Radio auf, was ihm Bedeutung und Glaubwürdigkeit gibt und den Eindruck erweckt, dass sich der Staat mit der politischen Linie von Radio Maryja solidarisiert«, schrieb Edelman an die Politiker der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Die Medien gingen auf Distanz zu Radio Maryja – bis auf wenige Ausnahmen. Das Magazin Newsweek Polska des Springer-Konzerns kommentierte zum Beispiel, es habe sich nur um einen antisemitischen Einzelfall gehandelt. Doch Rydzyks Ruf ist bei der überwältigenden Mehrheit der Polen ruiniert. 70 Prozent sagten im April in einer Umfrage, der Radiopriester habe einen schlechten Einfluss auf das, was in Polen passiert. So negativ wird kein anderer Pole gesehen. Neun Prozent meinen allerdings, er sei gut für Polen. Für sie ist er ein Heiliger.

Rydzyk musste auf die Vorwürfe reagieren: »Wenn sich jemand von den Aussagen eines der bekanntesten polnischen Feuilleto­nisten verletzt fühlt, dann tut uns das sehr leid. Niemand hatte die Absicht, jemandem etwas Böses anzutun. Wir achten jeden Men­schen unabhängig von der Nationalität, dem Stand, dem Alter, der Rasse oder der Religion.« Als Erklärung für den antisemitischen Kommentar führte der Senderchef die Pressefreiheit an: »Bei Radio Maryja haben wir ein freies Mikro. Wir können doch keine Zensur oder Selbstzensur einführen.« Im gleichen Atemzug warf er den übrigen Sendern und Zeitungen »Medienterror« gegen Radio Maryja vor.

Für Michalkiewicz hatte das Ganze keine Konsequenzen. Er kommentiert weiter. Selbst der antisemitische Beitrag, um den es ging, steht weiter auf der Website des Radios. Auch die PiS hält dem Sender weiterhin die Treue. Premierminister Marcinkiewicz, der sein Regierungsprogramm zuerst im Studio in Torun und dann im Parlament vorstellte, sagte nur, dass er nicht immer mit dem Sender einer Meinung sei. Marek Edelman antwortete er: »Ich versichere, dass, wenn das Recht gebrochen wird, die Rechtsorgane wirksam eingreifen werden.« Aber der Vorsitzende der Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, verteidigte das Radioprogramm vehement. Für ihn stellt die Kritik einen »Angriff gegen die Wiederherstellung des Staates« dar, weil der Sender ein »Teil der Front« des PiS-Lagers sei. Die Gegner von Radio Maryja sind Kaczyns­ki zufolge letztlich »Feinde der Freiheit« und »Feinde der Demokratie«, weil sie die Existenzberechtigung des Senders bestritten.

Mit einem Marktanteil von 2,5 Prozent liegt Rydzyks Sender auf Platz fünf in Polen. Die beiden Privatsender RMF FM (21,6 Prozent) und Radio Zet (19) rangieren in der Popularität vor zwei öffentlich-rechtlichen Programmen. Trotzdem sind dem Sender mit dem Slogan »Die katholische Stimme in deinem Haus« mit den fünf bis sechs Millionen Mitgliedern der »Rodzina Radio Maryja«, der »Familie« von Radio Maryja, so viele hörig wie keinem anderen. Die Mitglieder dieser Radio­familie legen auch schon mal in Kirchen Rydzyks rechtsextreme Tageszeitung Nasz Dziennik (Auflage rund 100 000 Exemplare) aus. Vor jeder zweiten Kirche im Land wirbt ein Schild für den Sender und verweist auf die Frequenz. Viele Pfarrer arbeiten eng mit der Radio­familie zusammen. So trugen bei der feierlichen Karfreitagsprozession in der westpolnischen Kleinstadt Szamotuly nicht nur die Erstkommunionskinder und Ministranten das Kruzifix, sondern auch Mitarbeiter des Senders. Den anwesenden Gläubigen verkündete der Probst feierlich: »Und jetzt übernehmen die von der Familie von Radio Maryja das Kreuz.«