Respekt ist suspekt

Israel und die Hamas von jörn schulz

Respekt fordern derzeit am lautesten jene, die selbst am wenigsten bereit sind, andere zu respektieren. Zum Beispiel die Hamas. Sie bringt dem Staat Israel und den Juden im allgemeinen, aber auch den Osloer Verträgen wenig Respekt entgegen. Das Geld, das im Rahmen dieser Verträge ausgezahlt wird, will sie trotzdem haben. Denn schließlich müsse »der Wille des palästinensischen Volkes respektiert« werden, sagt der designierte Hamas-Premierminister Ismail Haniya.

Der Logik des Arguments folgend, müsste dann allerdings auch die Ankündigung gewählter israelischer Regierungsvertreter respektiert werden, Haniya gegebenenfalls ungeachtet seines Amtes zu töten. Sowohl Verteidigungsminister Shaul Mofaz als auch Ministerpräsident Ehud Olmert haben angekündigt, dass sie in der demokratischen Legitimation Haniyas keinen Grund sehen, ihn von einer »gezielten Tötung« auszunehmen. Eine solche Maßnahme komme aber nur in Frage, wenn er »einen terroristischen Akt begeht«, schränkte Olmert ein. »Ich hoffe, er tut es nicht.«

Äußerungen dieser Art sind einerseits eine Profilierung im Wahlkampf, in dem niemand den Eindruck erwecken möchte, zu nachgiebig gegenüber der Hamas zu sein. Sie kündigen keine unmittelbar bevorstehenden Maßnahmen an, sind aber eine Botschaft sowohl für die neue palästinensische Regierung als auch für die »internationale Gemeinschaft«. Denn mit der Forderung, der »Respekt« vor dem Wahlergebnis gebiete eine Fortsetzung der diplomatischen Beziehungen und der Zahlungen an die palästinensische Autonomiebehörde (PA), bringt die Hamas insbesondere die westlichen Staaten in die Defensive.

Dass diese die Demokratie nur befürworten, wenn das Wahlergebnis ihren Wünschen entspricht, ist ein gängiges Argument der Islamisten. Um die »Glaubwürdigkeit« westlicher Politik werden sich in Zukunft wohl jene Kräfte öffentlich Sorgen machen, die ohnehin eine Normalisierung der Beziehungen mit der Hamas befürworten. Der Druck, von den verkündeten Prinzipien im Umgang mit der Hamas abzuweichen, dürfte wachsen, wenn die Islamisten für einige Zeit auf terroristische Aktionen verzichten.

Und das werden sie wahrscheinlich tun. Eine starke Minderheit der Palästinenser teilt die Ideen der Islamisten, doch ihren Wahlsieg verdankt die Hamas ihrem Netz von Sozialeinrichtungen und der Enttäuschung über die Fatah. Die Bevölkerung erwartet von der neuen Regierung vor allem eine Verbesserung der Lebensverhältnisse. Für die Hamas sind die Sozialdienste ein Mittel zur Klientelbildung. Ihr wichtigstes Ziel ist es, die Hegemonie über die palästinensische Gesellschaft zu erringen und institutionell zu festigen. Die Durchsetzung der Geschlechtertrennung in der Öffentlichkeit, eine weitere Islamisierung des Bildungssystems und des kulturellen Lebens sowie die Platzierung von Gefolgsleuten in den Institutionen anstelle der bislang dominierenden Fatah-Kader sind Ziele, für deren Durchsetzung die Islamisten relative Ruhe brauchen.

Dass der neuen Regierung eine Verbesserung der Lebensverhältnisse gelingt, ist jedoch unwahrscheinlich. Die Korruption der Fatah und die Sicherheitspolitik der israelischen Regierung haben die ökonomische Krise verschärft, doch auch ohne diese Faktoren blieben die palästinensischen Gebiete ein karges Territorium mit schlechten Entwicklungsaussichten, dessen billige Arbeitskräfte niemand braucht. Und wenn die Dinge schlecht laufen für die Hamas-Regierung, dürften die Islamisten der Versuchung nicht widerstehen können, eine Konfrontation mit Israel zu provozieren, und einmal mehr alle Schuld auf die Juden schieben.