Ein Euro für Streikbrecher

Die Auseinandersetzung im öffentlichen Dienst verschärft sich. In Osnabrück wurden Ein-Euro-Jobber als Streikbrecher eingesetzt. von martin kröger

Ich will nie wieder, dass Behörden und Polizei den Einsatz von Streikbrechern durchsetzen«, meint Jürgen Humer, der Bezirksgeschäftsführer von Verdi in Osnabrück-Emsland. Auf Betreiben der örtlichen Arbeitgeber wurden in der vergangenen Woche Empfänger des Arbeitslosengeldes II und Ein-Euro-Jobber als Streikbrecher ins Mülldepot in Osnabrück verfrachtet, um die Müllfahrzeuge zu bedienen. Gegen die Streikposten, die diesen ungewöhnlichen Arbeitseinsatz verhindern wollten, gingen Polizisten vor, um die Ausfahrt der Entsorgungsfahrzeuge zu ermöglichen. Dabei wurden Gewerkschafter auch körperlich angegriffen, von den Polizisten verbal bedroht und teilweise angezeigt.

Drohungen hatten zuvor auch die Ein-Euro-Jobber von der Stadtverwaltung erhalten, falls sie sich nicht als Streikbrecher missbrauchen lassen würden. »Das Ganze wird noch ein Nachspiel haben«, sagte Humer der Jungle World. »Zwei der Ein-Euro-Jobber sind bereit, schriftliche Aussagen zu machen.« Der Fall soll, sobald alle Fakten zusammengetragen sind, auf einer Pressekonferenz publik gemacht werden. »Da wird kein Auge trocken bleiben«, kündigt er an. Für Humer stellt der Einsatz von Ein-Euro-Jobbern einen klaren Rechtsverstoß dar.

Das sieht man im Südwesten der Republik, wo der Streik vor drei Wochen seinen Anfang nahm, genauso. »Ein-Euro-Jobber dürfen nicht eingesetzt werden«, meint Ralf Berch­told, der Sprecher beim Verdi-Landesbezirk Baden-Württemberg. Dennoch sei es auch in seinem Bereich zu solchen Probeläufen mit den Streikbrechern gekommen. »Es gab diese Versuche«, bestätigt er. Oftmals konnten die Streikbrecher, die hier meist von Leiharbeitsfirmen angeheuert worden waren, allerdings über ihre Rechte aufgeklärt werden. »Sie konnten sich dann entscheiden, als Streikbrecher eingesetzt zu werden oder nach Hause zu gehen und trotzdem den Anspruch auf ihre Vergütung durch ihre Leiharbeitsfirma zu haben«, erzählt Berchtold. Viele hätten sich für die Vergütung ohne Streikbruch entschieden.

Mit dem Streikverlauf ist man im Südwesten bisher recht zufrieden: »Es ist uns gelungen, zu vermitteln, dass es um Arbeitsplatzabbau und Lohnkürzungen geht und nicht nur um die oft zitierten 18 Minuten.« Dass dies verstanden werde, liege auch daran, dass fast jeder jemanden in der Verwandtschaft habe, der als Azubi im öffentlichen Dienst tätig ist. Sollten die Arbeitsverlängerungen auf bis zu 42 Stunden, wie sie die Arbeitgeber weiterhin fordern, durchkommen, dürfte so gut wie niemand nach der Ausbildung übernommen werden. »Das hat sich rumgesprochen«, glaubt der Verdi-Vertreter Berchtold, weshalb die Zustimmung für den Arbeitskampf in der Bevölkerung viel größer sei, als es die Medien derzeit darstellten. Dies hätten Umfragen wie in Stuttgart deutlich gezeigt.

Dass überhaupt nach so vielen Jahren mal wieder gestreikt wird, hat für die Dienstleistungsgewerkschaft enorme Auswirkungen auf die Mitgliederzahlen. »Wir haben bereits jetzt Jahreshöchststände bei der Mitgliederentwicklung erreicht«, berichtet Berchtold. Die Bereitschaft, gegen die Arbeitszeitverlängerungen zu kämpfen, scheint sich insofern für Verdi auszuzahlen.

Ob diese Hochstimmung erhalten bleibt, dürfte jedoch nicht zuletzt vom Ergebnis des unbefristeten Streiks abhängen. In Baden-Württemberg wurden die Verhandlungen im kleinen Kreis am Wochenende fortgesetzt. »Uns ist bewusst, dass ganz Deutschland auf uns schaut«, sagt Berchtold. Nicht nur deswegen sei der Druck bei den laufenden Verhandlungen sehr groß. Denn von den Ergebnissen in Baden-Württemberg dürfte eine Sig­nalwirkung ausgehen, sowohl für die Tarifauseinandersetzung zwischen kommunalen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften als auch für den Ausgang im Konflikt zwischen der Gewerkschaft und der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, bei der Verdi ebenfalls den bereits im vergangenen Jahr verabschiedeten »Tarifvertrag öffentlicher Dienst« durchsetzen möchte.

Doch gerade die Arbeitszeitverlängerung, die die Arbeitgeber so vehement fordern, will die Gewerkschaft weiterhin verhindern. Ein anderes Verhandlungsergebnis dürfte den streikenden Mitgliedern kaum zu vermitteln zu sein.

Als positiv bewertet Verdi in dieser Situation bereits das Interesse der kommunalen Arbeitgeberverbände, am Flächentarifvertrag festzuhalten. Aber auch die Gewerkschaft ist an einem Abschluss interessiert. Ein Kompromiss könnte so aussehen, dass so genannte Differenzierungsmodelle erstellt werden.

Ein Beispiel ist das »Tübinger Modell«, bei dem je nach Alter unterschiedlich lang gearbeitet wird: Jüngere müssten demnach länger arbeiten, ab einem Alter von 50 Jahren verringert sich dann die Arbeitszeit. »Im Schnitt soll die Lebensarbeitszeit aber nicht 38,5 Stunden überschreiten«, erläutert Berchtold. Was er nicht sagt: Das »Tübinger Modell« war das Ergebnis eines Streiks in der Universitätsklinik der Stadt, in der zuvor 41 Stunden lang geschuftet werden musste. Mit dem Streik wurde eine Arbeitsverkürzung erkämpft und nicht, wie jetzt anvisiert, eine Arbeitszeitverlängerung verhindert.

Für den Fall, dass die für diese Woche geplanten Verhandlungen scheitern, kündigte Berchthold eine Ausweitung der Streiks an. »Die Kollegen sind weiter streikbereit«, betont Martina Sönnichsen, die Sprecherin beim Bundesvorstand von Verdi. Zudem sei die Streikkasse weiterhin gut gefüllt. Am vergangenen Freitag seien 25 000 Beschäftigte in acht Bundesländern im Ausstand gewesen. Den Unmut, der in den Medien gegen die Gewerkschaft geschürt werde, könne man beim Bundesvorstand nicht nachvollziehen. Immerhin sei die Streiktaktik »wellenartig organisiert«.

Bei extremen Missständen würde sofort reagiert, etwa als die Reeperbahn in Hamburg im Müll zu versinken drohte. Dort habe man sich flexibel gezeigt und Sonderschichten eingesetzt. »Unsere Kollegen gehen verantwortungsbewusst mit allem um«, sagt Sönnichsen. Dies gilt auch für Krankenhäuser, wo die Notdienstvereinbarungen locker gehandhabt würden, um notwendige Operationen für die Patienten zu ermöglichen.

Doch gerade diese Flexibilität und Bürgerfreundlichkeit, die eher an einen Warnstreik als an einen richtigen Streik erinnert, könnten den Gewerkschaften als Schwäche ausgelegt werden. »Ich frage mich, wie die Leute reagieren würden, wenn wir wirklich unbefristet streiken würden«, fragt sich Alexander Brandner vom Netzwerk für eine demokratische und kämpferische Verdi. Die Basisgruppe, die sich für eine schrittweise Verkürzung der Arbeitszeit auf 35 oder sogar bis auf 30 Stunden in der Woche einsetzt, befürchtet, dass die rein defensive Strategie des Streiks, Arbeitszeitverlängerungen nur abzulehnen, ohne eigene weitergehende Forderungen aufzustellen, den Gewerkschaften in den Verhandlungen zum Verhängnis werden könnte. Tatsächlich dürfte jeder Kompromiss mit den Arbeitgebern auf eine Verlängerung der Arbeitszeit hinauslaufen.