Überraschender Auftritt

Auf der ersten Sitzung des palästinensischen Parlaments hat Präsident Abbas seinen Machtanspruch gegenüber der neuen Hamas-Regierung betont. von michael borgstede, ramallah

Für Mahmoud Abbas sieht es derzeit nicht gut aus. Zwar wurde der Fatah-Veteran vor gut einem Jahr mit einer ansehnlichen, wenn auch nicht überwältigenden Mehrheit zum Palästinenserpräsidenten gewählt, doch seitdem scheint das Glück ihn verlassen zu haben. Die Räumung des Gaza-Streifens verwirklichte Ariel Sharon im Alleingang, als einen Verhandlungserfolg konnte Abbas der Bevölkerung den Rückzug jedenfalls nicht verkaufen. Dafür rühmte die islamistische Hamas sich, den »zionistischen Feind« mit Gewalt vertrieben zu haben, und gewann an Popularität. Mit ihrem sozialen Engagement und einer Kampagne gegen Korruption hatten die Islamisten sich unter den Palästinensern viele Freunde gemacht.

Abbas, der sein Millionenvermögen in den Golfstaaten verdient hat, gelang es nicht, der grassierenden Korruption innerhalb seiner Fatah-Partei ein Ende zu machen. Interne Parteiquerelen und ein problematisches Wahlsystem taten ihr übriges: Am 25. Januar gewann die Hamas bei den Wahlen für den palästinensischen Autonomierat überraschend 74 von 132 Mandaten und damit die absolute Mehrheit.

Das war für die politische Entwicklung im Nahen Osten so etwas wie das größte anzunehmende Unglück. Ob das Wahlergebnis nun den wahren Willen der Bevölkerung widerspiegelt oder, wie viele vermuten, nur von einer überwältigenden Frustration unter den Palästinensern zeugt, sei dahingestellt. Fest steht, dass die palästinensische Autonomiebehörde jetzt von einer Terrororganisation geführt wird, die Hunderte israelischer Zivilisten auf dem Gewissen hat und die Anerkennung Israels konsequent verweigert. Welche Rolle könnte in einer solchen Regierung noch Mahmoud Abbas zukommen?

Im vergangenen Jahr machte er meist einen hilflosen, wankelmütigen Eindruck. Abbas’ Metier waren immer komplizierte Geheimverhandlungen, er hat das Rampenlicht der Weltpolitik nie gesucht. Ein charismatischer Führer, der die demokratisch gewählten Islamisten in die Schranken weisen kann, sieht anders aus. Und so kursierten nach dem Wahldebakel schnell Gerüchte über einen möglichen Rücktritt des Palästinenserpräsidenten.

Doch ausgerechnet auf dem Höhepunkt seiner Machtlosigkeit sorgte Abbas für eine Überraschung und gewann an Profil. Der immer schwächelnde Präsident wies entrüstet alle Gedanken an einen Rücktritt von sich und wich der Konfrontation mit den neuen Herren in den palästinensischen Gebieten nicht aus. Am Samstag, auf der konstituierenden Sitzung des neu gewählten Parlaments, schien er sie geradezu zu suchen. Die Abgeordneten hatten gerade gemeinsam ihren Amtseid abgelegt, als Abbas das Podium betrat und eine Rede hielt, die an Deutlichkeit nicht zu wünschen ließ.

»Der Präsident und die Regierung werden an ihrer Verpflichtung zu Verhandlungen als politischer, pragmatischer und strategischer Wahl festhalten«, sagte Abbas. Und weil er nicht nur Präsident der Autonomiebehörde ist, sondern als Vorsitzender der PLO auch die Rechte aller Palästinenser weltweit vertritt, machte er wiederholt deutlich, wer auch in Zukunft für Friedensverhandlungen verantwortlich sei. »Ich bin entschlossen, mein Programm umzusetzen, für das ich gewählt wurde und ein Mandat habe«, versicherte er.

Damit meint er unzweifelhaft die Fortsetzung des Friedensprozesses. Leicht wird das angesichts der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse nicht. Aber Abbas vermutet wohl zu Recht, dass die Mehrheit der Hamas-Wähler keine radikalen Islamisten sind. Es mag wie ein Widerspruch scheinen, aber nur wenige Tage vor der Wahl ergab eine Umfrage, dass heute mehr Palästinenser denn je zu einer realistischen Kompromisslösung bereit wären. So forderte Abbas die Hamas dazu auf, das Osloer Abkommen und alle anderen mit Israel getroffenen Vereinbarungen anzuerkennen. »Ich möchte alle Mitglieder des Autonomierates und die zukünftige Regierung daran erinnern, dass alle unterzeichneten Abkommen zu respektieren sind.« Man werde keine Zweifel an der Legitimität des Osloer Abkommens zulassen, sagte er mit erhobener Stimme.

Das klang fast wie eine Drohung. Die Hamas-Abgeordneten im Versammlungssaal der Muqata in Ramallah verzogen keine Miene. Tief verschleiert die Frauen, die Männer teils mit Krawatte in westlichen Anzügen, teils aber auch in traditioneller Kleidung, lauschten sie den Worten des Präsidenten. Die Haupt­aufmerksamkeit der Neulinge im Parlament galt jedoch dem Bildschirm in der Ecke, auf dem die rund 30 Hamas-Abgeordneten aus Gaza zu sehen waren, denen Israel die Einreise ins Westjordanland untersagt hatte.

Ismail Hanija, der designierte Premiermi­nister, und sein Kollege Mahmoud al-Zahar schauten etwas überrascht. Einen derartigen Vorstoß hatten sie dem wenig charismatischen Abbas wohl nicht zugetraut. Kaum jemand aus der Hamas-Fraktion applaudierte dem Präsidenten nach seiner Rede. Als Abbas wenig später als erster den Saal verließ, blieben viele der Hamas-Parlamentarier auf ihrem Stuhl sitzen; diesem Präsidenten wollten sie keine Geste des Respekts erweisen.

In Gaza gab der Hamas-Führer Ismail Hanija später zu, dass Meinungsverschiedenheiten existierten. Man müsse aber Kompromisse schließen, »die die nationale Einheit des palästinensischen Volkes wahren und den höheren Interessen unseres Volks dienen«. Das ist leicht gesagt, wenn man noch nicht einmal über die Natur dieser »höheren Interessen« übereinstimmt. Geht es um einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967, wie ihn Abbas propagiert, oder soll das »zionistische Gebilde« doch noch von der Landkarte getilgt werden? Abbas will seine Position durchsetzen, und er sieht sich trotz der Wahlniederlage in einer Position der Stärke.

Die Hamas muss Auseinandersetzungen unter den Palästinensern unbedingt vermeiden, ein Bürgerkrieg wäre ihrer Beliebtheit in der Bevölkerung gewiß nicht zuträglich. Außerdem ist die Hamas auf Abbas, der im Ausland großes Ansehen genießt, angewiesen. Er könnte vermitteln, Türen öffnen, die den Islamisten sonst wohl verschlossen bleiben würden. In seiner Rede hielt Abbas sich in dieser Hinsicht noch sehr zurück. Zwar forderte er, die internationalen Finanzhilfen nicht auszusetzen: »Das palästinensische Volk sollte für seine Wahl nicht bestraft werden.« Andererseits suchte man in der Rede vergeblich nach einem Aufruf an die »internationale Gemeinschaft«, mit der Hamas zusammenzuarbeiten.

Die israelische Zeitung Yedioth Ahronoth vermutet deshalb, Abbas wolle die Hamas isolieren, um bei Neuwahlen seine Fatah-Partei wieder zum Sieg zu führen. Die palästinensische Zeitung al-Quds vertritt eine andere Theorie: Während die Hamas-Abgeordneten aus dem Westjordanland keine prinzipiellen Einwände gegen die unterschriebenen Abkommen hätten, sei die Situation in Gaza anders. Vielleicht wolle Abbas die Organisation spalten und die extremistischen Führer in Gaza isolieren.