Ausweitung der Einflusszone

Ein Militäreinsatz der EU im Kongo unter deutscher Führung wurde mit Rücksicht auf Frankreich abgelehnt. Eine Variante, die den deutschen Einfluss trotzdem sichert, ist schon gefunden. von jörg kronauer

Selten war im Bundestag der Beschluss eines neuen Bundeswehreinsatzes so umstritten wie die Verstärkung der UN-Truppe im Kongo durch eine von den Deutschen dominierte Battle Group der Europäischen Union. Es bestehe »erhebliche Skepsis«, der Kampfauftrag sei »militärisch nicht zu leisten«, die Bundeswehr sei »nicht darauf vorbereitet, auf Kindersoldaten zu schießen«, äußerten Politiker der CDU und der SPD ungewohnt besorgt. Überraschende Töne vernahm man auch aus der Bundesregierung, deren rot-grüne Vorgängerin jede Gelegenheit genutzt hatte, deutsches Militär in aller Welt zu postieren. »Es ist nicht klar, was die zusätzlichen Soldaten eigentlich tun sollen«, schimpfte ein nicht namentlich genanntes Regierungsmitglied in der Berliner Zeitung.

Ende Dezember erklärten die Vereinten Nationen, die UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo allein könne eine Eskalation der Gewalt während der für April geplanten Wahlen nicht verhindern. Die Wahlen sollen dem weithin zerstörten Land, in dem in den vergangenen Jahren rund vier Millionen Menschen durch Kriegshandlungen ums Leben gekommen sind, eine halbwegs stabile Regierung verschaffen. Befürchtet wird jedoch, dass sich die Machtkämpfe im Frühjahr zu einem neuen Krieg ausweiten könnten. Eine Armee aus dem westlichen Ausland soll rebellierende Milizen einschüchtern.

Bei der künftigen Entwicklung des Kongo steht viel auf dem Spiel. Das Land »ist reich an Bodenschätzen, fruchtbaren Böden, tropischen Nutzhölzern«, berichtet das Auswärtige Amt auf seiner Website. Zu den Ressourcen des Kongo gehöre auch »ein gewaltiges Potenzial an hydroelektrischer Energie«, schreibt das Außenministerium. »Der Kongo-Fluss kann weitere 40 000 Megawatt Energie produzieren«, schwärmt Dion Govender, Business Development Director bei Siemens Südafrika. Fachleute konzipieren bereits Stromleitungen aus dem Kongo bis hinauf nach Ägypten. Die Kraftwerke, an deren Bau das Unternehmen Siemens viel Geld verdienen könnte, müssen freilich ihrerseits finanziert werden, wie andere Infrastruktur- und Wirtschafts­projekte auch. Das wiederum verlangt einen einigermaßen funktionsfähigen Staat.

Daran habe es in den vergangenen Jahren gemangelt, beklagen deutsche Unternehmer. »Ausländische Investoren haben sich aus dem Kongo – als Folge der politischen Instabilität und des wirtschaftlichen Zerfalls – zurückgezogen«, stellt der Hamburger Afrika-Verein, ein Außenwirtschaftsverband, bedauernd fest. In wirtschaftlicher wie in geostrategischer Hinsicht sagt das Auswärtige Amt dem zentralafrikanischen Staat eine große Zukunft voraus: »Nach Ende des Konfliktes und innerstaatlicher Konsolidierung ist davon auszugehen, dass die DR Kongo aufgrund ihrer Lage im Zentrum Afrikas und des Ressourcenreichtums zu einem Faktor von erheblicher politischer Bedeutung werden wird.«

Kein Wunder, dass der internationale Konkurrenzkampf um das Land wieder spürbarer wird. Wie in vielen anderen afrikanischen Staaten sorgt auch hier vor allem der Machtzuwachs der Volksrepublik China für Aufsehen. Ihr Botschafter in Kinshasa kündigte im Januar eine »Wiederaufbaukonferenz« an, die nach den Wahlen abgehalten werden soll, und wies auf eine chinesisch-kongolesische Ko­operationsveranstaltung in Peking hin. Derlei Aktivitäten bleiben in den außenpolitischen Apparaten Deutschlands nicht unbemerkt. »Die rasche Ausdehnung des chinesischen Einflusses in Afrika« stelle »eine zentrale Herausforderung für die deutsche Afrikapolitik« dar, schrieb die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im vergangenen August.

Könnte der Einsatz einer von den Deutschen dominierten EU-Battle Group nicht den eigenen Einfluss in dem künftig wichtig werdenden Land erhöhen? Andreas Schockenhoff, der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ist skeptisch. Im Kongo befinde man sich auf »politisch schwierigem Terrain«. Er verweist darauf, dass Frankreich das Land zu seiner afrikanischen Einflusszone zählt. Der Politiker erhielt im Dezember das Bundesverdienstkreuz am Bande »für seine Verdienste und sein Engagement in den deutsch-französischen Beziehungen«. Er weiß, welch große Bedeutung die französische Regierung ihrem »Pré Carré« (Hinterhof) in Afrika beimisst.

Dass Frankreich seinen Anspruch auf Macht in den französischsprachigen Staaten Afrikas aufrechterhält, stört deutsche Außenpolitiker, aber auch deutsche Unternehmer schon lange. So beschwert sich etwa das Auswärtige Amt in seinen »Länderinformationen«, die Beziehungen zwischen Deutschland und der westafrikanischen Côte d’Ivoire seien »unbelastet, wenn auch wegen der starken Affinität des Landes zu Frankreich nicht sonderlich ausgeprägt«. Bereits vor drei Jahren erklärte die SWP, Frankreichs »›Vorwärts in die Vergangenheit‹ neokolonialer Einmischung« müsse verhindert werden. Französische Niederlagen werden entsprechend gefeiert. Der gewaltsame Machtwechsel in Ruanda 1994 habe das Land »aus der Frankophonie ›herauskatapultiert‹«, berichtete die deutsche Botschaft in Kigali vor einem Jahr triumphierend. Das habe »die Chancen der übrigen Europäer, vor allem der Deutschen, entsprechend erhöht«.

Eine »Zeitenwende in der französischen Afrika-Politik« sagt bereits die SWP voraus: Eine »Rückführung des französischen Engagements« sei nicht mehr zu verhindern, Frankreich könne seine Positionen nicht mehr halten und müsse sich für seine Interventionen zunehmend auf die EU stützen. »Für die Bundesregierung gilt es, diese Chance selbstbewusst zu ergreifen«, schreibt der Berliner Think Tank.

Deutschland ist in Afrika ohnehin in der Offensive, vor allem seit Horst Köhler als Bundespräsident amtiert. Er kennt die afrikanischen Staaten aus seiner Zeit beim Internationalen Währungsfonds. Der Kontinent ist auch ein deutlicher Schwerpunkt seiner Arbeit im neuen Amt: Nach einer ersten Afrika-Reise Ende 2004 begann er im vergangenen Jahr mit einer großen internationalen Konferenz die Initiative »Partnerschaft mit Afrika«. Die nächste Reise in den Kontinent ist für dieses Jahr geplant, während er seit seiner Amtsübernahme weder Lateinamerika noch Asien (mit Ausnahme Japans) besucht hat. Doch eine von den Deutschen dominierte Battle Group der EU im strategisch wichtigen französischsprachigen Kongo würde das in der Defensive befindliche Frankreich zu stark vor den Kopf stoßen und ließe unangenehme Abwehrreaktionen befürchten.

Die neue Lösung ist ein Kompromiss. Geprüft wird ein gemischter EU-Einsatz. »Er wird auf jeden Fall nicht deutsch und nicht französisch, sondern multilateral sein«, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums der Jungle World. Der deutsche Einfluss freilich bleibt gesichert: Bereits die EU-Erkundungsmission, die am Montag nach Kinshasa aufbrechen sollte, wird von dem deutschen Brigadegeneral Heinrich Brauß geleitet.