Zwei Freunde sollt ihr sein

Merkel und Bush prahlten bei ihrem Treffen am Wochenende mit ihrer ­gegenseitigen Wertschätzung. von markus bickel

Wer bis Freitagmittag nicht mitbekommen hatte, dass ihn und seine deutsche Besucherin viel verbindet, dem half George W. Bush mit einer eher nebensächlichen Gemeinsamkeit auf die Sprünge. »Wir sind beide nicht gerade mit Erdrutschsiegen ins Amt gekommen«, erklärte der US-Präsident der versammelten Journalistenschar im prunkvollen East Room des Weißen Hauses, und nicht nur die Medienvertreter, auch Angela Merkel musste lachen.

Bereits vor ihrem Antrittsbesuch in den USA hatten von der Washington Post (»Warm Welcome Awaits Germany’s New Leader«) über die New York Times (»A New Friend With Good Advice«) bis zur FAZ (»Mit alteuropäischer Frische«) und zur Süddeutschen Zeitung (»Rosenroter Teppich für Angela«) viele Zeitungen dies- und jenseits des Atlantiks die angekündigte Wiederbelebung der deutsch-amerikanischen Beziehungen einhellig begrüßt.

Selbst Merkels Aussage im Spiegel, das US-Gefangenenlager im kubanischen Guantánamo könne und dürfe »auf Dauer so nicht existieren«, konnte die entspannte Stimmung bei ihrem 24-Stunden-Besuch in Washington nicht trüben. Nur weil sie auf der gemeinsamen Pressekonferenz danach gefragt wurde, sprach Merkel das Thema in den USA überhaupt öffentlich an. Bushs klare Ablehnung der Forderung, die Anfang des Jahres 2002 gegründete Einrichtung zu schließen, war der Bundeskanzlerin keine Erwiderung wert, und das, obwohl er dem umstrittenen Gefängnis eine fast unbegrenzte Daseinsberechtung zugestand: »Solange der Krieg gegen den Terror weitergeht und solange es eine Bedrohung gibt, werden wir diese Leute, die uns schädigen, unausweichlich festhalten müssen.«

Großen Ärger auslösen konnte Merkels State­ment zu Guantánamo schon deshalb nicht, weil ihr außenpolitischer Berater, Christoph Heusgen, seinen Counterpart im Weißen Haus, Steve Hadley, noch vor Erscheinen des Spiegel-Gesprächs darüber informiert hatte, wie die Financial Times am Wochenende berichtete. Außerdem ist Bush wegen seiner Antiterrorstrategie, die in vielen Fällen internationales, aber auch nationales Recht bricht, seit Monaten selbst im eigenen Land scharfer Kritik ausgesetzt. Auch enge Verbündete wie Italiens Premierminister Silvio Berlusconi haben sich zuletzt negativ über das Vorgehen von US-Truppen und -Geheimdiensten geäußert. Im Dezember schließlich musste Bush dem Widerstand des republikanischen Senators John McCain nachgeben und einem ausdrücklichen Verbot der Folter in der Neufassung des nach dem 11. September 2001 erlassenen Patriot Act zustimmen.

Von einer scharfen Kritik Merkels an der US-Menschenrechtspolitik kann also keine Rede sein, und auch die Überraschung ihres Möchtegernkoalitionspartners Guido Westerwelle dürfte sich inzwischen gelegt haben. Eine »derart klare Aussage hat es von ihr bisher nicht gegeben«, meinte er. Die Schelte der USA macht sich in Europa eben immer gut, und dass Merkels Unterstützung der Kriegs­politik Bushs im Irak nicht allzu lange zurückliegt, werden dessen Berater bei der besonnenen Behandlung der Angelegenheit berücksichtigt haben. »Auch wenn militärische Gewalt nicht die normale Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sein kann, darf sie nie ausgeschlossen oder auch nur in Frage gestellt werden«, hatte sie im Februar 2003 in einem Beitrag für die Washington Post geschrieben.

Das war kurz vor Beginn des Angriffs der US-Streitkräfte und ihrer Alliierten auf den Irak, und das deutsch-amerikanische Verhältnis war damals nicht das beste. Aber nicht nur Gerhard Schröder und andere führende Sozialdemokraten suchten in den Monaten vor Kriegsbeginn die Konfrontation mit den USA. Die Meinung des damaligen Kanzlerkandidaten der Union, Edmund Stoiber (CSU), unterschied sich nur in Nuancen von der Schröders, allenfalls auf Beamtenebene im Auswärtigen Amt waren staatlich besoldete Kritiker der damaligen deutschen Außenpolitik zu finden. Ansonsten herrschte zwischen Regierung und Opposition relative Einigkeit in ihrer Ablehnung der US-Politik – nicht zuletzt, weil dem Uno-Sicherheitsrat die letzte Entscheidung über Militärinterventionen zugestanden werden sollte. Ein Umstand, den selbst Merkel in ihrem Artikel in der Washington Post vor drei Jahren betonte.

So ist es kaum verwunderlich, dass die konservative Kanzlerin wie ihr sozialdemokratischer Vorgänger vor allem eine stärkere Einbeziehung der Vereinten Nationen wünscht; der Kampf gegen den internationalen Terrorismus könne nur »durch eine internationale Akzeptanz des Rechts« gewonnen werden. Die noch beim Besuch der US-Außenministerin Condoleezza Rice in Berlin vor sechs Wochen geäußerte Kritik an den CIA-Gefangenenflügen war am Wochenende kein Thema. Die vor ihrer Reise in den deutschen Medien beleuchteten Fälle des in Guantánamo festgehaltenen »Bremer Taliban«, Murat Kurnaz, und des von Mazedonien nach Afghanistan entführten Deutsch­libanesen Khaled al-Masri mögen beim Vieraugengespräch mit Bush und den Treffen mit Beratern und Kongressabgeordneten zur Sprache gekommen sein, die von beiden Seiten demonstrierte Harmonie stören sollten diese »wenig glitzernden Seiten der Macht«, wie sie Außenminister Frank-Walter Steinmeier genannt hatte, nicht.

Stattdessen wurden Sätze gesagt, wie sie Schröder nicht besser hätte formulieren können: »Wir arbeiten daran, Iran zu zeigen, dass die Staatengemeinschaft sich nicht von ihm provozieren lässt«, betonte Merkel in Washington, kurz nachdem Steinmeier in Berlin gemeinsam mit dem Beauftragten für die Außenpolitik der Europäischen ­Union, Javier Solana, dem britischen Außenminister Jack Straw und Frankreichs Chefdiplomaten Philippe Douste-Blazy die bisherigen Vermittlungsbemühungen um das iranische Atomprogramm für gescheitert erklärt hatte. Und auch Bush zeigte seine nach der Wiederwahl 2004 entdeckte Verständigungsbereitschaft. »Ich werde die Entscheidungen des Sicherheitsrats der Ver­einten Nationen nicht vorwegnehmen«, sag­te er, so als ob ihn das noch vor dem Ko­so­vo- und dem Irak-Krieg übergangene Gremium jemals interessiert hätte.

Die Iran-Krise kommt offenbar gerade richtig, um das nach dem Abgang Bill Clintons im Jahr 2001 und Schröders antiamerikanischem Wahlkampf 2002 gestörte transatlantische Verhältnis wieder in Ordnung zu bringen. Denn letztlich ist es beiden Seiten recht, sich nicht mehr im Streit über die Irak-Politik zu verlieren, wo eine pragmatische Annäherung ohnehin bereits seit Monaten stattfindet: Bush, weil er so sein unilaterales Image korrigieren, Merkel, weil sie sich als Vorkämpferin für die Vereinten Nationen präsentieren und Deutschlands Machtbasis stärken kann.

Bereits ihre Vermittlung zwischen Frankreich und Großbritannien auf dem EU-Gipfel in Brüssel hat ihr den Ruf einer »ehrlichen Maklerin« (Economist) eingebracht und Berlins zuletzt angeschlagene Vormachtstellung in Europa wieder hergestellt. Sollte ihr es nun auch noch gelingen, Russlands Präsidenten Wladimir Putin zur Unterstützung der US-amerikanischen Sanktionsvorhaben gegen den Iran im Sicherheitsrat zu bewegen, dürften ihre Umfragewerte auch außerhalb Deutsch­lands neue Rekorde erzielen. Ein »offenes Wort unter Freunden«, wie von Niedersachsens Ministerpräsidenten Christian Wulff vor ihrer Moskau-Reise gefordert, wird Putin schon vertragen.