Syrial Killer

Syriens früherer Vizepräsident Khaddam fordert eine Bewegung zum Sturz von Präsident Assad. Eine solche aber ist weit und breit nicht in Sicht. von karl tachser, damaskus

Hoch unter dem blechernen Kuppeldach des al-Hamidiye-Marktes hat das Regime seine Parolen angebracht. »Das syrische Volk steht zu seinem Präsidenten«, heißt es auf einem von einem halben Dutzend Transparenten, die auf dem langen Durchgang zu den Säulen des antiken Jupitertempels und der im achten Jahrhundert fertig gestellten Omayyaden-Moschee hängen.

Ein seltsamer Kontrast zum orientalischen Treiben der Händler, die vor ihren eng aneinander gedrängten Läden bunte Kleider, Parfüm und Schmuck anbieten, aber für jedermann verständlich. In Arabisch, Französisch und Englisch werden auf den Transparenten die »Angriffe der USA und Israels« auf Präsident Bashar al-Assad in langen Losungen verurteilt. Unter den lauten Rufen der Geschäftsleute schlendern Hunderte von Passanten durch die Passagen.

»Die Anschuldigungen gegen Assad sind total verlogen«, sagt Ramiz, ein Verkäufer Anfang zwanzig. In zahlreichen Interviews hat der langjährige Vizepräsident Abdel Halim Khaddam dem seit fast sechs Jahren regierenden Staatsoberhaupt seit dem Jahreswechsel vorge­wor­fen, in die Ermordung des ehemaligen libane­si­schen Premierministers Rafik Hariri verwickelt gewesen zu sein. Assad und seine engsten Berater, lässt der im vergangenen Sommer zurückgetretene 73jährige aus seinem Pariser Exil wissen, hätten darüber hinaus alle Reformbemühungen im Keim erstickt. Für Ramiz ist das nichts als Heuchelei: »Über Jahrzehnte saß Khaddam im Zentrum der Macht, und jetzt stellt er sich als Reformer dar – während er in Paris Champagner trinkt und sein Geld zählt.«

Die seit dem Mord an Hariri im Februar 2005 unter erheblichem internationalem Druck stehende syrische Regierung reagierte schon am Tag nach dem ersten Interview mit einer Anzeige wegen Hochverrats gegen Khaddam. Kurz darauf berichtete die staatliche Tageszeitung Al-Thawra, dass sein Haus konfisziert und sein in Syrien vorhandener Besitz beschlagnahmt worden seien. Über eine Milliarde US-Dollar soll das Vermögen des Renegaten betragen, der seit der syrischen Intervention in den libanesischen Bürgerkrieg im Jahr 1976 für die Kontrolle des Libanon zuständig war. Restaurants, eine Mobilfunkkette, eine Öl­firma sowie zahlreiche Paläste, Luxuswagen und Jachten zählen Medienberichten zufolge zu seinem Besitz.

Dissidenten sehen anders aus. Und auch Khaddams enge persönliche wie geschäftliche Verbindungen zum Wirtschaftsimperium des ermordeten Multimilliardärs Hariri legen den Verdacht nahe, dass der Aufbau einer demokratischen Opposition weniger in seinem Interesse liegt als der Fortbestand seiner ausgezeichneten finanziellen Basis in Syrien und im Libanon. Khaddam war der einzige ranghohe Angehörige des syrischen Regimes, den Hariris Familie zum Begräbnis in Beirut zuließ.

Zudem zählte er zu den wenigen sunni­tischen Führungsfiguren im alewitischen syrischen Herrschaftsapparat des Assad-Clans. Nicht nur Verschwörungstheoretiker vermuten hinter den anhaltenden Vermittlungsbemühungen Saudi-Arabiens und Ägyptens eine regionale sunnitische Containment-Strategie, die einen – freilich noch zu findenden – sunnitischen Präsidentschaftskandidaten unterstützen könnte.

Dass sich ausgerechnet um Khaddam eine Opposition bilden sollte, die das Regime Assads ablösen könnte, ist äußerst zweifelhaft. Zwar ist Paris seit dem Mord an Hariri im Februar 2005 zum Tummel­platz libanesischer Syrien-Kritiker avanciert, und auch einige syrische Opposi­tio­nelle haben hier Unterschlupf gefunden. Doch den weitergehenden politischen Am­bitionen Khaddams anschließen müssen sie sich deswegen noch lange nicht. »Ich möchte das Land retten«, sagte er der Tageszeitung Asharq al-Awsat Anfang Januar. Er forderte die syrischen Opposi­tionsparteien dazu auf, »die richtige Atmosphäre zu schaffen, damit das syrische Volk das Regime stürzen kann«. Unter Assads Führung könne das System »nicht reformiert werden, daher gibt es keine Alternative, außer es zu stürzen«.

Wer die Kräfte sein sollen, die den Au­tokraten entmachten sollen, ließ Khaddam allerdings offen. Zwar haben sich syrische Oppositionelle in den bald sechs Jahren, die seit dem so genannten Damaszener Frühling, dem von Reformversprechen begleiteten Amtsantritt Bashar al-Assads, vergangen sind, immer wieder zu Wort gemeldet. Doch über ­einen sehr engen Kreis politisch aktiver Intellektueller hinaus haben ihre Manifeste keine Wirkung gezeigt.

Auch das Fehlen einer charismatischen Integrationsfigur lähmt die kleine Bewegung. Politischen Beobachtern in Damas­kus zufolge hätte einzig der seit 2001 inhaf­tierte ehemalige Parlamentsabgeordnete Riyad Seif das Format dazu gehabt, doch angesichts seiner Attacken auf die institutionalisierte Korruption und die Kontrolle ganzer Wirtschaftszweige durch Schlüsselfiguren des Regimes dürfte er so schnell nicht frei kommen.

Zudem ist es der syrischen Regierung seit dem Beginn der internationalen Ermittlungen im Mordfall Hariri immer wieder gelungen, Sanktionen zu vermeiden, wie sie der Uno-Sicherheitsrat noch im Oktober angedroht hat. Nach den Anschuldigungen Khaddams forderte die bislang vom Berliner Staatsanwalt Detlev Mehlis geführte Sonderkommission die Behörden in Damaskus zu Jahresbeginn erneut auf, ihr Einverständnis zu einem »Interview« mit Assad und Außenminister Farouk Sharaa zu ­geben. Sharaa ist dazu offenbar bereit, Assad hingegen nicht. Immerhin deutete der Informa­tions­minister Mahdi Dakhl-Allah Ende voriger Woche Kompromissbereitschaft an, als er erklärte: »Es gibt einen Unterschied zwischen einer Befragung und einer Audienz.« Die Spreche­rin der Uno-Kommission, Nasra Hassan, hatte Anfang des Jahres klargestellt, dass es Mehlis lediglich um eine Befragung Assads ginge, nicht um ein Verhör.

Bereits im November hatte Mehlis mehrere Stunden mit Libanons Präsident Emile Lahoud gesprochen, um Aufschlüsse über den politischen Hintergrund des Attentats zu erhalten. Auf Hin­haltemanöver wie noch im vergangenen Jahr aber, als das Einverständnis zur Vernehmung fünf hochrangiger Sicherheitskräfte erst nach Monaten erfolgte, wird sich Mehlis’ Nach­fol­ger, der diese Woche in Beirut erwartete Belgier Serge Brammertz, kaum einlassen. In den vergangenen Wochen wurde in libanesischen Presseberichten immer wieder die Vermutung geäußert, die USA hätten ihre harte Haltung gegenüber dem Regime in Damaskus aufgegeben. Als Gegenleistung dafür, dass Syrien es verhindere, dass Jihadisten über die syrisch-irakische Grenze in den Irak kommen, hätte sich die US-amerikanische Regierung mit dem anhaltenden Einfluss Assads auf die libanesische Politik abgefunden.

Die Außenministerin der USA, Condoleezza Rice, drohte Syrien unmittelbar nach der Ernennung Brammertz’ vorige Woche in einer scharf formulierten Erklärung damit, bei anhaltender Nichtkooperation den Sicherheitsrat anzurufen. Was im Falle von Sanktionen aus Assad und seiner Gefolgschaft würde, weiß in Syrien zurzeit niemand. Auch dem Händler Ramiz ist es ein Rätsel, wie stark der Rückhalt für den Präsidenten innerhalb des Regimes noch ist. Optimistisch ist er dennoch. »Für das Land kann es nur gut sein, wenn sich die Führung untereinander streitet. Das heißt, es ändert sich was.«