Warten auf den Frieden

In der indonesischen Provinz Aceh hat die Entmilitarisierung begonnen. Doch viele Einwohner bezweifeln, dass der bewaffnete Konflikt zwischen Separatisten und Regierung beendet ist. von niklas luhmann, banda aceh

Die warungs sind neben den Moscheen die wichtigsten Orte des öffentlichen Lebens in Aceh. In den kleinen Bretterverschlägen am Straßenrand wird diskutiert, gelacht und gestritten. Am 15. August gab es in all den kleinen Straßenrestaurants in Aceh, der westlichsten Provinz des indonesischen Archipels, keinen einzigen freien Platz. Die Besucher klebten für zwei Tage vor dem Fernseher, um den Nachrichten aus Finnland zu folgen, wo die indonesische Regierung mit der Gam (Bewegung Freies Aceh) einen in den Monaten zuvor ausgehandelten Friedensvertrag unterschrieb.

Die Stimmung war geprägt von der Freude über einen möglichen Frieden nach fast 30 Jahren Bürgerkrieg. Viele befüchteten jedoch, dass bereits die Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der indonesischen Unabhängigkeit am 17. August, wie in den Jahren zuvor, erneut zu Zusammenstößen zwischen dem indonesischen Militär (TNI) und den Kämpfern der Gam führen könnten. Überraschenderweise kam es in der gesamten Provinz zu keinerlei nennenswerten Zwischenfällen.

Einen Monat später begann die erste Phase der Entwaffnung der Gam-Guerilleros. Sie haben mehr als 200 Waffen an die 220 Beobachter übergeben, die von der Europäischen Union und der Vereinigung Südostasiatischer Staaten (Asean) entsandt wurden. Auch haben bereits 2 000 Polizisten und 3 800 Soldaten die Provinz verlassen. Der Friedensvertrag sieht bis Ende Dezember eine Reduzierung der Truppenstärke der TNI von 35 000 auf 14 700 und der Polizei von 15 000 auf 9 100 vor.

Darüber hinaus soll der Friedensvertrag der Provinz eine politische Teilautonomie garantieren. Einerseits verzichtet die politische Führung der Gam auf die Forderung nach vollständiger Unabhängigkeit, andererseits erhält Aceh eine autonome Verwaltung. Nur für Fragen der Verteidigung, der Außen- und Finanzpolitik ist weiterhin die Zentralregierung zuständig. Obwohl Parteien in Indonesien eine nationale politische Präsenz nachweisen müssen, garantiert der Vertrag, dass sich in Aceh regionale Parteien zur Wahl stellen können. Zukünftig sollen 70 Prozent der Gewinne aus dem Verkauf von Öl und Gas der Provinz selbst zugute kommen. Die Separatisten hatten immer wieder beklagt, dass der indonesische Staat zehn Prozent des nationalen Budgets aus den Rohstoffvorkommen in Aceh beziehe, während nur etwa ein Prozent der Gewinne in der Provinz verblieb.

Die Gam hatte die Provinz 1976 für unabhängig erklärt. In den bewaffneten Konflikten starben seither etwa 15 000 Menschen. Fünf Monate nachdem ein Friedensvertrag unterschrieben worden war, verhängte die indonesische Regierung dann im Jahr 2003 einen »Sonderstatus« über Aceh. Alle internationalen Beobachter in der Region wurden ausgewiesen, bei einer Militäroffensive wurden 3 000 Menschen getötet. Seither beklagen Menschenrechtsgruppen immer wieder, dass Militär, Polizei und paramilitärische Milizen in Aceh willkürlich Menschen folterten, verschleppten und exekutierten.

Nachdem die Tsunami-Katastrophe Ende des vergangenen Jahres allein in Aceh mindestens 130 000 Menschenleben gefordert hatte, erhöhte sich der Druck auf die indonesische Regierung, eine Lösung für die verarmte Region zu finden. So könnte Präsident Susilo Bambang Yudhoyono einen erfolgreichen Friedensprozess in Aceh als Beweis für die Demokratisierung Indonesiens anführen, das in der Asean eine wichtigere Rolle spielen will.

Die Mehrheit der Menschen in Aceh scheint nach fast 30 Jahren bewaffneter Konflikte einen Frieden herbeizusehnen. In den Dörfern im Distrikt Aceh Jaya etwa gibt es kaum eine Familie, die von den alltäglichen Brutalitäten der Militärs und der indonesischen Polizei verschont geblieben wäre. So ist es nicht verwunderlich, wenn Mulyadi*, der als Übersetzer für eine der unzähligen NGO arbeitet, feststellt: »Alle Menschen in Aceh hassen das Militär. Wir hoffen, dass es bald aus der Provinz verschwindet.« Trotz einer verhaltenen Sympathie für die Kämpfer der Gam hofft er, dass der Krieg endgültig vorbei ist.

Dennoch bleibt er pessimistisch: »Es gab schon einige Versuche, diesen Konflikt zu beenden. Zuletzt hielt der Waffenstillstand gerade fünf Monate. Beide Seiten warten nur auf den ersten Fehler, und dann beginnt wieder alles von vorn. Außerdem brauchen die Militärs diesen Konflikt für Ausbildungszwecke. Die meisten hohen Militärs in Indonesien haben einen wichtigen Teil ihrer Karriere in Aceh absolviert, und der Konflikt in Aceh ist eine wichtige Einkommensquelle für das TNI.« Nur 30 Prozent seines Budgets werden von der Regierung bezahlt. Den Rest erwirtschaftet das Militär durch sein Firmenimperium, aber auch durch illegale Geschäfte wie Drogenhandel, Waffenschmuggel und Prostitution.

Auf der anderen Seite agieren unter dem Logo der Gam verschiedene kriminelle Gruppen. Im Gegensatz zu den politischen Führern haben sie kein Interesse an einem Frieden, der ihre lokale Macht gefährden würde. So kam es auch nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages noch zu kleinen Zwischenfällen, die Zahl der Zusammenstöße zwischen Militärs und Guerilleros ist jedoch merklich zurückgegangen.

Spürbar sind die Veränderungen seit dem 15. August vor allem in den Dörfern im Hinterland und in den Bergen. Die Kämpfer der Gam, die sich zum Teil jahrelang im Dschungel versteckt hielten, können sich wieder frei bewegen und die vielen Kontrollposten des TNI ungestört passieren. Und in den vergangenen Wochen sind die meisten der 1 400 Gefangenen, die bis Ende August amnestiert wurden, heimgekehrt.

Sofyan* wurde nach einer Denunziation verhaftet und zwei Monate lang in einer Polizeistation gefoltert. Die Polizei erzwang ein Geständnis, ein Gericht verurteilte ihn zu dreieinhalb Jahren Gefängnis. Nach 14 Monaten Haft auf Java kam er frei. »Die Menschen in den Dörfern sind sehr froh, dass die meisten Gefangenen freigelassen wurden, und deswegen feiern wir heute zusammen meine Rückkehr«, sagt er nach einer kleinen Zeremonie in seinem Dorf. Doch er zweifelt am Erfolg des Friedensprozesses: »Niemand kann der indonesischen Regierung vertrauen. Die hat sich noch nie an ihre Versprechen gehalten.«

Er hofft, dass »die Bevölkerung in Aceh nicht weiter in Armut leben muss, sondern allen ein Teil des Reichtums der Provinz zugute kommt. Ich glaube, dass dies in einem unabhängigen Aceh möglich wäre.« Doch selbst wenn der Friedensvertrag hält, ist es wahrscheinlicher, dass die politische und ökonomische Macht allenfalls von einer anderen, nicht weniger korrupten und autoritären Führungsschicht übernommen wird.

* Namen von der Redaktion geändert