Die Ästheten des inneren Widerstands

Ein Aufsatzband untersucht die Biografien von »Hitlers Künstlern«. von jörg sundermeier

Zu den Publikumslieblingen der Deutschen gehört Johannes Heesters. Jeder öffentliche Auftritt des 1903 in Amsterdam geborenen Schauspielers wird mit Standing Ovations bedacht. Je älter er wird, desto gerührter reagiert das Publikum. Seine Vergangenheit als Ufa-Star in Berlin hat der Karriere des Künstlers dabei zu keiner Zeit geschadet, im Gegenteil. An seine damaligen Filme an der Seite von Marika Rökk oder Brigitte Horney denken viele Deutsche ganz besonders gern zurück.

Der Historiker Wolfgang Benz stellt dazu fest: »Das Publikum blieb Hitlers Künstlern treu, wollte nach 1945 meist nichts davon wissen, dass sie im politischen Raum agiert hatten. Johannes Heesters feierte 2003 seinen 100. Geburtstag. Bei der ARD-Gala war natürlich keine Rede davon, dass er auch einmal das KZ Dachau besucht und dort für die SS gesungen hatte. Und die Berliner Akademie der Künste feierte ihn ein halbes Jahr später noch einmal, ebenso begeistert wie diskret: Die wenigen, die bei allem Jubel vom greisen Sänger nur ein Wort des Bedauerns hören wollten, blieben in der Minderheit.«

Das Zitat findet sich in dem Buch »Hitlers Künstler«. Es basiert auf einer Sendereihe des Hessischen Rundfunks. In nahezu allen Beiträgen werden »Hitlers Künstler« differenziert porträtiert. Richard Strauss etwa, der große Komponist, der von Goebbels zum Präsidenten der Fachkammer Musik in der Reichskulturkammer gemacht wurde, behauptete später, er sei von dem Ruf überrascht worden.

Jan-Pieter Barbian kann dagegen nachweisen, dass Strauss sich um den Posten gerissen hat. So habe sich Strauss auch verdient gemacht, seinetwegen kam es zu einer »Neuorganisation des Systems zur Verwertung von Aufführungsrechten an urheberrechtlich geschützten Kompositionen«, gelang es ihm , die »urheberrechtliche Schutzfrist für musikalische Werke von bis dahin 30 auf 50 Jahre nach dem Tod des Komponisten auszudehnen, was ebenfalls eine uralte Forderung der Komponistengilde war und bis heute geltendes Recht ist«. Strauss verschaffte seiner »Gilde« einen Vorteil und damit sich selbst.

Gleichzeitig war er nicht bereit, sich von seinem jüdischen Librettisten Stefan Zweig, der emigriert war, zu trennen, überhaupt zeigte sich Strauss – in privaten Briefen an Zweig, die die Gestapo abfing – als ein Gegner des Antisemitismus. Daher wurde er als Kammerpräsident abgelöst, gleichwohl konnte seine Oper »Die schweigsame Frau«, deren Libretto von Zweig stammte, im Juni 1935 uraufgeführt werden. Einen Monat darauf dann trat Strauss zurück, offiziell aus »gesundheitlichen Gründen«. Er behauptete in einem Brief an Zweig, er »mime« lediglich den Kammerpräsidenten, um »größeres Unglück zu verhüten«.

Dass er, ein Komponist von Weltruf, der Propaganda diente und dies auch nach seinem Rücktritt noch tat – warum macht ihn das »auch« zu einem Opfer der nationalsozialistischen Kulturpolitik? Zweig nahm sich im Exil das Leben, Strauss lebte bis 1949 in Garmisch, blieb nicht nur weitgehend unbehelligt, sondern konnte auch zugleich erfolgreich weiterarbeiten.

Einzig Volker Kühn, der sich in seinem Beitrag mit Unterhaltung und Kabarett beschäftigt, kann für all die Opportunisten keine guten Worte finden. Er hält es mit Erich Kästner, einem der wenigen, bei denen das Wort von der »inneren Emigration« wirklich Sinn macht. Kästner meinte: »Das interessanteste und traurigste Buch, das über das Dritte Reich geschrieben werden muss, wird sich mit der Verderbung des deutschen Charakters zu beschäftigen haben. Niemals in unserer Geschichte hat ein solcher Generalangriff auf die menschlichen Tugenden stattgefunden. Nie zuvor sind Eigenschaften wie Zivilcourage, Ehrlichkeit, Gesinnungstreue, Mitleid und Frömmigkeit so grausam und teuflisch bestraft, nie vorher sind Laster wie Rohheit, Unterwürfigkeit, Käuflichkeit, Verrat und Dummheit so maßlos und so öffentlich belohnt worden.«

Sieht man einmal von dem für Kästner typischen Pathos ab, so findet man hier eine interessante Aussage. Mit der Formulierung »deutscher Charakter« nämlich redet Kästner über etwas, das die meisten Beiträge dieses Buches zu meiden suchen.

Die Autoren des Buches neigen nicht dazu, das »Dritte Reich« zu verklären; doch im Versuch, sich möglichst differenziert mit den Biografien der Täter, Mitläufer und Opportunisten zu beschäftigt, stellt man die Widersprüche in der Biografie demonstrativ heraus und schafft damit Identifikationsmöglichkeiten.

Hans Moser etwa, der in seinen Filmen allen autoritären Gastwirten, Postbeamten oder Vätern immer auch ein rührendes Element verlieh, hatte eine jüdische Gattin, für die – so erfahren wir – er sich immer wieder einsetzte. Und weiter: Brigitte Horney bewies auf der Beerdigung eines von den Nazis in den Tod getriebenen Schauspielers Schamgefühl; Leni Riefenstahl hat sich nichts bei alledem gedacht; Gerhardt Hauptmann war vieles an den ihn verehrenden Nazis zuwider. Gottfried Benn ging auf Distanz und erhielt Schreibverbot.

Doch die Frage, die in diesem Zusammenhang immer wieder gestellt wird – Was hättest du getan? – ist die falsche. Und auch die Frage, ob die Täterinnen und Täter zugleich auch Opfer waren, kann nichts zu einem Urteil über den Nationalsozialismus beitragen.

Dennoch steht Wolfgang Benz mit seiner Frage nach dem Mitgefühl der Künstler für die Opfer nicht allein. Wem würde aber ein solches Bekunden von Bedauern noch nützen? Fest steht, dass der steinalte ehemalige SS-Bänkelsänger Heesters noch heute von jener Popularität profitiert, die er vor allem dadurch erlangen konnte, dass ein Großteil seiner Konkurrenten ausgeschaltet wurde. Schließlich sind all jene Künstlerinnen und Künstler, die vertrieben worden sind, bis heute nicht wieder zu einem größeren Publikum gekommen; die Arbeiten der Expressionistinnen und Expressionisten gelten bis heute als seltsam, der deutsche Schlager konnte und wollte nie mehr an die Tradition der zwanziger Jahre anknüpfen, die hiesige Architektur findet Albert Speer senior bis heute interessant. Der Nachlass von Marika Rökk aber wird gerade im Filmmuseum Berlin präsentiert, vor diesem Museum ist ein Denkmal für Heinz Rühmann aufgestellt. Beispiele gibt es viele. Eine differenzierte Sicht auf die Täter lenkt weiterhin von ihren Taten ab.

Ein spät bereuender Heesters würde vollends zu einem Kronzeugen für das deutsche Jahrhundert werden. Damit jedoch wäre niemandem gedient außer ihm selbst.

Hans Sarkowicz (Hg.): Hitlers Künstler. Insel Verlag, Frankfurt/Main 2005, 450 Seiten, 24,50 Euro