Mein Müll gehört mir

Die neue Kölner Straßenordnung enthält hanebüchene Vorschriften. Plötzlich will niemand für sie verantwortlich sein. von jörg kronauer

Wieder schlägt Kalle zu. Vorsichtig pirscht er sich heran. Die Hand des Übeltäters greift in den Mülleimer am Heumarkt. Mitten in Köln, mitten am Tag, hemmungslos. Eine zerknüllte Zigarettenschachtel? Damit gibt er sich nicht zufrieden. Eine verbeulte Blechdose? Auch die verschmäht er achselzuckend. Doch jetzt! Kalle grinst höhnisch, als er, langsam und siegessicher, eine unversehrte Pfandflasche aus dem Müll zieht.

Alles hat seinen Paragraphen in Köln, der toleranten Weltstadt am Rhein. Kalle, der sich inzwischen an den nächsten Abfallkorb heranmacht, muss nicht länger als unklassifizierbarer Müllstrolch unter »Sonstige« rubriziert werden. Für ihn gilt Paragraph 7, Absatz 2. Die neue Kölner Straßenordnung, die am 1. April in Kraft getreten ist, besagt klar und deutlich: »Abfallbehälter aller Art dürfen nicht durchsucht, Gegenstände daraus nicht entnommen werden.« Und damit Kalle das auch nicht vergisst, heißt es im dazu gehörenden Verwarnungs- und Bußgeldkatalog: »(Abfall-)Behälter durchsucht – 5 Euro, Gegenstände entnommen – 10 Euro.«

Am 15. März hat der Rat der Stadt Köln die neue Fassung der kommunalen Straßenordnung verabschiedet und den Bußgeldkatalog genehmigt. Das sei auch dringend nötig gewesen, erfuhr man aus den Blättern des Kölner Zeitungsmonopolisten Neven DuMont. Denn der bisherige Wortlaut wies schlimme Lücken auf. »Bislang war nämlich nicht ausdrücklich das Waschen von Autos verboten, sondern nur das Abspritzen des Wagens mit einem Wasserschlauch«, erklärte die Kölnische Rundschau. Heimtückische Autowäscher nutzten das schamlos aus. Paragraph 6, Absatz 1 der neuen Straßenordnung erklärt nun unmissverständlich jede Form der Kraftfahrzeugwäsche zur Ordnungswidrigkeit, »mit Ausnahme von Notfällen« freilich.

Auch in Köln macht sich der Abriss der staatlichen Sozialsysteme bemerkbar; immer mehr Menschen nehmen den erniedrigenden Griff in den Müll in Kauf, um den Hunger zu stillen oder sich, etwa mit dem Sammeln von Pfandflaschen, einen kleinen Zuverdienst zu verschaffen. Nunmehr bekommen sie dafür auch noch Ärger. Erst kürzlich zeigte eine Supermarktkette eine Frau wegen Diebstahls an, die sich aus ihren Müllcontainern Nahrungsmittel genommen hatte, deren Haltbarkeitsdatum überschritten war. Die Kölner Straßenordnung und der neue Bußgeldkatalog verschärfen die Schikanen noch weiter, indem sie selbst den öffentlichen Müll dem Zugriff der Besitzlosen entziehen.

Was selbst zu finstersten frühkapitalistischen Zeiten den Armen nicht verwehrt wurde, darf ihnen nun der Ordnungsstaat nehmen? Don Franco von der Kölner Band »Magic Street Voices« wollte sich damit nicht abfinden und initiierte die »Aktion Hammelschreck«. Zusammen mit anderen sammelte er Unterschriften und übergab sie dem Beschwerdeausschuss der Stadt. Seitdem ist Unruhe im Rat und in den Behörden aufgekommen; niemand will mehr für den Paragraphen 7 Absatz 2 verantwortlich sein.

Die behördliche Verteidigungsstrategie gibt offenbar das Ordnungsamt vor, das auch die Vorlage für die neue Kölner Straßenordnung erstellt hat. »Wir sind der Angelegenheit nachgegangen«, erklärt ein Sprecher der Behörde auf Anfrage: »Der Paragraph ist eigentlich gar nicht neu.« Seit dem Jahr 1985 soll er wortgleich in jeder Fassung der Straßenordnung zu finden gewesen sein. Macht das die Sache besser? »Aus unserer Sicht wäre es nicht das größte Problem, den Paragraphen zu streichen«, beschwichtigt der Ordnungsbeamte.

Auch die SPD, die im Rat der Stadt Köln gemeinsam mit der CDU die Mehrheit stellt, gibt sich versöhnlich. »Der Paragraph ist offensichtlich seit zwanzig Jahren noch nie angewandt worden«, beteuert der Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Michael Zimmermann, unter Berufung auf das Ordnungsamt gegenüber der Jungle World. Dennoch zeigt er sich bereit, die Streichung in Betracht zu ziehen. »Ein intensiver Prüfauftrag ist eingeleitet worden«, bestätigt der Sozialdemokrat. Noch im Juni soll der zuständige Ratsausschuss über die Zukunft des Paragraphen 7 Absatz 2 entscheiden.

Für Don Franco ist klar: Nur die ersatzlose Streichung der Bestimmung zum Müllklau kommt in Frage. Die eingeleitete Revision des Paragraphen stimmt ihn hoffnungsvoll. Selbst der Kölner CDU-Sicherheitsexperte Winrich Granitzka befürwortet inzwischen die Streichung. Die grüne Ratsfraktion, die bereits im März gegen die neue Straßenordnung stimmte, gibt sich siegesgewiss. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Zimmermann ist darüber etwas verstimmt. Schließlich hätten die Grünen im zuständigen Ratsausschuss zur Verschärfung der Straßenordnung beigetragen, berichtet er. So finde sich in Paragraph 5 Absatz 1 eine Bestimmung, »die auf Wunsch der Grünen reingekommen ist«. Dabei handelt es sich um die »Verunreinigung und Verunstaltung des Straßenbildes« durch Spucke. »Ich persönlich halte diese Vorschrift für entbehrlich«, sagt Zimmermann.

Das Spucken kann in Köln seit dem 1. April teuer zu stehen kommen – je nach Größe der ausgespuckten Materie. 15 bis 35 Euro sieht der neue Bußgeldkatalog bei »geringem Umfang« vor, bei »größerem Umfang« wächst die Strafe gar auf 50 bis 500 Euro. »Lärmen« in öffentlichen Anlagen kostet jetzt 20 bis 35 Euro, »Störungen in Verbindung mit Alkoholkonsum« belaufen sich auf 25 bis 100 Euro. Teuer ist es auch, wenn man durch »Wildplakatierung« das »Straßenbild verunstaltet« (bis 500 Euro). Differenziert wird beim »Wegwerfen, Fallenlassen, Liegenlassen, Vergraben, Wegschütten von Gegenständen des Hausmülls«. Eine Zigarettenkippe auf den Boden zu werfen, ist mit 15 Euro noch vergleichsweise billig, bei einer Zigarettenschachtel sind es mit 20 Euro schon etwas mehr, und Plastiktüten zu vergraben, geht mit 25 Euro ab sofort richtig ins Geld.

Nicht nur Paragraph 7 Absatz 2, sondern die gesamte Kölner Straßenordnung trage repressive Züge, kritisiert Jörg Detjen, der für die PDS im Stadtrat sitzt. Vor rund fünf Jahren nahm der Rat der Stadt »aggressives Betteln« unter die Ordnungswidrigkeiten auf. Schlechte Zeiten für Kalle, der soeben den Heumarkt verlässt und sich den Abfallbehältern am Rheinufer zuwendet. 25 bis 100 Euro muss er blechen, wenn ein städtischer Ordnungshüter sein »hasse mal ’n Euro« als »aggressiv« empfindet. Auch Kalles Nachtruhe, ohnehin von den Ungewissheiten des Wetters beeinträchtigt, könnte weiter leiden. Denn die Benutzung öffentlichen Raums als »Lager- oder Schlafplatz«, das schreibt der Rat der toleranten Weltstadt Köln in Paragraph 12 f seiner Straßenordnung, sei ganz eindeutig »störendes Verhalten in der Öffentlichkeit«.