Rechte, links des Rheins

Viele vermuten deutsche Neonazis hinter der Anschlagsserie im Elsass. Genügend Verdächtige finden sich jedoch auch in der Region selbst. von david siebert

Sieben Friedhofsschändungen, fünf versuchte Brandanschläge sowie weitere Sachbeschädigungen, bei denen Hakenkreuze, SS-Runen und rassistische Parolen hinterlassen wurden: Seit einem Jahr erschüttert eine Reihe von Anschlägen auf jüdische und muslimische Gedenkstätten, religiöse Einrichtungen und Geschäfte das Elsass. Zuletzt wurde Anfang Januar das Haus eines muslimischen Geistlichen in Strasbourg mit rassistischen Parolen beschmiert, vor der Haustür wurde Feuer gelegt.

Trotz der langen Reihe von Taten und einer vom Regionalparlament ausgesetzten Belohnung von 15 000 Euro sind die Ermittlungen bislang weitgehend ergebnislos geblieben. Im Dezember wurde einer der mutmaßlichen Urheber der Schändung des jüdischen Friedhofs in Herrlisheim bei Colmar festgenommen, die am 30. April 2004 mit insgesamt 123 verunstalteten Grabsteinen den spektakulären Auftakt der Anschlagsserie darstellte. Der aus Mulhouse stammende Verdächtige war Mitglied des berüchtigten Departement Protection Securité, des Sicherheitsdienstes des Front National (FN).

Bereits im Juli vorigen Jahres wurde ein 22jähriger festgenommen, der ein Mahnmal für jüdische Soldaten des Ersten Weltkriegs in Douaumont bei Verdun beschmiert hatte. Er wohnte in einem von Rechtsextremen besetzten Haus in Bar-le-Duc und war nach Angaben des Informationsdienstes gegen Rechtsextremismus Sympathisant des Front National de la Jeunesse (FNJ), der Jugendorganisation des Front National.

Die Spuren weisen auf den Rechtsextremismus im Elsass und das Umfeld der beiden etablierten Parteien Front National und Alsace d’Abord (Das Elsass zuerst) hin, ein Umstand, den man in der Region jedoch erst allmählich wahrnimmt.

Die Polizei ermittelt »in alle Richtungen«. Immer wieder wird angenommen, dass die Täter von der anderen Seite der Grenze kommen könnten. Warum die zum Teil in Deutsch verfassten Parolen auf den Grabsteinen so viele Rechtschreibfehler aufwiesen, ließ sich jedoch nicht erklären. Auch die Vermutung, dass die Täter aus dem islamistischen Umfeld stammen könnten, ist eher fragwürdig. Der arabische Antisemitismus trägt andere Züge. Außerdem gehörten auch muslimische Friedhöfe und Einrichtungen zu den Zielen der Attentäter.

Kritische Stimmen vermuteten von Anfang an organisierte Rechtsextreme hinter den Aktionen: »Das waren keine Akte von isolierten Einzeltätern, keine ›Lausbubenstreiche‹ von Jugendlichen. Dahinter steht eine Ideologie. Solche Aktionen erfordern ein gewisses Maß an Organisation und planmäßigem Vorgehen. Die Schändung des Friedhofs von Herrlisheim wurde sicherlich nicht nur von einer Person durchgeführt«, sagte die Colmarer Politikwissenschaftlerin Magali Boumaza. »18,5 Prozent für den FN und weitere 9,5 Prozent für Alsace d’Abord bei den Regionalwahlen 2004 – das ist ein trauriges französisches Rekordergebnis!«

Beispiele für die Umtriebigkeit der rechtsextremen Szene im Elsass gibt es viele: Patrick Binder, der Vorsitzende des FN im elsässischen Regionalparlament, lädt zu internen Treffen auch mal ehemalige Mitglieder der Waffen-SS ein. Pierre Vial, Geschichtsprofessor aus Lyon und Mitglied des FN-Zentralkomitees, der als Leugner des Holocaust bekannt ist, gründete die Organisation »Terre et peuple« (»Boden und Volk«), eine Gruppe, die für Mitglieder aus den Jugendorganisationen des FN ideologische Schulungen und Wehrübungen in den Vogesen durchführt, um sie auf einen »ethnischen Krieg« vorzubereiten.

Der Vorsitzende von Alsace d’Abord, der rechtsextremen »zweiten Front« im Elsass, ist Robert Spieler. Er gibt sich gerne als respektabler Unternehmer und stellt seine Organisation als Partei ordentlicher Bürger dar. Gleichzeitig aber ist bekannt, dass sein Sicherheitsdienst Neonazis rekrutiert und die Partei beste Kontakte zu rechtsradikalen Parteien wie dem belgischen Vlaams-Block und der italienischen Lega Nord unterhält.

In Mulhouse beteiligte sich Alsace d’Abord an einer Kampagne gegen die Rap-Gruppe »Sniper«, die von der rechtsextremen Jeunesse Identitaire initiiert wurde. Die Jugendorganisation des Bloc Identitaire organisiert lokale Bündnisse, um Auftritte der Band zu verhindern. Deren Texte werden als »antifranzösisch« und als Aufruf zur Gewalt gegen Polizisten denunziert. Außerdem wird auf die Konzertveranstalter Druck ausgeübt. In Mulhouse hatte die Allianz aus besorgten Bürgern, Polizisten und rechtsextremen Aktivisten Erfolg: Der Auftritt wurde abgesagt.

Auch der rassistische Lokalpatriotismus von Alsace d’Abord hat Erfolg. Die Partei organisiert Petitionen gegen den Bau einer Moschee in Strasbourg und wirbt mit Plakaten, auf denen eine geknebelte bzw. verschleierte Frau in Elsässer Tracht zu sehen ist. Die regionale Abspaltung des FN, gegründet von ehemaligen Parteikadern aus der neuen Rechten, will sich vom klassischen Nationalismus und der Pariser Politik abgrenzen, indem sie die Karte des Regionalismus ausspielt. Man konstruiert eine regionale Identität auf der Basis eines christlichen europäischen Kulturbegriffs und propagiert ein »Europa der Regionen«, das man gegen alle imaginären Feinde – vor allem Muslime – verteidigen will.

Darüber hinaus gibt es noch die Szene der so genannten Stiefelfaschisten, zu denen auch die Waffen-SS-Nostalgiker der »Truppenkameradschaft« gehören. Oder die Neonazi-Gruppe »Elsasskorps«, die ca. 50 Mitglieder zählt und, wie Le Monde berichtete, mittlerweile im Zusammenhang mit der Anschlagserie ins Visier der Ermittler geraten ist.

Warum sind gerade hier die Rechtsextremen im Aufwind, obwohl doch das Elsass mehr unter dem Nationalsozialismus gelitten hat als andere Regionen Frankreichs? In der wirtschaftsstarken Grenzregion im Herzen Europas gibt es mehr Wohlstand und weniger Migranten und Arbeitslose als im restlichen Frankreich. Magali Boumaza erklärt: »Anders als in Deutschland fand hier keine Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus statt. Die Geschichte der Kollaboration einiger Elsässer mit den deutschen Besatzern wurde nie richtig aufgearbeitet.«