Jeder hat seinen Preis

Für die Freilassung der im Irak entführten italienischen Journalistin Giuliana Sgrena läuft eine große Kampagne. Das linke Freund-Feind-Schema wird dabei nicht in Frage gestellt. von federica matteoni

Panzer auf den Straßen Bagdads, die Bilder einer zerstörten Stadt sind zu sehen, Bilder des Krieges. Im Hintergrund tippen Finger schnell auf einer Tastatur, und aus dem Off ist eine weibliche Stimme zu hören: »Mein Name ist Giuliana Sgrena, ich arbeite für eine Zeitung, die immer gegen das Embargo und gegen den Krieg war.« Es folgen Bilder von Frauen, die ihre verletzten und kranken Kinder in den Armen halten. Eine zweite Stimme beschreibt die Arbeit der Journalistin, die den »Irak-Krieg immer aus der Perspektive seiner eigentlichen Opfer erzählt hat, insbesondere der Frauen und der Kinder«. Zum Schluss wird eine Schriftzug eingeblendet: »Befreit den Frieden!«

Mit diesem Video, das Anfang vergangener Woche von den arabischen Fernsehsendern al-Jazeera und al-Arabiya ausgestrahlt wurde, appellierte die Redaktion der linken italienischen Tageszeitung il manifesto an die Entführer, ihre am 4. Februar in Bagdad entführte Irak-Korrespondentin freizulassen. »Die gesamte arabische Welt soll wissen, dass unsere entführte Kollegin eine Freundin der irakischen Bevölkerung ist«, erklärte die manifesto-Redaktion, die davon überzeugt ist, dass Sgrenas Arbeit für ihre Freilassung spricht.

Unabhängig davon, ob der Inhalt ihrer Berichte aus dem Irak für die Freilassung der Reporterin tatsächlich eine Rolle spielen wird, scheint die Botschaft angekommen zu sein. Die arabischsprachige Presse berichtet ausgiebig über die Entführung. Zeitungen wie die libanesische Assafir und die in London erscheinende Asharq al-Awsat betonen, dass Sgrena und ihre Zeitung sich immer gegen den Krieg ausgesprochen haben. Im Irak erklärte ein Sprecher des Rates der Ulema, einer Vereinigung von Geistlichen: »Diese italienische Journalistin verdient einen Preis und keine Geiselnahme.« Auch die Gruppe Ansar al-Islam des jordanischen Islamisten Abu Musab al-Zarqawi distanzierte sich ausdrücklich von der Entführung.

In Deutschland wirbt vor allem die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit für die Freilassung der italienischen Reporterin, deren »Irak-Tagebuch« hier seit Anfang des Krieges veröffentlicht wurde. Die Zeit setzt auf die Strategie, insbesondere die hiesige muslimische Community dafür zu gewinnen, sich der Forderung nach Sgrenas Freilassung anzuschließen. Deshalb veröffentlichte sie einen gemeinsamen Aufruf der drei größten muslimischen Organisationen in Deutschland auf Türkisch und Arabisch.

In Italien herrscht inzwischen ein Klima der »nationalen Einheit«. Von Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi über Außenminister Gianfranco Fini und Vertreter der Mitte-Links-Parteien bis zu den Centri Sociali – alle bezeichnen Giuliana Sgrena als »eine von uns«. Die Friedensbewegung hat wieder einen Grund, sich zu Wort zu melden und die Regenbogenfahne zu schwenken. Sie plant am kommenden Samstag eine große Demonstration in Rom. Täglich wird in Solidaritätsveranstaltungen auf die Arbeit von Sgrena »an der Seite der irakischen Bevölkerung« hingewiesen. Was die Reporterin von diesem Bild halten würde, ist fraglich. Denn sie ist eine erfahrene Journalistin, die in einer sich »kommunistisch« nennenden Zeitung den Krieg zwar immer verurteilt und die Besatzung kritisiert hat, zugleich aber einen differenzierten Blick auf die komplexe irakische Realität warf und vereinfachende Freund-Feind-Muster zur Erklärung der vielen Seiten dieses Krieges stets abgelehnt hat.

In ihrem Irak-Tagebuch für Die Zeit schrieb sie: »Plötzlich sind wir alle Fremde geworden. Wir alle wurden zu Amerikanern. Ob Mann oder Frau, ob Freiwilliger oder contractor, ob Engländer oder Italiener oder auch Iraker, der mit Ausländern zusammenarbeitet. Jeder ist ein Ziel für Selbstmordattentäter, für Entführer und für Henker. Jeder hat seinen Preis: eine Million Dollar oder der Rückzug der ausländischen Truppen oder beides gleichzeitig. Wir haben gelernt, dieser Lage mit Fatalismus zu begegnen.«

Ob man zum Opfer einer Entführung wird, hängt nicht davon ab, ob man zu »den Guten« gehört, davon war Sgrena bereits nach dem offiziellen Ende des Krieges überzeugt. An Ort und Stelle konnte sie beobachten, wie sich eine blühende Entführungsindustrie entwickelte, für die Geiseln manchmal einen rein finanziellen, manchmal auch einen politischen Wert besitzen. Und dann steigt der Preis, wie im Fall westlicher Journalisten, ganz egal woher sie kommen oder welche Positionen sie vertreten.

Im vergangenen Jahr wurden zwölf Journalisten im Irak entführt, elf von ihnen sind inzwischen wieder frei. Der italienische Reporter Enzo Baldoni wurde nach sieben Tagen Geiselhaft vor laufender Kamera erschossen. Sein Name wurde den meisten erst nach seinem Tod bekannt. Mittlerweile ist die Redaktion der Wochenzeitung Diario sicher, dass er noch am Leben wäre, wenn es für ihn eine Kampagne gegeben und man den Entführern klar gemacht hätte, dass auch er ein linker Journalist war, der sich immer gegen den Krieg ausgesprochen hat.

Wegen des Falls Baldoni verpasste die italienische Friedensbewegung die Chance, sich ernsthaft mit der Frage des Terrors auseinanderzusetzen. Das bipolare Weltbild, demzufolge es im Irak eine eindeutige Trennlinie zwischen Freund und Feind gibt, wurde nicht hinterfragt. Zum ersten Mal richtete sich eine Aktion des »irakischen Widerstands« gegen jemanden, der auf der »richtigen Seite« stand oder zumindest nicht ganz auf der falschen. Die weit verbreitete Solidarität mit dem »irakischen Widerstand« wurde durch diesen Terrorakt jedoch nicht in Frage gestellt. Als im vergangenen Herbst zwei italienische Mitarbeiterinnen einer NGO verschleppt wurden (Jungle World, 39/04), startete die Friedensbewegung eine große, emotionale Kampagne. An den politischen Beweggründen der Entführer zweifelte man nicht und forderte gleichermaßen die Freilassung der Geiseln und ein Ende der Besatzung.

Die »unerklärliche« Entführung wurde mit dem Argument der durch den Krieg in Gang gesetzten »Gewaltspirale« erklärt, mit einer Position also, die auch zur Rechtfertigung anderer Terrorakte dient. Die beiden Frauen kamen damals erst nach Zahlung von Lösegeld frei. Ihre Freilassung hatte also nichts mit politischen Forderungen zu tun, wie es wahrscheinlich auch bei Giuliana Sgrena der Fall sein wird.

Innerhalb der Friedens- und Antiglobalisierungsbewegung verweigert man sich einer grundsätzlichen Debatte über die Solidarität mit dem »irakischen Widerstand« und versucht, das klassische Freund-Feind-Muster aufrechtzuerhalten. »Unsere eigentlichen Feinde sind die Amerikaner«, zitierte il manifesto in einer Schlagzeile den Sprecher des Rats der Ulema in Bagdad.