Der Kurs ist vorgegeben

In Portugal wird am Sonntag das Parlament neu gewählt. Die Linke gibt sich siegessicher. von christiane hellermann

Das Jahr 2004 war ein großes Jahr für Portugal. Der 30. Jahrestag der so genannten Nelkenrevolution wurde gefeiert und die Fußball-EM zelebriert, zugleich war es aber auch ein Jahr des politischen Chaos. Im Juli hatte sich Premierminister José Manuel Durão Barroso von der konservativen Partido Social Democrata (PSD), der offiziellen Schwesterpartei der deutschen CDU, nach knapp der Hälfte seiner Amtszeit von seinem Posten verabschiedet und war nach Brüssel gegangen. Nun ist er Präsident der Europäischen Kommission, die seitdem in den portugiesischen Medien meist als »Barrosos Kommission« bezeichnet wird.

Nach seinem Abschied mehrten sich kleinere und größere »nationale Katastrophen«, die sowohl Folgen der schlechten Regierungspolitik als auch der plötzlichen politischen Umbrüche sind. In der Öffentlichkeit wird kritisiert, dass die Wirtschaft stagniere und das veraltete Justizsystem sich in einer Krise befinde. Die Einführung des neuen, mit großem Brimborium angekündigten Mietgesetzes scheiterte an heftiger Kritik sowohl der Mieter- als auch der Vermieterverbände, das Gesetz muss in der kommenden Legislaturperiode revidiert werden. Das neue Schuljahr begann mehr als einen Monat zu spät, weil das Bildungsministerium nicht fähig war, 50 000 Lehrer den Schulen rechtzeitig zuzuweisen.

Im Dezember hielt Staatspräsident Jorge Sampaio es für nötig, das Parlament aufzulösen und vorgezogene Neuwahlen für kommenden Sonntag anzusetzen. Die Bevölkerung hat das Vertrauen in die Regierung weitgehend verloren. Die Schuld daran wird vor allem bei Pedro Santana Lopes gesucht, dem Nachfolger von Barroso.

Sampaio entschied nach Barrosos Rücktritt, keine Neuwahlen abzuhalten und Santana Lopes, den ehemaligen Bürgermeister von Lissabon, als Premierminister einzusetzen. Von Anfang an gab es viel Polemik um die Nominierung des konservativen Populisten. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit beeindruckte er mit der Strategie, gute Bekannte in hohe politische Positionen zu hieven. Schnell verstärkte sich der Eindruck, dass bei ihm anstatt Kompetenz Klientelpolitik auf der Tagesordnung steht. Die Oppositionspartei Partido Socialista (PS), die der deutschen SPD nahe steht, hält Santana Lopes den Aufgaben und Verantwortlichkeiten eines Premierministers für schlicht nicht gewachsen.

Im Dezember entschied sich der PS für seinen neuen Kandidaten für das Amt des Premierministers. Die Wahl fiel auf José Sócrates, der wenige Monate zuvor zum Generalsekretär der Partei gewählt worden war. Er wird in der Öffentlichkeit als dynamische und charismatische Persönlichkeit wahrgenommen. In den vergangenen Jahren konnte er durch seine häufige Präsenz in politischen Fernsehdiskussionen seine rhetorischen Fähigkeiten zur Schau stellen. Unter seinen Opponenten in den Fernsehrunden befand sich oft auch Santana Lopes, der sich gerne aufbrausend zu emotionalisiertem, aber kaum stichhaltigem Argumentieren versteigt. Dass es zwischen den beiden irgendwann einmal zu einem realen politischen Kampf um den höchsten Staatsposten kommen würde, war nicht abzusehen.

In einer Fernsehsendung mit dem Titel »Wer will Premierminister werden?« führten die beiden Kontrahenten Anfang Februar ein Wahlkampfgespräch nach US-Modell. Das Publikum konnte noch einmal Sócrates’ rhetorische Fähigkeiten bewundern. Dennoch ging die Diskussion unentschieden aus. Inhaltlich gab es während des Gesprächs keine Überraschungen. Franciso Louçã, der Parteivorsitzende des Linksblocks Bloco de Esquerda, kritisierte nach der Show zu Recht, dass in der Debatte zwischen Santana Lopes und Sócrates das wirtschaftliche Defizit des Landes ausgespart blieb. Louçã nutzte das für seinen eigenen Wahlkampf und betonte, dass es »wie immer« der Linksblock sei, der sich prinzipiell wichtiger Fragen annehme.

Für den PS und die Konservativen geht es vor allem um die noch unentschlossenen Wähler, wobei der PS vor allem Protestwähler für sich gewinnen möchte. Der Wahlkampf ist von gegenseitigen Vorwürfen und Beschuldigungen zwischen den beiden großen Parteien gekennzeichnet und wird generell eher populistisch-emotional als argumentativ geführt. Er weckt relativ wenig Interesse bei den Wählern. Das liegt vor allem daran, dass sich die zentralen Aussagen und politischen Forderungen ähneln. Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und des Haushaltsdefizits halten sowohl die sozialdemokratischen Sozialisten als auch die Konservativen neoliberale Konzepte bereit. Die Sozialisten versuchen zudem, die Themen Altersarmut sowie Bildung und Forschung in den Vordergrund zu stellen, während die Konservativen verstärkt die Steigerung der Arbeitsproduktivität und die »Reform« des Sozialstaats propagieren.

Umfragen zufolge sind 70 Prozent der Bevölkerung davon überzeugt, dass der PS die Wahl gewinnen wird. Die gesamte parlamentarische Linke gibt sich siegessicher und betrachtet die Niederlage der Rechten als unausweichlich. Allerdings tritt die Linke nicht einheitlich auf. So verlangte die kommunistische Partei PCP von Sócrates eine explizite Stellungnahme zu dem geforderten Abtreibungsreferendum. Portugal hat neben Irland und Polen eines der strengsten Abtreibungsgesetze in Europa. Freiwillige Schwangerschaftsunterbrechung ist in Portugal verboten und kann mit acht Jahren Haft bestraft werden. Jedes Jahr werden mehrere Frauen und ihre Helferinnen und Helfer verurteilt. In Umfragen haben sich in den vergangenen Monaten fast 60 Prozent der befragten Portugiesinnen und Portugiesen für liberalere Regelungen ausgesprochen.

Sócrates sagte zu, das schon seit Jahren heiß diskutierte Referendum durchzuführen, allerdings ohne sich auf einen Zeitpunkt festzulegen. Sein konservativer Gegenspieler erklärte hingegen, vor Ende 2006 werde es kein Referendum über die Regelungen zur Abtreibung geben. Danach werde seine Partei eine Abstimmung darüber »weder selbst anstrengen noch behindern«, so Santana Lopes. Auch der Linksblock betont im Wahlkampf die Priorität dieses Themas. Bei einem Wahlsieg des PS werde die Partei sich darum bemühen, das Referendum bereits im kommenden Juni abzuhalten.

Andere Wahlthemen des Linksblocks sind die verbreitete Armut, die Wiedereinführung des Mindesteinkommens sowie eine rasche Legalisierung von Migrantinnen und Migranten. Kommunisten und Grüne treten wie immer bei portugiesischen Parlamentswahlen gemeinsam an. Sie fordern umfassende Maßnahmen gegen die Diskriminierung von Homosexuellen und Migranten und eine Änderung der Zuwanderungs- und Staatsangehörigkeitsgesetze.

Die gesamte Linke wirft den Sozialisten vor, keine klaren Positionen zu beziehen und inhaltsleere Politik zu machen. Diese verkündeten dagegen, dass sie sich weder von der Linken »Lektionen« erteilen noch unter Druck setzen lassen wollen.

Sócrates gibt sich kurz vor der Wahl sehr selbstbewusst: »Die Portugiesen kennen mich und meine Arbeit. Sie wissen, dass ich entscheidungsfähig bin und entschlossen vorzugehen weiß. Und das ist es, was Portugal braucht: einen Kurs einschlagen und an diesem festhalten.«