Agitprop für die Verfassung

Spanien ist das erste Land, in dem über die EU-Verfassung abgestimmt wird. Die Mehrheit der Wahlberechtigten will am Sonntag aber gar nicht mitentscheiden. von thorsten mense, barcelona

Am 20. Februar wird die Bevölkerung Spaniens über die zukünftige europäische Verfassung abstimmen. Prognosen zufolge wird das Ergebnis positiv ausfallen, was kaum verwundert, da sowohl die sozialdemokratische Regierungspartei Psoe als auch die oppositionelle konservative Volkspartei (PP) für eine Annahme werben. Die größere Sorge der Regierung ist die prognostizierte schwache Wahlbeteiligung, die wahrscheinlich noch unter den 46 Prozent bei der letzten Europawahl liegen wird.

Hauptgrund für das Desinteresse der Bevölkerung könnten mangelnde Informationen über die Verfassung sein, woran die Regierung nicht unschuldig ist. In den Medien wird man mit Anzeigen überschüttet, die vermitteln, dass mit Inkrafttreten der EU-Verfassung das Zeitalter der Freiheit, Gerechtigkeit und des Wohlstandes anbreche.

Regierungschef José Luis Zapatero muss sich daher der Kritik stellen, keine Informationskampagne zu betreiben, sondern reine Propaganda für die Verfassung, finanziert durch öffentliche Mittel. Die Koalitionspartner des Psoe, die »Linken Grünen« und die Republikanische Linke Kataloniens, erklärte Gegner der EU-Verfassung, haben deswegen beim Zentralen Wahlrat mehrfach mit Erfolg Klage eingereicht. So darf zum Beispiel das offizielle Motto der Kampagne »Die Ersten mit Europa« nicht mehr verwendet werden.

Zur Verstärkung lud sich Zapatero in der vergangenen Woche Bundeskanzler Gerhard Schröder, Italiens Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi und den französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac ein. Schröder und Berlusconi mussten das fotogene Händeschütteln für die EU-Verfassung aus gesundheitlichen Gründen allerdings absagen. Der Vorsitzende der Volkspartei, Mariano Rajoy, hatte bereits zuvor eine Teilnahme abgelehnt. Er wolle nicht an einem Treffen der »Hauptverantwortlichen für den Machtverlust Spaniens« teilnehmen.

Die Gegner der Verfassung entsatmmten verschiedenen politischen Strömungen. Rechte Gruppen wollen die nationale Souveränität nicht verlieren und haben Angst um ihre »nationale Identität«. Gewerkschaften und linke Gruppen kritisieren an der vorgesehenen Verfassung den neoliberalen Charakter sowie Formulierungen zum stärkeren militärischen »Engagement« der EU-Staaten. Weitere Kritikpunkte sind der fehlende Schutz grundlegender Rechte, insbesondere der Arbeiter und Immigranten, sowie die undemokratischen Strukturen in der EU. Wie bei jeder politischen Diskussion in Spanien spielt auch hier der Regionalismus eine große Rolle. Eine Europäische Union, die nur Spanien, aber nicht die »Nationen ohne Staaten« und ihre Sprachen anerkenne, sei nicht unterstützenswert, lautet die Argumentation der Separatisten.

In den Großstädten sind die Kampagnen gegen die EU-Verfassung derzeit überall präsent, es gibt täglich Veranstaltungen und Diskussionsrunden, die Innenstädte und Universitäten sind voll mit Anti-EU-Plakaten. In Madrid und Barcelona fanden am vergangenen Wochenende Demonstrationen statt. Nach letzten Umfragen werden aber nur sieben Prozent der Spanier gegen die Verfassung stimmen.

In der Linken ist eine Diskussion ausgelöst worden, ob man mit »Nein« stimmen oder gar nicht am Referendum teilnehmen soll. Anarchistische Gruppen argumentieren, dass eine hohe Wahlbeteiligung das »Europa des Kapitals und des Krieges« legitimiere und auf diese Weise unterstütze, unabhängig vom Ergebnis. Andere wollen ungültig wählen, um nicht in der Masse der unpolitischen Nichtwähler zu verschwinden. Die meisten Linken aber wollen gegen die EU-Verfassung stimmen. Sie wollen die Gelegenheit nutzen und am Sonntag »dem Kapitalismus ein Nein ins Gesicht spucken«.