Terror liest sich schön

In Schweden steht eine Neonazigruppe wegen der Vorbereitung bewaffneter Angriffe vor Gericht. von bernd parusel, stockholm

Während sie »die Disziplin und die militärische Ordnung in Nazideutschland« bewundert, kommt eine 20jährige Schwedin mit der heutigen Gesellschaftsordnung ihres Landes offenbar überhaupt nicht zurecht. Zusammen mit drei Gesinnungsgenossen gründete sie eine neonazistische Zelle, schlug Fenster an öffentlichen Gebäuden ein und entwickelte Pläne für bewaffnete Angriffe auf staatliche Einrichtungen. Davon ist jedenfalls die Polizei überzeugt. In der schwedischen Stadt Västerås wird der jungen Frau und ihren drei Kameraden zurzeit der Prozess gemacht. Auf »grobe Sachbeschädigung« in 22 Fällen und »Vorbereitung terroristischer Verbrechen« lautet die Anklage.

Zum ersten Mal stehen seit Anfang Januar in Schweden Staatsbürger des eigenen Landes wegen einer Anklage vor Gericht, die erst seit Juli 2003 möglich ist. Damals verabschiedete der schwedische Reichstag auf Drängen der Europäischen Union neue Antiterrorgesetze. Auf die »Vorbereitung terroristischer Straftaten« steht seither maximal eine lebenslängliche Freiheitsstrafe.

Die 20 bis 31 Jahre alten Beschuldigten sollen u.a. Anschläge auf das Reichstagsgebäude und die Regierungskanzlei in Stockholm vorbereitet haben. In Teilen des Landes wollten sie darüber hinaus die Stromversorgung lahm legen. Dies geht nach Angaben der Polizei aus einem Heft hervor, das sie bei einem der Angeklagten gefunden hat.

Unter dem Titel »Revolution im Wohlfahrtsland« wird darin zum Kampf gegen die schwedische Gesellschaft aufgerufen. »Alles, was dem Staat, den Gemeinden oder den Regionalverwaltungen gehört, soll sabotiert werden, damit schließlich die Wirtschaft zusammenbricht«, heißt es in dem Dokument.

Die »Revolution« sollte in vier Schritten eingeleitet werden. Zunächst sollten Wirtschafts- und Verwaltungsstrukturen auf kommunaler Ebene zerstört werden. Dann sollten Anschläge auf staatliche Einrichtungen und die Infrastruktur folgen. Anschließend sollten Mordattentate auf Politiker und andere wichtige Personen des öffentlichen Lebens verübt werden. Schließlich sollte ein »Krieg« gegen alle Feinde der nazistischen Bewegung geführt werden, auch mit Selbstmordattentaten. Nach Auffassung von Richard Slätt, einem Mitarbeiter des Vereins Expo, der die rechtsextreme Szene in Schweden beobachtet, wurden die Ideen der Västeråser Zelle von US-amerikanischen Rechtsextremisten inspiriert, etwa von dem Buch »The Turner Diaries« des US-Neonazis William Pierce.

Die Västeråser Neonazis kamen jedoch nur bis zur ersten Etappe ihrer »Revolution«. Etwa einen Monat lang zerstörten sie systematisch Fenster an Schulen und öffentlichen Gebäuden sowie Überwachungskameras. Dann wurden sie von der Polizei verhaftet. Bei einem der Angeklagten fanden die Ermittler eine Reihe von Fotos mit Attentatszielen, darunter Transformatorstationen, und Einkaufslisten für Ausrüstung.

Vor Gericht hat bisher erst einer der Angeklagten seine nazistische Gesinnung zugegeben, der früher in der Nationalsozialistischen Front (NSF) aktive Dan Dalén. Ein anderer, Niklas Wärne, stritt ab, Neonazi zu sein. Richard Slätt sagte der Jungle World jedoch, dass auch Wärne jahrelang Mitglied der NSF gewesen sein soll.

Im Prozess bestritten die Angeklagten bisher, dass die Schrift »Revolution im Wohlfahrtsland« eine Anleitung für Anschläge sei. Es handele sich um »schöne Literatur«, die ein Freund zur Unterhaltung verfasst habe.

Rechtsextreme Diskussionsforen im Internet lassen indes auf etwas anderes schließen. Die Broschüre ist dort ein wiederkehrendes Thema. Auf der rechtsextremen Internetseite »motstand.org« etwa verteidigen einige Diskussionsteilnehmer die Anschlagspläne, andere verurteilen sie. »Kamerad M.« meint, eine bewaffnete »Revolution« sei nötig, denn durch Wahlen werde sich in den nächsten 100 Jahren nichts verändern. Möglich werde eine Revolution aber erst dann, wenn sich die wirtschaftliche Lage Schwedens verschlechtere, etwa nach der Zerstörung der Infrastruktur. »Heute sind die Leute zu zufrieden mit ihrer Situation.« Das merke man selbst bei den Anführern der Neonaziszene. »Die Leute sitzen zu Hause, trinken Bier und spielen Computernazis.« Expo schließt aus diesem Text, dass es sich bei der Neonazizelle um mehr als vier Personen handeln könnte.

In einem anderen, mit »Nationalsozialist« unterzeichneten Beitrag, werden die Aktionen der Gruppe aus Västerås verurteilt. »Diese Idioten führen den nationalen Befreiungskampf immer weiter ins Abseits. Wer will schon eine Ideologie unterstützen, deren Repräsentanten nachts in der Gegend herumfahren und die Schulen unserer Kinder verwüsten?«

Diese Beiträge wirken symptomatisch für die gespaltene rechtsextreme Szene in Schweden. Ein Teil verfolgt seine Ziele relativ friedlich mit der Teilnahme an Kommunalwahlen, ein anderer ist, wie Richard Slätt meint, dabei, sich zu radikalisieren. Die Schrift »Revolution im Wohlfahrtsland« richtet sich an diesen gewaltbereiten Teil der Bewegung. Sie sollte an rechtsextreme Gruppen im ganzen Land verteilt werden.

Bereits seit den achtziger Jahren verüben Rechtsextremisten in Schweden Banküberfälle und rauben Polizeistationen aus, um sich mit Geld und Waffen zu versorgen. Es kam zu Mordattentaten auf Migranten, Homosexuelle, linke Politiker und Journalisten. Im Oktober 1999 wurde der Gewerkschafter Björn Söderberg ermordet, der einen Kollegen als Mitglied der NSF enttarnt und sich um seine Absetzung als gewerkschaftlicher Vertrauensmann bemüht hatte. (Jungle World, 39/03)

Der im gegenwärtigen Prozess zuständige Staatsanwalt, Thomas Häggström, ist davon überzeugt, dass es die Gruppe mit ihren Anschlags- und Mordplänen ernst meinte. Sie wirkten »sehr entschlossen«, sagte er der Jungle World. Nicht nur aus den gefundenen Beweisstücken, auch aus ihren politischen Ansichten schließe er, dass sie in der Lage gewesen seien, von Sachbeschädigungen zu terroristischen Anschlägen überzugehen.