Kein Uran für Teheran

Die Risiken eines Militärschlags der USA gegen iranische Nuklearanlagen wären enorm. Diplomatische Bemühungen haben das Atomprogramm der Ayatollahs jedoch nicht gestoppt. von jörn schulz

Gott kann sich jetzt endlich mal wieder entspannt zurücklehnen. Denn George W. Bush hat ihn aus der Verantwortung für das Gelingen der Demokratisierung des Nahen Ostens entlassen. »Gott bewegt und entscheidet nach Seinem eigenen Willen«, räumte der US-Präsident in seiner Rede zur Amtseinführung ein, offenbar um dem von ihm hin und wieder erweckten Eindruck entgegenzuwirken, er betrachte sich Vollstrecker des Allmächtigen.

Der außenpolitische Teil seiner Rede kreiste ansonsten um das Thema der Demokratisierung. Bush sprach von der »Beendigung der Tyrannei in unserer Welt«, ließ diesem Bekenntnis aber Relativierungen folgen. Es handele sich um die »Arbeit von Generationen«, und wenn »die Seele einer Nation« spreche, könnten daraus andere Institutionen als die der USA hervorgehen: »Amerika wird seinen eigenen Regierungsstil den Unwilligen nicht aufzwingen.«

Diese Aussage dürften die mit den USA verbündeten unwilligen Diktatoren mit Wohlwollen gehört haben. Wo aber finden sich die Tyrannen, bei denen die »Arbeit von Generationen« beginnen soll? Den kurz vor Bushs Amtseinführung im Magazin The New Yorker veröffentlichten Recherchen Seymour Hershs zufolge steht der Iran ganz oben auf der Liste. Derzeit seien US-Kommandotruppen, die mit Pakistan kooperieren, mit der Erkundung iranischer Atomanlagen beschäftigt. Ein Militärschlag gegen das iranische Atomprogramm werde vorbereitet, und »die Eventualitätspläne (contingency plans) des Pentagon für eine größere Invasion des Iran werden ebenfalls aktualisiert.«

Das Pentagon wollte Hersh »keine Glaubwürdigkeit« zuerkennen, da der Artikel »mit Irrtümern gespickt« sei. Ausdrücklich dementiert wurden seine inhaltlichen Aussagen jedoch nicht. Die meisten Punkte der Darstellung Hershs sind überprüfbar und unbestritten.

Die Neokonservativen, die Hauptprotagonisten einer Demokratisierung auch mit Waffengewalt, haben ihre Positionen in der Regierung halten können. Die Geheimdienstreform hat das Pentagon, die Hochburg der Neokonservativen, auf Kosten der CIA gestärkt. Jede US-Regierung hat sich seit dem Sturz des Schah-Regimes die »militärische Option« gegenüber dem Iran offen gehalten. Dass im Verteidigungsministerium entsprechende Pläne für verschiedene Optionen ausgearbeitet werden, kann als sicher gelten.

Brisant sind vor allem die von Hersh zitierten Aussagen anonymer Quellen, die im Staats-, Militär- und Geheimdienstapparat tätig sind oder es vor kurzem waren. Sie deuten an, dass ein Militärschlag gegen iranische Atomanlagen, möglicherweise verbunden mit dem Versuch, einen regime change auszulösen, schon bald erfolgen könnte.

Die EU, China, Indien und Russland, also alle, die außer den USA in der Weltpolitik noch etwas zu melden haben, lehnen einen Angriff auf den Iran jedoch ab. Auch von den arabischen und islamischen Staaten kann Bush keine Unterstützung erwarten. Unkalkulierbar wäre zudem die Reaktion Nordkoreas. Dessen »geliebter Führer« Kim Jong-il bemüht sich ebenfalls um die Herstellung von Atombomben. Das Regime hat seine grundsätzliche Bereitschaft erklärt, als Gegenleistung für Sicherheitsgarantien und Wirtschaftshilfe sein militärisches Atomprogramm zu beenden, doch die Verhandlungen verlaufen schleppend. Kim Jong-il würde sicherlich davon ausgehen, dass Nordkorea, neben Irak und Iran der dritte von Bush als Teil der »Achse des Bösen« identifizierte Staat, als nächster dran wäre.

Irans Verteidigungsminister Ali Shamkhani sagte, sein Land habe ausreichende Mittel zur Abwehr eines Angriffs. Nach eigenen Angaben verfügt das Regime über Raketen mit einer Reichweite von 2 000 Kilometern. »Im Fall eines Krieges mit den USA müssen wir sie asymmetrisch bekämpfen«, kündigte Qassem Shabani, General der Revolutionsgarden, an. Dafür steht unter anderem die mit dem Iran verbündete Hizbollah-Miliz im Libanon bereit.

Die politischen und militärischen Risiken selbst eines begrenzten Militärschlages wären enorm. Aus der Sicht der USA und auch Israels sind die Risiken des Abwartens allerdings nicht unbedingt geringer. Denn die diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des iranischen Atomrüstungsprogramms waren bisher nicht sonderlich erfolgreich. Immer wieder machte das Regime Zugeständnisse, die bald darauf widerrufen wurden.

Recht geschickt nutzen die Ayatollahs den zentralen Widerspruch des internationalen Atomkontrollregimes. Die internationale Atombehörde IAEA ist nicht nur zuständig für die Verhinderung nuklearer Rüstung, sie soll zugleich die zivile Nutzung der Atomkraft fördern. Für beide Zwecke sind jedoch die gleichen Technologien notwendig: Wiederaufarbeitung zur Abtrennung von Plutonium und Anreicherung zur Herstellung von Brennelementen oder atomwaffenfähigem Uran.

Beide Technologien sind extrem teuer, und da die westliche und die russische Atomindustrie Überkapazitäten haben, wären sie dankbar für jeden Kunden. Das iranische Regime nennt nur ein Atomkraftwerk sein eigen, betreibt aber mehrere Anlagen zur Urananreicherung. Diese ökonomisch unsinnige Investition kann nur militärischen Zwecken dienen. Das internationale Recht erlaubt jedoch keine Maßnahmen gegen den Iran, solange nicht nachgewiesen werden kann, dass Uran über dem für Brennelemente notwendigen Grad angereichert wird oder die Kontrollen der IAEA deutlich behindert werden. Das Regime kann legal die industrielle Grundlage für die Herstellung von Atombomben aufbauen, solange es auf die Herstellung selbst verzichtet.

Die iranische Außenpolitik orientiert sich derzeit eher an Großmachtambitionen als an religiösen Zielen. Bei einem islamistischen Regime kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass es, insbesondere wenn es sich in seiner Existenz bedroht sieht, seine Atomwaffen für ideologische Zwecke einsetzt. Das Ziel wäre dann Israel.

Bereits der Aufstieg des Iran zur Atommacht könnte andere Staaten der Region dazu bringen, sich ebenfalls um Nuklearwaffen zu bemühen. Zwei Staaten haben das bereits erfolgreich getan, Indien und Pakistan testeten 1998 ihre Atomwaffen. Es ist nicht nur politisch inkonsequent, wenn die US-Regierung mit dem pakistanischen General Pervez Musharraf kooperiert, der unwillig ist, seine Position als Militärherrscher aufzugeben. Pakistan war einer der Zulieferer für das iranische Atomprogramm, und der Staatsapparat ist von Islamisten infiltriert. Das besondere Interesse des al-Qaida-Netzwerks an Pakistan gilt nicht zuletzt dessen Nukleararsenal, und mit der Untersützung Musharrafs binden sich die USA an ein autoritäres Regime, dessen langfristige Stabilität fraglich ist.

Nur der Verzicht auf die zivile Nutzung der Kernkraft und die Abrüstung der Atommächte, zu der sie sich im Atomwaffensperrvertrag verpflichtet haben, kann die Verbreitung von Nuklearwaffen zuverlässig verhindern. Dazu ist keine Großmacht bereit, somit bleiben nur zwei Optionen: ein Militärschlag mit unabsehbaren Folgen und ein diplomatischer Dauerkonflikt, der den Iran nicht daran hindern kann, alle Voraussetzungen für den Atomwaffenbau zu schaffen, um im geeigneten Moment den letzten Schritt zu gehen.