Zeugt Kinder!

Abtreibung in Frankreich

Zum Geburtstag gibt es eine Demo. Am 15. Januar werden zahlreiche Frauen- und Bürgerrechtsgruppen sowie Linke und Gewerkschaften auf die Pariser Straßen gehen. Sie wollen an den 30. Jahrestag der Verabschiedung der Loi Veil erinnern (das Gesetz ist nach der damaligen liberalen Gesundheitsministerin Simone Veil benannt), die in Frankreich erstmals den Schwangerschaftsabbruch legalisierte, der bis dahin als Verbrechen eingestuft wurde.

Genau genommen kommt die Geburtstagsdemo ein paar Tage zu spät, denn das Gesetz wurde am 20. Dezember 1974 im Pariser Parlament verabschiedet. Doch es schien besser, im Januar auf die Straße zu gehen, um gleich zum Jahresbeginn eine Warnung an die konservative Regierung auszusprechen. Die rechte Parlamentsmehrheit traut sich zwar derzeit nicht, das Gesetz zum »freiwilligen Abbruch der Schwangerschaft« (interruption volontaire de grossesse) direkt zu attackieren. Aber ein Teil der Konservativen träumt offensichtlich davon, auf juristischen oder administrativen Umwegen das vor 30 Jahren erworbene Recht der Frauen einzuschränken oder in Frage zu stellen.

Die Loi Veil hatte von Anfang an entschiedene Gegner. Zur entscheidenden Abstimmung wurde die Fraktionsdisziplin aufgehoben, und zahlreiche Abgeordnete der damals regierenden liberal-christdemokratischen Rechten stimmten gegen das Gesetz, das nur dank der Zustimmung der Linksopposition durchkam. Der Vatikan hatte vorab Druck auf alle Abgeordneten ausgeübt und »die Christen unter ihnen« aufgefordert, gegen die Vorlage zu stimmen. Die extreme Rechte, vor allem der damals noch kleine Front National, betrieben zur selben Zeit eine aggressive Hasskampagne. Der Ministerin Veil, einer Überlebenden von Auschwitz, wurde von der extremen Rechten vorgeworfen, »einen Genozid am französischen Volk« durch Abtreibungen herbeiführen zu wollen.

Heute sitzen einige katholische Fanatiker auf den Regierungsbänken; sie haben sich bislang allerdings bedeckt gehalten. Einer ihrer prominentesten Repräsentanten ist der 44jährige Hervé Gaymard, der Ende November zum Wirtschaftsminister ernannt wurde. Seit Mitte der neunziger Jahre ist er als Aktivist der rechtskatholischen Aktivistengruppierung Opus Dei (Werk Gottes) bekannt. Seine Ehefrau, die Staatssekretärin Clara Gaymard-Lejeune, ist die Tochter des verstorbenen Professors Jérôme Lejeune, der zu den prominentesten Anti-Abtreibungs-Aktivisten in Frankreich gehörte. Lejeune war der Begründer der Vereinigung »Laissez les vivre! (Lasst sie leben!)«, in der auch Rechtsextreme aktiv sind. Seine Tochter ist Vorsitzende des »Vereins der Freunde von Professor Lejeune«.

1996 unterzeichnete Gaymard-Lejeune einen »bevölkerungspolitischen« Appell für mehr französische Geburten, den die Rechtsextremen nahe stehende Vereinigung Population et Avenir (Bevölkerung und Zukunft) lanciert hatte. Mitunterzeichner waren der rechtsnationale Graf Philippe de Villiers und Patrick Kaltenbach vom rechtsintellektuellen Club de l’Horloge, aber auch der ehemalige sozialdemokratische Linksnationalist Jean-Pierre Chevènement. In dem Appell wurde u.a. gefordert, der Staat solle dafür sorgen, dass die Zahl der Eheschließungen steigt, da Verheiratete im statistischen Schnitt deutlich mehr Kinder bekämen als unverheiratete Paare.

Hervé und Clara Gaymard, die sich einst auf der Elite-Technokratenhochschule ENA kennen lernten, haben bereits acht Kinderchen. Verhütungsmittel sind ja bekanntlich eine schlimme Sünde.

bernhard schmid