Baden und Bademagds Söhne

Der Trend zu Thermen, Wellnesstempeln und Spaßbädern hat sehr unterschiedliche Vorbilder. von martin krauss

Einen »Megatrend Fitness« hat die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung entdeckt, der auch Senioren erfasst. Die deutschen Badeorte erleben »unter dem Stichwort ›Wellness‹ neuen Aufschwung«, weiß die Badische Zeitung, und zwischen den verschiedenen Heilbädern, Thermen und Spaßbädern herrscht ein ungekannter Konkurrenzkampf. Mit früheren Zeiten, als das schmucklose Schwimmbad von der Stadt hingestellt wurde, 25 Meter lang war und von einem übellaunigen Schwimmmeister in kurzen Hosen befehligt wurde, hat das nichts mehr zu tun. Auch nicht mit dem noch früheren Zweck von Badeanstalten, für die »Volkshygiene« zu sorgen, wie man damals sagte. Das letzte Wannenbad etwa wurde in Berlin im Jahr 2002 geschlossen. Es gehörte zum Stadtbad Krumme Straße, wo Heinrich Zille Körperpflege betrieb und wo Walter Benjamin gegen seinen Willen das Schwimmen lernte, wie er in seiner »Berliner Kindheit um 1900« mitteilt.

Es geht also nicht mehr ums Sauberwerden, dafür sorgt das Badezimmer oder zumindest die Duschkabine. Es geht auch nicht mehr ums Schwimmenlernen, dafür sorgt die »Franziska-van-Almsick-Schwimm-Akademie«. Das Schwimmen und Baden, kaum dass es kapitalistisch organisiert und verwertet wird, setzt auf andere Angebote. Und hat andere Vorbilder, die es lohnt anzuschauen.

In der Hochkultur des antiken Griechenland fand sich kein wettkampfähnlich organisiertes Schwimmen, auch wenn es ansonsten viele sportähnliche Wettbewerbe bis hin zu Olympischen Spielen gab. Aber das Baden war in der oberen griechischen Gesellschaft beliebt. Homer empfahl das Bad als Mittel gegen »geistesentkräftende Arbeit«, und die Sportstätten, die Gymnasions, verfügten über Bäder unterschiedlicher Größe. Beliebt waren Heißluft-, Dampf- und Warmbäder. Es waren meist Sitzwannenbäder, aber oft wurde in einem separaten Badebecken Schwimmen gelehrt, weil man, wie der Dichter Hierokles schrieb, das Schwimmen »nur im Wasser erlernen kann«.

Ähnlich wie in Griechenland verhielt es sich im antiken Rom. Wettkämpfe im Schwimmen sind nicht überliefert, wer schwimmen konnte, war angesehen, eine umfangreiche Pflege des Schwimmens fand aber nur im Heer statt, wo die Legionäre auch mit Rüstung schwimmen lernten. Einen gigantischen Aufschwung aber nahmen die Heißbäder, die auch als Thermen bekannt sind. Das erste öffentliche Bad, Balnea genannt, eröffnete 305 v.u.Z.

Mindestens 170 Badehäuser gab es allein in Rom, hinzu kamen 17 große Thermen. Solche Thermen verfügten über bis 70 Meter lange Schwimmbecken und nahmen gleichzeitig bis zu 3 000 Besucher auf. Möglich geworden war die Errichtung solcher Badetempel durch die Entwicklung von Heißluftheizungen unter den Fußböden und hinter den Wänden, wodurch jeder Raum und jedes Becken auf die gewünschte Temperatur erwärmt werden konnte.

Neben den öffentlichen Bädern, die auch für die römische Unterschicht (selbstredend exklusive der Sklaven) zugänglich waren, gab es auch für die Oberschicht sehr luxuriöse private Bäder. Der Aufenthalt in den Bädern konnte einen ganzen Tag dauern. Es begann in der Regel mit einem lauwarmen Bad, einem Tepidarium, ihm folgte ein heißes Bad, das Caldarium. Daneben gab es auch das Laconicum, das waren verschiedene Räume mit trockener Hitze, deren Wärmegrade gesteigert wurden, und es fand sich ein Kaltwasserbecken, das Frigidarium. Um den geselligen Aspekt stärker zu betonen, gab es auch Bibliotheken, Massageangebote oder Schönheitsbehandlungen.

»Auch Kegelbahnen treffen wir an«, berichtet der Bäderhistoriker Carl Wolff in seinem 1908 erschienenen Buch »Öffentliche Bade- und Schwimmanstalten«, »ferner Räume für das Ballspiel, Rennbahnen, Tanzsäle, Theater, Speisesäle, Exedren und Säle für Unterhaltungen, Vorlesungen und geselliges Leben.« Täglich wurden etwa 750 Millionen Liter Wasser in den Thermen Roms benutzt bzw. verschwendet. Thermen entstanden überall im großen römischen Reich. Hierzulande sind Thermen-Überreste beispielsweise noch in Baden-Baden oder Trier zu sehen.

Zu einer anderen Form der Unterhaltung wurde Schwimmen in den gefluteten Amphitheatern genutzt. Und zwar in einer Weise, wie Michael Groß, 1984 in Los Angeles Olympiasieger und nach seiner Karriere unter anderem als Journalist tätig, schreibt, »die mehr an Synchronschwimmen erinnert: Szenen aus Göttersagen, Nymphenreigen oder sogar die nachgestellte tragische Geschichte des Leander«, der schwimmend auf dem Weg zu seiner Geliebten Hero im Meer ertrank.

Keinen allzu großen Unterhaltungswert versprachen sich die römischen Legionäre und das übrige Armee-Personal, die ins ungeheizte Wasser mussten. »Das Schwimmen und seine Anwendung muss im Sommer jeder Neuling in gleicher Weise lernen«, berichtet Vegetius, der unter Kaiser Theodosius I. für die Finanzen zuständig war. »Nicht immer können nämlich Flüsse auf Brücken überschritten werden.«

Daneben gab es in Rom auch die Berufstauchergilde der Urinatores, die eher kriegerische Funktionen übernahm. Das militärische Erfordernis, schwimmen zu können, hatten die Römer bei ihren Gegnern abgeschaut. »Als nämlich der römische Feldherr Germanicus die Weser überschritt«, berichtet der Schwimmhistoriker Wolfgang Pahncke, »schwamm Chariovalda, der Anführer der Bataver, dort durch den Fluss, wo er am reißendsten war.«

In der römischen Literatur ist auch überliefert, dass die Germanen selbst im Winter in Flüssen badeten, dass sie es nackt taten und dass es dabei keine Geschlechtertrennung gab. Auch ihre Neugeborenen tauchten sie ins kalte Wasser, um sie abzuhärten – auf diese Art wurden sie übrigens auch getauft.

Noch im Mittelalter war das Baden und auch das Schwimmen hoch angesehen. Das Schwimmen zählte zunächst zu den Künsten, die ein Ritter – »uf dem rucke und uf dem buche« – beherrschen musste. Gleichwohl nahm im deutschen Kulturraum die Bedeutung des Schwimmens rapide ab. Es wurde dank christlicher Körperfeindlichkeit verpönt und vielerorts verboten. Den Grundstein legte der heilige Hieronymus im 4. Jahrhundert u.Z., der das Baden nur noch Kindern gestatten wollte. Als Grund nennen christliche Geschichtsschreiber die Dekadenz, die in römischen Bädern geherrscht haben soll.

Carl Wolff (1908) berichtet von seltsamen Bestrafungen: »Das Wasserurteil war eine Art Gottesurteil: Der Unschuldige ging unter, der Schuldige schwamm, weil er vom Wasser, das nichts Unreines aufnahm, ausgestoßen wurde. Das Schwemmen galt als Strafe und Vorstufe des Ertränkens.«

Am Aufschwung des mittelalterlichen Badewesens änderte die schwimmfeindliche Kirchenpolitik jedoch nichts. Der Schwimmhistoriker Gustav Putzke schreibt in seinem 1926 erschienenen Aufsatz »Geschichte des Schwimmsports«: »Volkssitte war das Schwimmen im späten Mittelalter nicht mehr, obschon es aus der Reihe der ritterlichen Übungen noch nicht verschwunden war.«

Putzke vermutet, dass den Badehäusern »die Ausbreitung der Volkskrankheiten, Holzmangel, die Nöte des Dreißigjährigen Krieges ein Ende machten. Was von ihnen zurückblieb, war die Abwehr der ›Unmoral des öffentlichen Badens‹«. Auch die Reformatoren Martin Luther und Huldrych Zwingli wetterten gegen Baden und Schwimmen.

Die öffentlichen Badestuben waren in Deutschland sehr verbreitet, auch in Frankreich und England lassen sie sich in großem Umfang nachweisen. Vorbild der Badestuben waren oft arabische Bäder, die europäische Kolonisatoren bei ihren Kreuzzügen kennen gelernt hatten. Am Sultanshof gab es oft Audienzbäder, in die Gäste gebeten wurden und in denen, ähnlich wie bei den antiken Römern und Griechen, Politik gemacht wurde.

Charakteristika der arabischen Bäder (hammam) waren ein großer Ruheraum (maslak), in den man zu Beginn und am Ende des Bades ging. Zentraler Raum des Badens war der Heißluftraum (beit al-harar). Von ihm gingen kreuzförmig austrahlend die anderen Einrichtungen und Wasserquellen ab. Anders als in den römischen gab es in den arabischen Bädern lediglich ein Becken. Die Räume waren abgedunkelt, um Ruhe und Abgeschlossenheit zu vermitteln. Die Grundhaltung des Badenden war eine passive, genießende. Die arabischen Bäder waren und sind eng verbunden mit der islamischen Religion, sie gelten als Ergänzung zur Moschee. Im spanischen Cordoba sollen zeitweilig etwa tausend solche Bäder existiert haben.

Einen richtigen Import arabischer Badekultur stellten die mitteltalterlichen Badestuben im christlichen Europa aber keineswegs dar. Hier fand weniger Besinnung denn geselliges Leben statt: Essen, Musik, Weingelage. Die Badbetreiber waren in einer eigenen Zunft organisiert, und in den Bädern arbeiteten »Bademägde«.

In Österreich hält sich bis heute auch der abwertende Ausdruck »Badhur«, und wie der Ethnologe Hans-Peter Duerr zeigte, waren die meisten der deutschen, französischen und englischen Badehäuser schlicht Bordelle. Viele der etwa bei dem Soziologen Norbert Elias (»Über den Prozess der Zivilisation«) nachzulesenden Beobachtungen über einen relativ schamfreien Umgang mit dem nackten Körper bezögen sich, so Duerr, nicht auf wirklich öffentliche Badehäuser, die es gar nicht in so großem Umfang gegeben habe, denn mehr auf Bordelle. In den, wenn man so will: richtigen Badestuben hingegen habe es eine strikte Geschlechtertrennung geben, freilich lassen sich auch Grenzbereiche nachweisen.

Die Proteste von Luther und Zwingli gegen das Baden stehen gewiss in Zusammenhang mit der Verbreitung der Badepuffs. Bei Martin Luther heißt es etwa in einer leicht ins heutige Deutsch zu übersetzenden Wendung empört: »Er heißt mich einer Bademagds Sohn.«

Es begann, zumindest in Deutschland, ein großer Niedergang des Schwimm- und Badewesens, der spätestens mit der Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft beinah vollständig wurde. Wie es weiterging, ist bekannt: Erst langsam setzten sich öffentliche Wannenbäder durch, um die hygienischen Verhältnisse der proletarischen Bevölkerung einigermaßen zu verbessern. Ähnlich langsam setzte sich der allgemeine Schwimmunterricht durch. Und mittlerweile ist die Gesellschaft wieder beim Baden angekommen.